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Gemeinderat, 59. Sitzung vom 24.11.2014, Wörtliches Protokoll  -  Seite 34 von 110

 

GR Dr Van der Bellen. Ich habe eine Redezeit von 12 Minuten eingestellt. – Bitte.

 

12.28.04

GR Dr Alexander Van der Bellen (Grüner Klub im Rathaus)|: Herr Vorsitzender! Meine Damen und Herren!

 

VBgmin Brauner hat ja ihre Rede sehr stark in den europäischen Kontext gestellt, und das wurde vereinzelt auch kritisiert. Kollege Neuhuber hat auch immer wieder den europäischen Kontext erwähnt, und ich möchte auch davon ausgehen.

 

Es ist nunmehr sechs Jahre her, dass die Finanzmarktkrise sozusagen ausgebrochen ist, in ihren Folgen sicherlich die schwerste Wirtschaftskrise seit 1945. Man kann darüber streiten, ob der Kontext Griechenland, den StRin Brauner erwähnt hat, jetzt genau so zu interpretieren ist oder anders. Und, Herr Kollege Neuhuber, ich stimme Ihnen völlig zu, was die Vergangenheit, die griechische Vergangenheit betrifft, die Entwicklung bis zur Finanzkrise - laxe Steuermoral, fehlender Grundstückskataster, den wir seit Maria Theresia haben, und, und, und; keine Frage. Aber das gibt keine Antwort darauf, wie jetzt mit der Situation umzugehen ist.

 

Griechenland hat seit dem Zustand vor der Finanzmarktkrise, also seit 2007, 27 Prozent an realem Bruttosozialprodukt verloren. Das muss man sich einmal vorstellen, was in Österreich los wäre, wenn das Sozialprodukt in den letzten sechs Jahren um ein Viertel zurückgegangen wäre! - Da kann man sagen: Na gut, das sind die armen Griechen, aber was können wir dafür?

 

Nur, so einfach ist es jetzt aber auch nicht. Die Staatsschuld in Griechenland wurde ja durch den geringfügigen Schuldennachlass Ende 2012, glaube ich, vor 2 Jahren, etwas reduziert, pendelt sich aber seither wieder bei 180 Prozent des BIP ein. 180 Prozent des BIP, das ist mehr als doppelt so viel wie Österreich, und das bei einer Verzinsung für die griechischen Schulden, die derzeit bei 8 Prozent liegt und in den letzten 2 Monaten um 2 Prozentpunkte angestiegen ist. Das ist „not sustainable“, und ich bin nicht der Einzige, der die Meinung vertritt, dass ein weiterer Schuldenschnitt, und zwar ein drastischer Schuldenschnitt für Griechenland unvermeidlich ist. Barry Eichengreen von Berkeley beziehungsweise Cambridge hat letzte Woche, glaube ich, in der „Financial Times“ dazu geschrieben, es gibt nur zwei Möglichkeiten: Herauswachsen oder Schulden streichen. Herauswachsen heißt: Die Schuldenquote besteht aus Zähler und Nenner - wie jeder Bruch, wie wir alle wissen -, und es müsste also der Nenner, das Sozialprodukt, steigen. Ja, aber um wie viel?

 

Die EU hat sich ja ein Programm gegeben, dass bis 2030, wenn ich mich recht erinnere, alle Länder ein Programm zu fahren haben, das die Staatsschulden auf 60 Prozent des BIP reduziert. Es ist in meinen Augen völlig ausgeschlossen, dass Griechenland, Italien - über Spanien kann man debattieren -, solche Länder in diesen 15 Jahren dieses Ziel erreichen. Da müssten sie derart hohe Primärüberschüsse im Budget haben – im Vergleich dazu sind die jetzigen Budgetprobleme und der entsprechende Aufstand der Bürger und Bürgerinnen ein Lercherl. Also das wird nicht gehen.

