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Gemeinderat, 24. Sitzung vom 26.06.2012, Wörtliches Protokoll  -  Seite 24 von 88

 

das jetzige Vorhaben unterschrieben haben. Kaum etwas löst größere Kontroverse aus in einer Stadt als Verkehrssteuerungsmaßnahmen, und kaum etwas, kaum ein anderer Politikbereich, kaum ein anderes Thema löst auch so viel Emotion aus wie Verkehrssteuerungsmaßnahmen. Das wissen wir alle, das ist also weiß Gott nicht neu.

 

Mehrere Tausend Wienerinnen und Wiener haben also unterschrieben, und ich glaube auch, dass wir jetzt nicht großartig philosophisch sein müssen, um herauszufiltern, was mag es sein, warum sie unterschrieben haben. Ich würde sagen, es gibt im Wesentlichen drei Motive – nicht jeder muss alle haben –:

 

Erstens: Entweder ist man oder frau mit der einen oder anderen Maßnahme aus dem Paket der jetzigen Parkraumbewirtschaftung nicht einverstanden.

 

Zweitens – und sehr viel wahrscheinlicher: Man möchte ganz einfach nicht zahlen.

 

Oder drittens: Man möchte die Gelegenheit nutzen, um gegen eine Maßnahmen, für die man nicht bezahlen möchte, zu protestieren und auf diese Art und Weise sozusagen ganz klar zu machen, dass man damit – einmal mehr schlicht und in einfachen Worten gesagt – nicht einverstanden ist.

 

Ich meine, dass das, wie gesagt, nicht weiter überraschend ist, und zwar aus einem sehr simplen Grund. Ich weiß nicht, wie viele Menschen Sie in Ihrer Umgebung haben, die gerne Gebühren zahlen. Ich kenne sehr wenige. Gebühren und Abgaben sind nicht Dinge, die wir gerne entrichten, es sind Dinge, die wir entrichten, weil wir sie entrichten müssen im Sinne der Allgemeinheit. Es sind Dinge, die entrichtet werden im Sinne der Dienstleistungen, die eine Stadt zu erbringen hat, im Sinne des Allgemeinwohls, im Sinne der Finanzierbarkeit vieler Maßnahmen und im gegenständlichen Fall auch und darüber hinaus und insbesondere im Sinne einer Verkehrssteuerung, die unsere Stadt auf alle Fälle braucht, wenn es darum geht, Probleme zu bewältigen, mit denen wir heute konfrontiert sind und mit denen wir noch viel mehr konfrontiert sein werden in den nächsten Jahrzehnten, wenn man bedenkt, dass nicht nur Wien wächst, sondern dass darüber hinaus der Speckgürtel wächst, und nicht wenig, und dass wir davon ausgehen können, dass in den nächsten Jahrzehnten die Pendler- und Pendlerinnenströme aus dem Umland in die Stadt hinein und abends wieder hinaus, eher nicht abnehmen werden, sondern eher zulegen werden.

 

Ich meine auch, dass die Entwicklung der letzten Jahre – die Zahlen liegen uns alle vor – Maßnahmen erfordert. Allein die gemeinsam erstellte Studie Wien, Niederösterreich, Burgenland über die Pendlerströme in der Ostregion belegen eindrucksvoll, dass wir hier eine Entwicklung haben, die wir in den Griff zu kriegen haben werden in den nächsten Jahren und die wirksame Maßnahmen braucht.

 

Also einmal mehr: Ich gehe nicht davon aus, dass Menschen gerne Gebühren zahlen. Denjenigen Bürger oder die Bürgerin, die das zugibt, ich zahle gerne diese Gebühr, die möge man bitte hierher bringen. Es wäre wirklich spannend, jetzt mit dieser Person zu diskutieren. Aber im Ernst – und hier liegt die Crux, Kollege Aichinger –: Die überwiegende Mehrheit moderner Demokratien sieht direktdemokratische Elemente vor, anerkennt diese als wertvolle Standbeine einer modernen Demokratie, respektiert diese und schiebt dennoch in manchen Bereichen einen Riegel vor durch ihre Verfassung.

 

Unsere Verfassungen sehen Grenzen vor, und diese Grenzen fallen nicht vom Himmel, sie sind nicht neu, sie sind wohldurchdacht, und sie sind abseits aller Polemik, die man hier in diesem Haus sozusagen austauscht rund um das Thema, kluge Grenzen, denn sie betreffen zwei Bereiche.

 

Der eine Bereich hat zu tun mit Abgaben und Gebühren, und hier gibt es eine kluge Grenze, die unsere Verfassung vorgesehen hat. Denn wissend darum, dass Bürgerinnen und Bürger nun mal nicht gerne Gebühren zahlen, will man hier schlussendlich auch nicht sozusagen eine Entwicklung vorantreiben, an deren Ende die Solidargemeinschaft vernichtet wäre.

 

Ich empfehle Ihnen gerne, einen Blick in Richtung Kalifornien zu werfen. Dies ist ein Staat, der von Haus aus gesagt hat, nein, diesen Weg wollen wir nicht gehen, das sehen wir nicht ein, wir möchten gerne zu Gebühren, Abgaben und allen Steuermaßnahmen die Menschen direkt befragen. Das gibt es ja auch. Und das Ergebnis ist, dass dieses Land auf alle Fälle pleite ist. (GR Dkfm Dr Fritz Aichinger: Sie brauchen nur die Schweiz anzusehen!) Die Schweiz ist ein Modell, das nun mal Befürworter hat, aber auch Kritiker hat, und das wissen Sie ganz genau.

 

Sie wissen auch ganz genau, dass in Ihren eigenen Reihen genauso Befürworter, aber auch sehr viele kritische Stimmen da sind im Zusammenhang mit solchen Entwicklungen, und ich meine auch, dass wir ebenfalls gut beraten sind, uns hier ein Mindestmaß an Intellektualität und ein Mindestmaß an politischer Bildung zu gönnen. Denn wenn ich mich austausche mit Vertretern einer Partei, die angeblich das gebildete Bürgertum Wiens vertritt, dann würde ich schon gerne eine Debatte haben auf einem Niveau, auf dem wir uns austauschen können über Vorteile, Nachteile, Grenzen und Gefahren direkter Demokratie, und bei der mir nicht vorgeworfen wird, Terror zu betreiben, um es auf den Punkt zu bringen. (Zwischenruf von GR Dkfm Dr Fritz Aichinger.) Von einem Mandatar Ihrer Fraktion. Sie waren ja nicht anwesend. (GR Dkfm Dr Fritz Aichinger: Oh ja!) Also das ist ein Niveau, wo ich ganz einfach sage: Sorry! Das ist übliche Polemik. Ich weiß nicht, wo sie angebracht ist, aber ich vermute, hier von Angesicht zu Angesicht ist sie nicht angebracht, und es wäre gut, wenn wir zumindest jenes Niveau wahren, dass wir es schaffen, gerade über solche sehr, sehr zentralen Themen miteinander zu diskutieren und uns ernsthaft auszutauschen.

 

Also der eine Bereich, wo unserer Verfassung, wie gesagt, einen Riegel vorschiebt, hat etwas zu tun mit Abgaben und Gebühren. Und das ist im Sinne der Wahrung der Solidargemeinschaft.

 

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