Gemeinderat,
29. Sitzung vom 14.12.2007, Wörtliches Protokoll - Seite 87 von 117
unhistorischen Umgang mit Opferzahlen“ und sprechen von einer „wissenschaftlich wertlosen Aktion“. Der Gründungsvater dieser ganzen Geschichte, ein Herr Neumayer, sagt selbst, man könne sie nur mit Schülern umsetzen, denn nur diese würden das umsonst machen.
Weil im nächsten Jahr ja einiges an Erinnerung auf
uns zu kommt, vielleicht eine Grundsatzbemerkung ins Stammbuch:
„Die ins Kraut schießende Erinnerungskultur verstelle
jede Aussicht auf Handlungsoptionen. Noch schwerer wiegt aber, dass der
unaufhörliche Appell an das ohnehin bloß selektiv beanspruchbare Gedächtnis den
Begriff einer Moralität bemüht, der alle Ansprüche auf die Vertrauenswürdigkeit
einer ‚Vergangenheitserzählung' über den Haufen wirft."
Und weiter: „Der ‚Holocausterziehung' gehe es gerade
nicht um Prävention, das heißt: die Vermeidung künftiger Großverbrechen. Die
dauernde Memorierung schaffe im Gegenteil geradezu die Voraussetzung für eine
Wiederholung – und sei es im Wechsel der Täter-Opfer-Relation, wodurch aus Gedenkenden
unfehlbar Rächende würden."
Das Ganze ist einer Rezession des jüngsten Werkes von
Prof Burger entnommen, der die philosophische Richtung an der Hochschule
für angewandte Kunst vertritt. Er hat ein Buch darüber verfasst: „Im Namen der
Geschichte – Vom Missbrauch der historischen Vernunft." Ich empfehle es
Ihnen sehr zur Lektüre, meine Damen und Herren von den GRÜNEN!
Solche so offenkundig auf Selbstvermarktung zielende
Aktionen, wie die zur Debatte stehende, werden wir daher sicher nicht unterstützen,
schon gar nicht, wenn Geld in Wien so knapp ist, so knapp, dass wir derzeit in
den Medien davon lesen können, dass über 20 000 Bürger in Wien in
diesem Winter nicht in der Lage sein werden, ihre Wohnungen zu heizen. Da gibt
es wirklich sinnvollere Bereiche, um das Geld auch einzusetzen. Es wäre doch,
glaube ich, primär – und das sind Gegenwartsprobleme, die diese Leute haben –
unsere Aufgabe, die Probleme der Gegenwart zu bewältigen und nicht die der
Vergangenheit, wenn es wirklich so knapp um die Mittel bestellt ist.
In diesem Zusammenhang steht auch der Antrag der
GRÜNEN, der eine Umwidmung der Mittel verlangt, wenn dem doch so sein müsste.
Wir haben im nächsten Jahr eine ganze Menge von Terminen zu bedenken, wie ich
gesagt habe, unter anderem auch die Gründung der Republik, über die wir uns
anscheinend noch nicht allzu viele Gedanken gemacht haben, wie auch um die
Probleme, die bei der Gründung dieser Republik zum Teil auch von außen
hereingebracht wurden. Ich spreche hier die Konferenzen von Versailles und die
anderen Bereiche an, die auch einmal zu durchdenken wären und die in vielen
Punkten die Wurzeln für die Probleme gesetzt haben, die dann später 1938 zur
Geltung kamen. Wir werden diesem Projekt sicherlich nicht unsere Zustimmung
erteilen. – Danke. (Beifall bei der FPÖ)
Vorsitzender GR Günther Reiter: Zu Wort
gemeldet ist Herr StR Ellensohn. Ich erteile es ihm.
StR David Ellensohn:
Sehr geehrter Herr Vorsitzender! Meine Damen und Herren!
Ich bin froh, dass die FPÖ am Ende ihres Beitrages wieder
zu sich gefunden hat. Ich gebe zu, dass man sich in der Frage ganz sicher nicht
in einem Boot mit der Freiheitlichen Partei wiederfinden möchte, und das tun
wir auch nicht. Alleine der Satz: Wir haben Gegenwartsprobleme und deswegen
brauchen wir kein Geld hineinstecken in irgendwelche Fragen der Vergangenheit!,
trennt die GRÜNEN von der FPÖ ganz klar und ganz hart. (GR Mag Wolfgang
Jung: Das habe ich nicht gesagt!) Das ist eines unserer Gegenwartsprobleme!
(Beifall bei den GRÜNEN.)
Das ist eines unserer Gegenwartsprobleme, dass Sie
nicht über die Vergangenheit sprechen wollen beziehungsweise glauben, dass
darüber nicht mehr gesprochen werden soll. „A Letter to the Stars" –
„Verein Lernen aus der Zeitgeschichte", ein Projekt, das 1,4 Millionen EUR
aus öffentlichen Geldern beantragt, 250 000 EUR heute von diesem
Haus. Ein Verein, der seit 2003 versucht, neue Wege zu gehen und Jugendlichen
und Schülern und Schülerinnen die zeitgeschichtliche Aufarbeitung anders näher
zu bringen, und – wenn man es eine Spur kritischer formuliert – die Verbrechen
des Nationalsozialismus durch spektakuläre Events den Jugendlichen näher
bringen möchte.
Auf den ersten Blick ist es ein positives Projekt. Es
geht um die Aufarbeitung der eigenen Geschichte, die leider noch lange nicht
beendet ist. Es ist kein Wunder, es überrascht uns nicht, dass sehr viele Leute
im ersten Moment sagen: Das ist ein gutes Projekt! Woher kommt denn plötzlich
die Kritik, die sehr vehement von zahlreichen Organisationen und Experten und
Expertinnen vorgetragen wird, die sich seit Jahren, seit Jahrzehnten mit diesem
Themenfeld beschäftigen? Woher kommt die Kritik, und was ist eigentlich die
Kritik?
Die Kritik an diesem Projekt lautet in aller Kürze:
die „Eventisierung" des Holocausts, ein Megaspektakel nach dem anderen
jedes Jahr nach dem Motto „größer, weiter, schneller", als ob es sich um
eine Sportveranstaltung handeln würde. Wie viele Leute können wir einladen? Wie
viele Ballons können wir steigen lassen? Wie viel verträgt es noch? Was kann
man noch machen? Es mangelt an didaktischen und pädagogischen Konzepten. Die
Entwicklungen und die Erkenntnisse der Geschichtswissenschaften sind nicht
genügend berücksichtigt. Manche Aktionen wie „Die Briefe in den Himmel" –
wer sich an die Aktion erinnert – müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, dass
sie weniger auf ein tatsächliches historisches Verstehen abzielen, als vielmehr
auf eine Emotionalisierung und einen fragwürdigen Aktionismus.
Seit
Beginn dieser Projektserie seit 2003 gibt es Kritik. Das ist ja heuer nicht das
erste Mal, dass Kritik vorkommt, aber so laut wie heuer war es nie. Seit 2003
gibt es Kritik. Ich möchte ein Beispiel von früher nennen, die Lagegemeinschaft
Ravensbrück hat vor allem die Aktion „Blumen der Erinnerung" sehr befremdet,
weil bei diesem Projekt die Firma Siemens die Gelegenheit hatte, mit einem
Sponsoring von ein paar Tausend Euro Imagepflege zu betreiben, ohne dass
irgendjemand
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