 

Ich gehe so ausführlich darauf ein, weil es ein Beispiel dafür ist, wie der europäische Kontext natürlich auch die Fiskalpolitik in Österreich und damit auch in der Stadt Wien beeinflusst. Und die „Erfolge“ dieser Austeritätspolitik, die jetzt seit, sagen wir, vier, fünf Jahren in der Europäischen Union geradezu Mode ist, fashionable geworden ist, die müssen Sie mir bitte zeigen. Zeigen Sie mir das!

 

Dass in einzelnen Ländern ein Reformbedarf außerdem besteht, das ist ja außer Zweifel. Das traf auf Griechenland zu, das trifft auf Frankreich zu, das trifft auch auf Italien zu, und es trifft, last but not least, auch auf Österreich zu. Das ist alles unbestritten, aber es ändert nichts an der makroökonomischen Ausgangssituation. Wenn jetzt in der Eurozone die neue Europäische Kommission mit Jean-Claude Juncker an der Spitze ein 300 Milliarden EUR Investitionsprogramm vorgestellt hat, kann ich nur sagen: Sehr schön! Das ist einmal auf der symbolischen Ebene eine Abkehr von der bisherigen Politik. „Symbolisch“ sage ich deswegen, weil erstens auch die 300 Milliarden weniger als 1 Prozent des Eurozonen-BIP sind und zweitens die Finanzierung dieser 300 Milliarden völlig ungeklärt ist – nach heutigem Stand. Deutschland hat sich wieder einmal quergelegt - Deutschland legt sich in letzter Zeit immer quer -, was eine Anzapfung der ESM-Mittel betrifft, und Alternativvorschläge sind erst zu diskutieren. Aber immerhin, öffentliche Investitionen im Ausmaß von 300 Milliarden auf EU-Ebene, das ist schon einmal ein wichtiger Hinweis darauf, dass Wien mit seiner Politik der Förderung der öffentlichen Investitionen jedenfalls nicht falsch liegt - in meinen Augen goldrichtig, aber jedenfalls nicht falsch.

 

Denn: Was gäbe es sonst auf europäischer Ebene? Die Politik der Europäischen Zentralbank ist weitgehend ausgereizt. Vereinzelt wird hier kritisiert, insbesondere von der FPÖ, dass die Zinsen zu niedrig sind. - Jawohl, die Sparer profitieren von dieser Situation nicht. Wer ein simples Sparkonto hat, hat derzeit in aller Regel negative Zinsen zu erwarten, völlig richtig. Nur, Kollegen von der FPÖ, ein bisschen in einem allgemeinen Gleichgewicht, was ökonomische Fragen betrifft, müssen Sie schon denken. Was wäre jetzt umgekehrt, wenn die Europäische Zentralbank - sie kann ja nur die kurzfristigen Zinsen unmittelbar beeinflussen – versuchen würde, die Zinsen wieder anzuheben, in dieser Konjunktursituation, wo wir knapp vor einer Depression stehen? (GR Mag Wolfgang Jung: Es hat sich eh nichts geändert durch die Senkungen!) In dieser Konjunktursituation würden Sie die Zinsen anheben wollen? - Das heißt, die Arbeitslosigkeit würde weiter steigen, die Einkommen sinken, und aus dem gesunkenen Einkommen kann man weniger sparen als vorher! (GR Mag Wolfgang Jung: Aber welche Wirkung haben denn die letzten Zinssenkungen gebracht? Gar keine!)

 

Das ist richtig, sie sind weitgehend verpufft. Das heißt aber noch lange nicht, dass man die Zinsen in dieser Konjunktursituation ungestraft anheben kann. Damit würden Sie den Rest von Konjunktur - derzeit sagenhafte 0,5 oder 0,6 Prozent des BIP für 2014; 2015 wird es auch nicht viel besser sein - abwürgen. Damit wäre keinem Sparer gedient, das sage ich Ihnen schon!

 

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