Gemeinderat, 4. Sitzung vom 26.01.2011, Wörtliches Protokoll - Seite 25 von 81
auch Zuzahlungen leisten muss. Und das ist für benachteiligte Familien sehr viel schwieriger. Da ist noch sehr viel zu tun, damit die Benachteiligung abgebaut wird.
Das sprechendste Beispiel im Wortsinn ist die Zahnmedizin. Schauen Sie jemandem in den Mund oder auf den Mund, und Sie wissen, ob das jemand ist, der sich eine ordentliche Zahnversorgung leisten kann oder ob er halt mit Amalgamplomben und gezogenen Zähnen oder schlecht versorgten Zähnen leben muss. Das sind Benachteiligungen in unserem Gesundheitswesen, die meiner Meinung nach nicht hingenommen werden können. Eine ordentliche zahnmedizinische Versorgung darf sich nämlich nicht auf eine Grundversorgung beschränken, während alles, was das Gesicht schön macht und die Zähne nachhaltig erhält, sehr teuer ist. Jeder und jede von uns hier haben sich wahrscheinlich schon den Gegenwert eines Urlaubs in den Mund verbauen lassen, und das können nicht alle Menschen.
Man beißt sich die Zähne unter anderem daran aus, dass es auch betreffend die Ernährung Unterschiede zwischen sozial benachteiligten und Menschen gibt, die ein Gesundheitsbewusstsein entwickeln konnten. Das beginnt schon bei kleinen Kindern, die durch zuckerhaltige Säfte ruinierte Zähne haben.
Ich will jetzt aber gar nicht so sehr ins Detail gehen, sondern einmal die grundsätzliche Argumentation dazu anschauen, was wir diskutieren müssen, wenn wir über die gesundheitliche Versorgung sozial Benachteiligter reden. Es geht um nichts weniger als darum, dass wir diesbezüglich Gerechtigkeit herstellen. Das ist ein Thema, das kürzlich auch in der Fachzeitschrift des Hauptverbands der Sozialversicherung behandelt wurde. Ich kann Ihnen das sehr ans Herz legen, schauen Sie sich das an! Die meisten von uns bekommen die Zeitschrift „Soziale Sicherheit“ sowieso zugeschickt.
Am 5. November gab es eine Sozialstaatsenquete zum Titel: „Sind gerechtere Gesellschaften gesünder?“ – Das ist eine rhetorische Frage, denn gerechtere Gesellschaften sind tatsächlich gesünder. Wir in Österreich können uns da aber noch nicht auf Lorbeeren ausruhen, die wir nicht haben. Österreich liegt nämlich, und das ist insbesondere aus einem Referat Prof Aigingers hervorgegangen, betreffend die Indikatoren hinsichtlich Gesundheits- und Sozialsystem von 21 gemessenen EU-Mitgliedsstaaten an nicht sehr berühmter 13. Stelle.
Da glauben wir immer, dass wir so super sind und nicht besser sein könnten, aber obwohl wir relativ viel Geld, nämlich mehr als der EU-Durchschnitt mit 10,4 Prozent, in unser Gesundheitssystem investieren, liegen wir zum Beispiel bei der Säuglingssterblichkeit relativ hoch, und auch bei Adipositas, also bei Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen liegen wir schlechter als andere Mitgliedsstaaten.
Etwas müsste uns dabei zu denken geben: Unsere Investitionen in öffentliche Gesundheitsleistungen und in Prävention liegen mit 1,5 Prozent um ein Drittel niedriger als der OECD-Schnitt. Das ist meines Erachtens angesichts dessen, dass man weiß, dass Investition in Public Health beziehungsweise in Gesundheitsförderung und -prävention ein wichtiges zentrales Kriterium ist, um die Bevölkerung gesund zu erhalten, kein sehr berühmter Wert!
Die Folgen kann man an der Lebenserwartung ablesen. Bezüglich der Jahre mit gesundem Zustand bei Geburt liegen die Österreicher und Österreicherinnen unterdurchschnittlich, und zwar – man glaubt es kaum! – bei den EU-15, also bei den reichen Kernländern der Europäischen Union, an 14. Stelle. Das ist doch nicht etwas, das uns stolz machen kann! 35-jährige Männer mit Pflichtschulabschluss haben eine Lebenserwartung von 75,1 Jahren, gleichaltrige männliche Hochschulabsolventen liegen bei 81,2. Das macht einen Unterschied von sechs Jahren!
Es ist also der Schluss zu ziehen – und der Schluss ist wichtig –: Bildung ist der entscheidende Faktor für Lebensqualität, und Bildung ist sogar der entscheidende Faktor – und das ist interessant – für die Begrenzung von Ausgaben im Gesundheitswesen. Menschen, die höher gebildet sind, verursachen nämlich weniger Kosten für das Gesundheitswesen.
Sehen wir das vielleicht auch als Nachtrag zur Bildungsdebatte, die wir heute schon geführt haben: Es kann nicht in unserem Interesse liegen, bei den Kindern sehr bald eine Selektion vorzunehmen, welche Bildungskarrieren sie einschlagen, und damit sozusagen eine vererbte niedrige Bildung festzuschreiben. Für den zentralen Bereich der Gesundheitspolitik bedeutet niedrige Bildung eine Ausgabensteigerung und bedeutet hohe Bildung Lebensqualität und mehr Jahre mit guter Gesundheit und somit weniger Ausgaben für Medizin.
Prof Aiginger hat bei der Tagung etwas Interessantes deutlich gemacht: Wenn man in reichen Gesellschaften versucht, durch Steuersysteme, durch Wirtschaftsentwicklung und durch Wettbewerb noch mehr Geld für die reicheren Schichten zu ermöglichen, dann geht es diesen deshalb gesundheitlich nicht besser. Darauf mache ich alle, die sich dafür stark machen, dass es mehr Wettbewerb, harte Verhältnisse und einen guten Zugang zu Geld und zum Markt geben soll, aufmerksam: Das bringt keine Erhöhung an Lebensqualität, nicht einmal an Glück. Diese Menschen sind auch nicht glücklicher, was ihr Wohlbefinden betrifft. Steigende Einkommen in reichen Ländern haben keinen positiven Effekt auf die Gesundheit. Hingegen profitieren Gesellschaften, die sich dafür stark machen, Ungleichheit abzubauen, insgesamt bei der Gesundheit. Nicht nur das untere Drittel profitiert aus ethischen und politischen Gründen von den Bestrebungen, Gleichheit herzustellen. Nein! Auch alle anderen Bevölkerungsschichten haben etwas davon und profitieren von dem Abbau von Ungleichheit.
Österreich ist mit seinen Ausgaben für Gesundheit und Bildung, auch wenn diese hoch sind, leider ein Land, in dem es diesbezüglich nur eine schwache Korrelation zur Effizienz des Gesundheitssystems gibt. – Es ist also der Schluss, dass wir, wenn wir viel Geld ausgeben, sehr gesund sein werden, zu kurz gegriffen. Die Frage der Effizienz und des Outcome muss noch näher angesehen werden.
Frau Kollegin Korosec! Noch mehr Personal im Spital und noch mehr Ausgaben machen nicht zwangsläufig
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