Gemeinderat, 6. Sitzung vom 31.03.2011, Wörtliches Protokoll - Seite 39 von 100
vorragende Arbeit geleistet hat, sensibilisiert hat in dieser wichtigen Frage, wo viele Wienerinnen und Wiener zu Recht ihre Sorge zu Mochovce ausgedrückt haben.
Und ein Zweites ist auch Wahrheit. Es ist Wahrheit, dass die Atomindustrie durch das verzerrte Bild eines nicht nachvollziehbaren Preistarifs – sprich, Risken werden auf die öffentliche Hand verteilt und somit von den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern bedient – natürlich auch auf die Aufbauarbeit in den neuen EU-Staaten vor allem Ost- und Südosteuropas wirkt. Es ist deshalb ein Anliegen der Sozialdemokratie – aber nicht nur der Sozialdemokratie, wie wir heute in einem gemeinsamen Antrag mit den Grünen und der Volkspartei dokumentieren –, dass die Gelder, die in Euratom liegen, die Gelder, die angesammelt worden sind, um Alternativen zu schaffen, die in den letzten Jahren aber ausschließlich dazu verwendet worden sind, Neubauten von AKW und Umrüstungen zu bezahlen, für den Ausstieg verwendet werden. Es ist den Volkswirtschaften in Ost- und Südosteuropa nicht zuzumuten, dass sie alleine diesen Ausstieg bewältigen. Und ausschließlich mit Appellen wird dieses nicht zu gewährleisten sein.
Deshalb fordern wir, dass von Euratom, wo mindestens auch 40 Millionen EUR österreichisches Steuergeld für Langzeitverlängerungen beispielsweise für AKWs verwendet werden, den Volkswirtschaften in Ost- aber auch Südosteuropa, den neuen Mitgliedern der EU, Geld dafür zur Verfügung gestellt wird, um aus dieser Technologie herauszukommen und damit erneuerbare Energie zu finanzieren. Das ist ein Anliegen, das ist ein Anliegen Wiens als Stadt, das ist ein Anliegen unserer Region, denn allein bei Appellen wird man es nicht bewenden lassen können. (Beifall bei der SPÖ.)
Meine Damen und Herren! Wir werden uns auch ansehen müssen, wer unsere Partner sind in Europa. Wir haben viele Länder in Europa, die gerade, bevor das Unglück in Japan uns alle überrascht und getroffen hat, darüber diskutiert haben, ob sie einen Abschied aus der Anti-AKW-Politik nehmen. Es ist zu hoffen, dass in Italien durch vielleicht auch neue Regierungsverhältnisse, die wahrscheinlich nicht bloß auf Grund der AKW-Frage eintreten werden, eine Neuorientierung der italienischen Regierung, die sich jetzt gegen das Moratorium entschieden hat, stattfinden kann. Dänemark, Norwegen, Island, Irland, Portugal, Luxemburg, Griechenland, Polen, Estland, Lettland, Litauen, einige Nachfolgestaaten der UdSSR sind Partnerinnen und Partner in Europa für unseren Kampf für ein AKW-freies Europa.
Wir werden gemeinsam Anstrengungen zu bewältigen haben, um das in Europa Wirklichkeit werden zu lassen, Anstrengungen, wo Österreich geeint und mit einer Zunge sprechen soll. Und auch hier wieder der Appell: Es wird in dieser geeinten Sprachregelung kein Platz sein für Politikerinnen und Politiker, die unter der Hand mit der Atomindustrie packeln und in ihrem Sold stehen. (Beifall bei der SPÖ.)
Mochovce, meine Damen und Herren, ist ein gutes Beispiel dafür, wie Wien mit grenznahen AKWs umgeht. Die Frage der Beteiligung an der UVP, unserem Nachbarland die Chance zu geben, zu zeigen, dass es rechtsstaatlich mit einem Verfahren umgeht, dann die Enttäuschung zu erleben und die Antwort zu erhalten, dass unsere Fragen nicht beantwortet wurden, und schlussendlich der Klageweg, den Wien beschritten hat. Das ist konsequente Politik, meine Damen und Herren, konsequente Politik, wie sie sich unsere Partnerinnen und Partner in Europa erwarten dürfen, und konsequente Politik, wie wir sie unseren Wählerinnen und Wählern in Wien schuldig sind.
Meine Damen und Herren! Wir stehen vor der Entscheidung, wie wir in Europa energiepolitisch weitermachen. Wien hat – das haben meine Vorredner auch eindrucksvoll bewiesen und gesagt – eine Reihe von Maßnahmen, kleinen und großen, wir werden uns aber auch überlegen müssen, was Atomenergie als einzige Energieform für eine Volkswirtschaft, aber auch für eine Demokratie bedeutet, denn der Schutz dieser Energie bedingt Maßnahmen – nicht nur in Japan, sondern auch in Deutschland –, die an die Grenzen der Erträglichkeit einer Zivilgesellschaft gehen. Castor-Transporte, Massenpolizeieinsätze, friedlich demonstrierende Bürgerinnen und Bürger, die sich mit dieser Energieform nicht auseinandersetzen wollen und diese bekämpfen, sind ein beredtes Zeugnis dafür, dass diese Energieform offensichtlich auch demokratiepolitische Zäsuren in einem Land erfordert. Und genauso wie die Menschen in Japan nicht unterrichtet werden, welche Gefahren jetzt tatsächlich auf sie zukommen, genauso muss in Deutschland der massive Polizeieinsatz von der öffentlichen Hand getragen werden.
Meine Damen und Herren! Wenn die heutige Debatte und die Erklärung des Wiener Bürgermeisters dazu beitragen, dass ein Mosaiksteinchen in Europa hin zu einem atomfreien Europa gesetzt wird, wenn es ein Mosaiksteinchen dafür ist, dass es zu einer Zuwendung zur erneuerbaren Energie kommt, wenn es ein Mosaiksteinchen dafür ist, dass auch in der Energiepolitik demokratische Rahmenbedingungen Gültigkeit haben, dann ist es heute eine gute Debatte im Wiener Gemeinderat gewesen.
Ich darf abschließend den Antrag einbringen, den ich angekündigt habe, worin es um einen europäischen Atomausstieg geht. Es ist ein Antrag der SPÖ, der GRÜNEN und der Österreichischen Volkspartei, worin das, was ich vorhin geschildert habe, noch einmal festgehalten wird, worin die Fragen der Hinwendung zur erneuerbaren Energie genauso wie die Frage des Umgangs in Europa einen Stellenwert und auch eine Ausformung bekommen.
Ich darf namens der drei Parteien und ihrer VertreterInnen diesen Antrag einbringen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei SPÖ, GRÜNEN und ÖVP.)
Vorsitzender GR Mag Thomas Reindl: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr GR Walter. (Zwischenruf von GR Mag Wolfgang Jung.) Herr Kollege Jung! Wir haben schon registriert, dass Sie hier sind! Ich würde Sie ersuchen, Ihre Zwischenrufe ein bisschen zu reduzieren. – Danke schön. (GR Mag Wolfgang Jung: Das ist meine Sache, Herr Kollege! Das kann mir die SPÖ nicht vorschreiben!)
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