Gemeinderat,
53. Sitzung vom 23.11.2009, Wörtliches Protokoll - Seite 65 von 122
der Straße mehr los, dort sind Lokale und so
weiter. Warum ist das dort so? Welche Eigenschaft des Gründerzeitlichen ziehen
nicht nur Touristen an, sondern machen es für alle möglichen Leute
erstrebenswert, dort zu leben? – Dort ist auf der Straße was los! Und
warum ist auf der Straße was los? – Ich habe dazu eine These. Dort ist nicht
unter jedem Haus eine Garage, die sozusagen – ob auf dem Wienerberg oder
in Teilen des 22. Bezirks – die Straßen und damit das städtische
Leben entvölkern, weil dort die Menschen mit ihrem Auto unten in die Garage
hineinfahren, dann zum Lift und vom Lift in die Wohnung gehen, und zwar mit dem
Effekt, dass ganz wenig Leute auf der Straße sind.
Sollten wir daraus nicht insofern
Konsequenzen ziehen, als wir sagen: Eine lebendige Stadt hat damit zu tun, dass
Menschen auf der Straße sind, dass Menschen einander auf der Straße begegnen,
stehen bleiben und Schmäh führen, dass Menschen auf der Straße sagen: Gehen wir
auf einen Kaffee oder auf ein Bier! – Das öffentliche Leben auf der Straße
ist, seitdem es Städte gibt, das Wesen des Urbanen und des öffentlichen Raums.
Es ist das, was die Stadt ist. Und es wird eben im 5., im 7., im 8., im 9. oder
im 1. Bezirk empfunden, dass man sich dort bewegt. (GR Dr Herbert
Madejski: Wohnen dort Hackler? Wohnen dort Leute, die um 6 Uhr arbeiten
gehen müssen? Solche Leute wohnen dort nicht!)
Anders verhält es sich mit einer
Stadtstruktur, die dazu führt, dass jeder mit dem Auto sozusagen insektenhaft
in seiner Höhle verschwindet und, weil er fußläufig nicht mehr einkaufen kann,
ins Auto steigen muss, um ins nächste Einkaufszentrum zu gelangen. Weite Teile
der Welt schauen so aus! Ich nenne Ihnen eine Stadt, die ich neben Wien sehr
gut kenne: Johannesburg in Südafrika. Dort gibt es keinen öffentlichen Raum
mehr! Dort gibt es keine Straßen in dem Sinn mehr! Und so gerne ich dort wegen
meiner Projekte bin, so atme ich jedes Mal, wenn ich wieder nach Wien komme,
begeistert aus und gehe einmal zu Fuß.
Die Möglichkeit, zu Fuß gehen und Leuten
begegnen zu können, besteht aber nicht in allen Regionen der Stadt. Daher würde
ich gerne einmal darüber reden: Wie kommen wir dazu? – Wenn wir etwa Garagen
nicht individuell unter jedes Haus bauen, sondern sammelgaragenartig
zusammenfassen, damit wir die Menschen dazu bringen, dass sie, wenn sie von der
Wohnung zu ihrem Auto wollen, einige Meter gehen müssen und jedenfalls auf die
Straße kommen. So könnte man das in gewisser Weise sozusagen auseinandernehmen!
Ganz kurz noch ein paar aktuelle Punkte zum
Radverkehr: Ich glaube, dass der Fokus der Stadt – ich möchte das jetzt
höflich sagen, weil ich mir vorgenommen habe, höflich zu sein – den
Radverkehr nicht in dem Maße unterstützt, wie es notwendig wäre. Lassen Sie
mich das so sagen: Ich habe mich in den Bezirken umgehört. Die Richtung, die
der Stadtrat eingeschlagen hat, ist an sich richtig. Wir brauchen ordentliche
Fahrradabstellplätze, und zwar – wie wir auch im Ausschuss schon
diskutiert haben – nicht zu Lasten der Fußgänger, sondern auf der Straße.
Ich habe mich erkundigt, wie die meisten Bezirke darauf reagiert haben,
wurscht, ob sie sozialdemokratische Bezirksvorsteher oder ÖVP-Bezirksvorsteher
haben.
Ein Großteil der Bezirke sagt: Nein, das
bauen wir nicht, denn um acht Räder abstellen zu können, würde ein Parkplatz
verloren gehen. Sie werden mit diesem Tempo dieses Ziel nicht erreichen, weil
alle das zurückschicken! Und warum erzähle ich all das jetzt? Weil es unter
allen EU-Ländern ein einziges Land gibt, das die Kyoto-Ziele nicht erreicht.
Alle anderen Länder, meine Damen und Herren, haben die Kyoto-Ziele erreicht!
Wir alle wissen, wie dieses Land heißt, und wir sollten uns in Grund und Boden
genieren: Dieses Land heißt Österreich!
Welche ist die am stärksten wachsende Quelle
von CO2-Emission? – Es ist das der Verkehr! Und welche ist die
billigste und einfachste Methode, um in der Stadt den Autoverkehr zu
substituieren? – Das ist der Radverkehr! Dafür muss man allerdings
entsprechende Voraussetzungen schaffen. Alles andere, U-Bahnen bauen oder
Straßenbahnen bauen, dauert Jahre und Jahrzehnte und ist sehr teuer.
Ich wiederhole noch einmal die Zahlen:
Amsterdam hat 34 Prozent Radverkehr, Kopenhagen hat 36 Prozent
Radverkehr, München hat 16 Prozent Radverkehr, Wien hat – ich nehme
die optimistischen Zahlen des StR Schicker und nicht meine kritischeren –
6 Prozent Radverkehr. Da geht noch einiges! (GR Dr Herbert
Madejski: Haben Sie schon einmal bemerkt, dass Kopenhagen und Amsterdam flacher
sind als Wien?)
Aber in dem Tempo, in dem Ihre Bezirke, um
dieses läppische Detail zu nennen, ein paar Bügel aufstellen, wird sich nichts
tun. Auf der einen Seite haben wir Kopenhagen und die Klimakatastrophe, auf der
anderen Seite geht es darum, ein paar Bügel aufzustellen. Aber der
Bezirksvorsteher sagt: Nein! Das tun wir nicht, denn die acht Räder nehmen
einen Parkplatz weg!
Manchmal weicht man auf die schmalen
Gehsteige aus, auf denen es ohnedies eng wird, wenn jemand einen Kinderwagen
hat oder man, wenn man einen Regenschirm hat, den anderen die Augen aussticht.
Viele Gehwege sind sehr schmal, trotzdem werden dort auch noch Radständer
aufgestellt, denn die Fußgänger regen sich weniger auf. Es wird vielleicht
einmal eine Gruppe geben, die nächtens sozusagen in einer Guerillaaktion alles
von den Gehwegen abmontiert und auf die Straßen betoniert. Vielleicht fällt uns
da etwas ein! Das war jetzt keine Ankündigung, sondern ein spontanes Nachdenken
über die Möglichkeiten.
Ich frage mich wirklich: Was ist das für
eine Stadt, die nicht einmal imstande ist, ein paar verhungerte Bügel
aufzustellen? Gibt es so etwas überhaupt? Und diese Stadt beziehungsweise dieses
Land erreichen als einzige nicht die EU-Klimaziele! Und dann leistet Österreich
signifikante Strafzahlungen, weil wir keine Räderbügel aufstellen können! Das
gibt es ja nicht! Das ist absurd! Haben wir es wirklich so weit gebracht?
Tun wir doch ein bisschen etwas! Ich weiß nicht, ob
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