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Gemeinderat, 24. Sitzung vom 26.06.2012, Wörtliches Protokoll  -  Seite 15 von 88

 

Kalifornien pleite.

 

Wir haben Gott sei Dank eine progressive Lohn- und Einkommenssteuer. Es gibt Wassergebühren, es gibt Kanalgebühren, es gibt alle möglichen Abgaben, die kaum jemand gern zahlt. Ich würde es aber für falsch halten, über all das abzustimmen. Das sage ich jetzt einmal in dieser Härte. Und es ist eine Frage der Abwägung, wo Politik ein Verhandlungs- beziehungsweise Aushandlungsort ist. Insofern halte ich es für gut und richtig, dass, wenn eine Partei nach eigenen Angaben – und ich habe keinen Grund, daran zu zweifeln – über 100 000 Unterschriften zu einem Thema sammelt, das sehr viele Leute bewegt, aufregt und motiviert, dieses Handeln der Bürger selbstverständlich nicht nur voll inhaltlich ernst zu nehmen ist, sondern selbstverständlich darüber Gespräche stattzufinden haben. (Beifall bei den GRÜNEN.)

 

Und es kommt jetzt gar kein Aber. Das ist für mich Demokratie. Selbstverständlich müssen sich in einem solchen Fall Vertreter der Bürger zusammensetzen und schauen, ob es Gemeinsamkeiten gibt. Darüber werden nächste Woche und in der Folge Gespräche geführt werden, und ich werde keinen Entschluss betreffend Parkraumbewirtschaftung, wie sie aus unserer Sicht mit 1. Oktober starten soll – ich komme noch dazu –, sozusagen als das klügste und genialste Modell bezeichnen, das jetzt in Beton oder was auch immer gemeißelt ist und die nächsten 500 Jahre so bestehen wird. Nein! Das kann man weiterentwickeln, schlauer machen, akzeptabler machen.

 

Ich sage das jetzt bewusst auch in Abgrenzung zu einer plebiszitären Demokratie, und darüber möchte ich jetzt sprechen. Eine plebiszitäre Demokratie ohne den Raum des Aushandelns und ohne Möglichkeit, Kompromisse zu schließen, kann nicht funktionieren. Hans Kelsen – ich habe das bewusst noch einmal gelesen – hat sinngemäß gesagt: Der Wille des Volkers liegt nicht irgendwo herum, sodass ihn nur jemand mit einer Lupe suchen muss. Vielmehr gibt es die unterschiedlichsten Anschauungen, wie wir alle wissen. Wir müssen uns etwa nur die Foren zur Verkehrspolitik anschauen: Dort sind die Diskrepanzen so weit gespannt und vielfältig, wie sich Leute den Verkehr in Wien vorstellen. Es gibt nahezu so viele Meinungen, wie es Einwohner oder wie es Fußballtrainer gibt.

 

Dafür gibt es die repräsentative Demokratie, die Kompromisse auch zwischen Parteien auslotet. So. Und ich halte es für einen gefährlichen Weg, der jetzt auch auf der Bundesebene gegangen wird, zu sagen: Weil es jetzt eine Antipolitik und eine Stimmung gegen alle Parteien gibt, lösen wir das insofern, indem wir sagen, okay, das ist, wie es ist, lassen wir das Volk entscheiden!

 

Jetzt komme ich zu Planungsfragen. Da kommt das auch ganz oft. Es gibt viele Planungsvorgaben, und ich war in den letzten 14 Tage in einigen Bürgerversammlungen, und jetzt leite ich über und sage, Stadterweiterung und direkte Demokratie: Nahezu nirgendwo, wo wir den Vorschlag machen beziehungsweise die Stadt den wohl begründeten Vorschlag macht, neue Wohnungen zu bauen, werden die Anrainer schreien: Bravo! Danke! Super! Wien wächst, und das auch bei uns! – Das ist nahezu nie die Reaktion, sondern die verständliche Reaktion ist, dass die Anrainer dagegen sind, denn natürlich sind Bauvorhaben mit Lärm verbunden, manchmal wird auch ein Ausblick weggenommen, und mehr Siedlungen bedeutet auch mehr Verkehr, auch wenn man versucht, das moderat zu halten. Jedenfalls werden die Anrainer sagen: Das wollen wir eigentlich eher nicht!

 

Meine Damen und Herren! Würden wir – und das ist wichtiger Punkt – über jede einzelne Flächenwidmung eine Volksbefragung vornehmen – und dieser Vorschlag kommt ja manchmal –, indem wir zum Beispiel die Anrainer fragen, ob sie das wollen oder nicht, dann ist ein Weg mit Garantie vorgezeichnet, und dieser Weg heißt: Wir bekommen in Wien Münchner, Pariser oder Londoner Zustände.

 

Wir könnten es uns natürlich leicht machen und sagen, widmen wir weniger, machen wir Volksbefragungen. Dann bleibt über, dass weniger hoch und weniger dicht gebaut werden soll. Auch wir sagen im Zweifelsfall, besser ein schöner Park als eine Wohnverbauung. (GR Dipl-Ing Roman Stiftner: Es ist aber schon ein Unterschied, ob man ein Einzelprojekt bewertet oder eine riesige Sache!) Okay. Das ist ein wichtiger, interessanter Zwischenruf für diese Diskussion über direkte Demokratie!

 

Welche Fragen sind also geeignet, dass man darüber direkt demokratisch abstimmt, und welche nicht? – Wir sind einen großen Schritt weiter, wenn wir auch erkennen, dass es eine Reihe von Maßnahmen gibt – und ich bleibe jetzt bei der Flächenwidmung und komme dann auch noch auf die Parkraumbewirtschaftung zurück –, das Ganze oft auch eine Aushandlungssache ist und wir uns auch vor die Bevölkerung beziehungsweise vor die Anwohner stellen und sagen müssen: Genauso wie Wohnungen errichtet und mit Wohnbauförderung finanziert wurden, damit jetzt die Leute, die hier wohnen, eine Wohnung haben, stehen wir für das Gesamtwohl, und das Gesamtwohl heißt, dass wir in einer wachsenden Stadt wie Wien, in die pro Jahr 15 000 bis 20 000 Menschen aus Niederösterreich, aus dem Burgenland, aus Deutschland, aus der Steiermark, aus Frankreich, aus Albanien, aus Rumänien und von überall her kommen, Wohnraum schaffen müssen. Es gehen aber auch Menschen aus Wien nach Deutschland, in die Steiermark, nach Berlin, nach Warschau und in alle möglichen Bereiche. Das ist das neue Europa. Es findet Wanderung statt, und dafür wollen wir Wohnraum schaffen.

 

Das setzt auch voraus, dass man sich nicht nur in Einzelfällen vor die Bevölkerung hinstellt und sagt, auch wenn das unangenehm ist: Wenn der Blick auf den Kahlenberg wegfällt, ist das keine Bereicherung. Was kann dafür aber sehr wohl eine Bereicherung sein?

 

Wir hatten jetzt am Mühlweg eine solche Diskussion, und ich habe mir erlaubt, manche Bürgerinnen und Bürger in diesem Zusammenhang auf einen gewissen Widerspruch hinzuweisen. Dieser Widerspruch lautete

 

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