Gemeinderat, 14. Sitzung vom 21.10.2011, Wörtliches Protokoll - Seite 24 von 51
Wort gemeldet. Ich erteile es ihm.
GR David Ellensohn (Grüner Klub im Rathaus): Herr Vorsitzender! Meine Damen und Herren!
Bei Kindesmissbrauch wird allen zu Recht immer mulmig, und dieses Ausmaß, das hat man sich ja fast gar nicht vorstellen können. Aber das gab es in Kirchen, in Internaten, in Heimen in Wien, in Niederösterreich, in ganz Österreich, in ganz Europa, in Irland, in den USA, hunderte, tausende Pfarrer. Es ist fast nicht zu fassen, und man kann nur versuchen zu erklären, was in der Gesellschaft damals los war, damit das überhaupt funktioniert hat.
Was man heute tun kann, um die Dinge aufzuarbeiten, die 40 Jahre her sind, ist klar: Lückenlose Aufklärung! Was sonst? Den Opfern helfen, so gut man einem Opfer nach 40 Jahren noch helfen kann, und die Täter stellen, wenn das noch möglich ist. Das alles ist eine Selbstverständlichkeit, aber wir müssen vor allem eines tun: Schauen, dass es in Zukunft nie vorkommt, das wünschen wir uns, schauen, dass es so selten wie möglich vorkommt, wird wohl das Ziel sein.
Und dann muss man sich die Gesellschaft und die Entwicklung der Gesellschaft schon anschauen. Wir haben in den 60er Jahren eine Gesellschaft gehabt, die die Züchtigung in der Schule erlaubt hat. Es war nicht nur üblich und man hat nichts dagegen gemacht, sondern es war nicht strafbar. Wenn dir der Lehrer eine gibt, und du bist ein Kind, das in den 50er Jahren, in den 60er Jahren aufgewachsen ist, und dein Trommelfell ist kaputt, hast du Pech gehabt. So war es einfach!
Nachher war die Diskussion über die „g’sunde Watschn“ bis in die 80er Jahre hinein. Heute reden wir darüber, ob man Jugendliche, wenn sie über die Stränge schlagen, in Boot Camps steckt, sie in ein Lager steckt und durchbricht zwei-, dreimal, bis sie nicht mehr wissen, wer sie selber sind.
Aber die Gesellschaft hat sich weiterentwickelt. Heute sieht man ja zum Glück – und wir würden ja hoffentlich fast alle oder alle einschreiten – nicht einmal mehr ein Kind, das auf offener Straße Ohrfeigen bekommt. Das ist jetzt ein Seltenheitsbild, das habe ich gar nicht jedes Jahr. Das war anders, als ich nach Wien gekommen bin vor über 20 Jahren, und es war auch anders in Vorarlberg, wo ich hergekommen bin.
Also man muss schon auch sehen, tatsächlich haben wir alle – das hat mit den Parteien herzlich wenig zu tun – die Gesellschaft schon soviel weitergebracht. Heute kannst du nicht im Park dein Kind herflaschln, und es sagt dir keiner was. Das hat es aber leider schon einmal gegeben. Und dass dann Auswüchse passieren, dort, wo die Kinder komplett rechtlos sind und nicht einmal Eltern in der Nähe sind, das muss man leider heute zur Kenntnis nehmen.
Das ändert nichts daran, dass wir dafür sorgen müssen, dass Kinder heute – und das ist das Wichtigste an allem – glückliche Kinder, selbstbewusste Kinder sind. Das müssen wir schaffen. Kinder, die sich trauen, zu jemandem zu gehen, die sich wehren.
Und die Kinder werden heute auch anders erzogen. Ich muss nächste Woche mit meinem Kind zum Schularzt. Weiß man, dass offensichtlich heute nicht mehr der Schularzt und das Kind allein sind und es ist niemand da von den Eltern? Offensichtlich ist das jetzt so. Das habe ich nicht gewusst, aber da bin ich dabei, wenn der Schularzt kommt und den Buben anschaut. Das ist offensichtlich notwendig geworden über die Jahre, aber dafür passiert dort auch nichts mehr.
Ich möchte schon auch nicht nur zur Kenntnis nehmen, dass wir uns weiterentwickelt haben, aber es ist mir sehr wichtig, dass wir jetzt da nicht versuchen, parteipolitisches Kleingeld zu münzen, denn ich lese heute gerade: „Allentsteig – das nächste?" Ich befürchte, dass da jedes Bundesland betroffen ist. Wir können uns als GRÜNE wunderbar herausreden, dass es damals noch keine gegeben hat, aber richtig ist – das betrifft alles, was unter Alternativbewegungen gelaufen ist, alles, was unter strengeren Regeln abgelaufen ist –, das war überall so. Ein schlechtes Zeugnis für die Menschen insgesamt, ein gutes, dass wir es weitergebracht haben und dass es heute nicht mehr so passiert.
Deswegen finde ich heute nicht nur die lückenlose Aufklärung dieser Fälle so wichtig und dass man den Opfern hilft, sofern man noch kann – denen hätte man viel früher helfen müssen, die haben ein Leben lang damit zubringen müssen und die meisten leben wahrscheinlich gar nicht mehr, es sind sicher schon viele verstorben, und bei den Tätern gilt natürlich genau das Gleiche –, aber das Wichtigste ist, wie wir heute mit den Kindern in unserer Gesellschaft umgehen, und das Wichtigste ist deswegen auch Kinderbetreuung im Kindergarten, in der Schule, Familien stärken, Eltern stärken, die Kinder erziehen. Das ist das Um und Auf, damit wir selbstbewusste kleine Menschen haben, die irgendwann selbstbewusste große Menschen werden. Denn viele Opfer sind leider später auch nicht in der Lage, ihre Kinder entsprechend freundlich und nett zu erziehen, weil sie es nicht gelernt haben. Das sollten wir aber alle lernen.
Insgesamt halte ich die Diskussion heute für wesentlich niveauvoller, als ich es befürchtet hatte, und dafür bedanke ich mich bei allen. – Danke. (Beifall bei Grünen und SPÖ.)
Vorsitzender GR Mag Dietbert Kowarik: Dem Dank des Herrn Klubobmannes schließe ich mich an. (Heiterkeit.)
Als nächste Rednerin hat sich Frau StRin Matiasek zu Wort gemeldet. Ich erteile es ihr.
StRin Veronika Matiasek: Sehr geehrter Herr Vorsitzender! Sehr geehrte Damen und Herren!
Bevor ich zu meinen Worten komme, muss ich auf die Wortmeldung meiner Vorrednerin Hebein eingehen, die in einem letzten flapsigen Schlusssatz der FPÖ vorgeworfen hat, sie stünde für Straflager für Jugendlich ein. Also, Frau GRin Hebein, und auch ganz allgemein gesagt: Dem widerspreche ich ganz energisch! Da ersuche ich Sie auch, dass Sie das zurücknehmen. Das ist wirklich nicht nur ein grober Unfug, sondern das ist schlicht und ergreifend die Unwahrheit. (Beifall bei der FPÖ.)
Wir haben heute in vielen Reden schon gehört, dass
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