Gemeinderat,
36. Sitzung vom 25.06.2008, Wörtliches Protokoll - Seite 80 von 108
wiederum Entscheidungen, die nicht getroffen sind, also Dinge, die unterlassen worden sind, was auch ein Fehler war. Es ist durchaus auch eine Debatte wert, was man wenigstens jetzt und ab jetzt tun könnte, um in bestimmten Bereichen zumindest korrigierend einzugreifen.
Insofern kann ich es Ihnen, liebe Kolleginnen und
Kollegen von der ÖVP, nicht ganz ersparen, sehr wohl auch Kritik an Sie zu
richten. Denn es stimmt schon auch, Sie sind auf Bundesebene in den letzten
Jahren in der Regierung gesessen, Sie sitzen nach wie vor in der Regierung, Sie
sitzen eigentlich, solange ich in Österreich bin, dauernd in der
Bundesregierung. Dort ist es nicht so, dass in den letzten Jahren alles richtig
gemacht worden ist. Wenn wir schon über die Teuerung reden, dann, denke ich,
sollten wir das durchaus nicht ausklammern.
Wenn ich mir Ihre Ausführungen anschaue, dann kommt
es mir ein bisschen so vor wie bei diesem alten Witz, den Sie wahrscheinlich
auch kennen, mit dem Wilderer, der erwischt wird mit dem Reh über der Schulter,
das er erlegt hat; der Jäger fragt: Was ist das?, und er sagt: Jessas, ein Reh!
Genauso sagt momentan die ÖVP: Jessas, eine Teuerung! Aber es ist nicht so,
dass sie überraschend kommt und dass Sie überhaupt nichts damit zu tun haben.
Ich fange jetzt einmal mit dem an, was man dieser
Tage aktuell so alles lesen kann. Ich habe das nur so aus den Zeitungen
herausgerissen, heute, gestern, vorgestern, was ich so bekommen habe, weil das
ohnehin das Thema ist, das alle beschäftigt.
Ich glaube, es ist, wie soll ich sagen, absolut
unverdächtig, wenn ich Ronald Barazon zitiere. Er zum Beispiel sagt: „Die neuen
Reichen treiben die neue Inflation." Er sagt das in einem sehr
interessanten Beitrag in der Zeitschrift „Der Volkswirt". Diese ist
übrigens auf der Suche nach Abos, ich kann sie Ihnen sehr ans Herz legen;
nehmen Sie ein Abo, es ist sehr spannend, was da immer wieder steht. Also in
dieser neuen Zeitschrift „Der Volkswirt" erklärt er einfach, dass die
wachsende Kluft zwischen Arm und Reich in den letzten Jahren mit schuld ist an
der Inflation.
Des Weiteren schreibt er - was auch sehr interessant
ist -: „das Paradoxon zu niedriger Löhne als Inflationsursache". Das
heißt, er erklärt ganz kurz, prägnant und auch für jedermann verständlich, dass
die Tatsache, dass die Schere zwischen den Einkommen der Arbeitnehmer und den
Bezügen der Manager, Unternehmer und Aktionäre derart drastisch
auseinandergegangen ist, und zwar seit dem Jahr 2000, auch wesentlich dazu
beigetragen hat, dass die Inflation hierzulande angekurbelt wurde, ja sogar
überproportional angekurbelt wurde!
Wenn wir schon bei dem Thema sind, empfehle ich auch
sehr, sich das Cover der „Presse" von heute zu Herzen zu nehmen (Die
Rednerin hält eine Titelseite der Zeitung „Die Presse" in die Höhe):
„Österreich, das Land der Millionäre" - ist das nicht bitter? Wir reden
über die Inflation, wir reden darüber, dass in dieser Stadt Tausende und
Abertausende von Menschen, insbesondere junge Familien, mit dem Geld nicht bis
zum Monatsende auskommen, und zugleich lesen wir, dass Österreich das Land der
Millionäre ist. Des Weiteren lesen wir über die wesentlichen Gründe, warum die
Millionäre in ihrer Anzahl derart zunehmen in diesem Land. Es ist also offenbar
eine rapide wachsende Gruppe. Auch in dieser wunderschönen Stadt kann man
übrigens bei einem Spaziergang über den Graben, die Kärntner Straße oder den
Kohlmarkt sofort die Luxusläden feststellen, wo man eben für ein Kleid einfach
einen Monatslohn eines Durchschnittsarbeiters oder -arbeiterin oder sogar zwei
hinlegt. (Zwischenruf von GR Mag Wolfgang Gerstl.)
Ja, sie werden immer mehr, sie blühen regelrecht.
Also siehe da, was steht da in der „Presse" - übrigens auch unverdächtig,
das ist das neoliberale Verkündigungsorgan, sagen wir immer sozusagen im Schmäh
-, diese sagt hier: Die Gründe sind das kapitalfreundliche Steuerrecht und
weiters die vergleichsweise geringen Steuern auf Kapital und das
Stiftungsrecht. (GR Dr Matthias Tschirf:
Aber da steht noch etwas drin!)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch von der ÖVP! Es
gibt zum Beispiel zwei Maßnahmen, die Sie im Wesentlichen mitzuverantworten
haben und wo Sie auch jetzt weiterhin blockieren, dass sich irgendetwas in
diesem Bereich ändert. Das sind die unfassbaren Steuerprivilegien für
Stiftungen, die es in diesem Land gibt, die durchaus auch unter der
Federführung der ÖVP entstanden sind. Das Zweite, was hier ... (GR Dr Matthias Tschirf: Die hat
Finanzminister Lacina eingeführt!)
Ja, ja, Finanzminister Lacina - und wer ist
derjenige, der jetzt sozusagen das Bollwerk zur Verteidigung der
Steuerprivilegien von Stiftungen ist? Ich hätte das eher in der ÖVP gesehen,
wenn ich ehrlich bin, es sei denn, ich habe mich geirrt und habe etwas falsch
verstanden. Des Weiteren: Welche Partei ist es, die in diesem Land monatein,
monataus, jahrein, jahraus ... (GR Mag Wolfgang Gerstl: ... Ihren
Bundesobmann! Wenn kein Vermögen da ist, kann auch keines verteilt werden! Das
können Sie von Ihrem Bundesobmann übernehmen! Wenn kein Vermögen vorhanden ist,
kann nichts verteilt werden!)
Ich kann mich auch nicht erinnern, wann Sie sich zum
Beispiel für Mindestlöhne eingesetzt hätten, obwohl wir doch wissen - siehe
Barazon -, dass die Arbeiter viel zu wenig verdienen und immer weniger
verdienen, und obwohl wir auch wissen, dass die Kollektivlöhne in manchen
Branchen erbärmlich sind, erbärmlichst! Für das, was eine Friseurin verdient,
kann sie nicht einmal ein Tascherl kaufen, nicht einmal am Graben ein Tascherl
kaufen. (GR Dkfm Dr Fritz Aichinger: Was hat das mit dem Stiftungsrecht zu tun?
Das verstehe ich nicht!)
Ja, noch einmal - Sie verstehen es nicht -: Lesen Sie
Barazon! Wie gesagt, drei Seiten, sehr, sehr einfach, das verstehe sogar ich,
und ich bin keine Volkswirtin. Jeder versteht es, und es steht schwarz auf
weiß, dass sehr wohl die Kluft zwischen Arm und Reich, die weiter und weiter
und weiter auseinandergeht in diesem Land und auch in dieser Stadt, mit schuld
daran ist, dass die Inflationsspirale derart in Gang gesetzt worden ist. Es
gibt auch andere Faktoren, auf die werde ich noch zu sprechen kommen.
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