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Gemeinderat, 66. Sitzung vom 24.04.2015, Wörtliches Protokoll  -  Seite 50 von 86

 

men aus Ländern, die wesentlich reicher sind als Österreich oder Deutschland beziehungsweise die meisten Länder der Europäischen Union. Sie kommen aus Ländern wie Nigeria, dem Kongo oder dem Sudan, und sie flüchten aus diesen Ländern nicht, weil dort so schlechtes Wetter oder so schlechte Bedingungen für Landwirtschaft, Rohstoffanbau, Industrie, und so weiter herrschen, sondern weil diese Reichtümer aus diesen Ländern ausgebeutet werden: Die Reichtümer dieser Länder werden unter anderem von Ländern der Europäischen Union ausgebeutet, unter anderem von unserer Wirtschaft.

 

Wenn man bedenkt, dass zum Beispiel die europäischen Erdölkonzerne Nigeria seit den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts ausbeuten und dort Umweltschäden und -zerstörung in Höhe von ungefähr 60 Milliarden US-Dollar angerichtet haben, dann wundert man sich nicht, wenn Menschen etwa aus einer Region wie dem Niger-Delta, das dort auf Jahrzehnte hinaus von europäischen Konzernen zerstört und ausgebeutet wurde, zu uns flüchten. Das Niger-Delta ist doppelt so groß wie Oberösterreich, und viele Menschen flüchten von dort, obwohl das ehemals eine extrem reiche Region war. Sie flüchten, weil ihnen diese Reichtümer weggenommen und hierher getragen wurden, und jetzt kommen sie nach.

 

Ähnlich sieht es mit Menschen aus dem Sudan aus, wo zum Beispiel die österreichische OMV jahrelang tätig war und mit einem korrupten, verbrecherischen Militärregime zusammengearbeitet hat, durch welches ganze Dörfer mit Luftangriffen zerstört wurden, um die Interessen der Ölindustrie zu schützen. Und jetzt kommen diese Menschen nach.

 

Ähnlich ist es mit Menschen aus dem Kongo, wo ich mich selbst vor einigen Jahren, bevor ich Gemeinderat war, als korrupter Rohstoffhändler ausgegeben habe, um undercover nachzuweisen, dass der deutsche Bayer-Konzern dort mit seiner Tantalförderung den größten Krieg auf der Welt seit 1945, nämlich den Krieg in der Demokratischen Republik Kongo mit fünf Millionen Toten in fünf Jahren, für seine eigene Profitinteressen geführt hat.

 

Diese Menschen flüchten jetzt also aus reichen Ländern, deren Reichtümer weggenommen wurden, zu uns, wohin die Reichtümer getragen wurden. Und was geschieht ihnen hier? – Hier sagen ihnen die Innenminister und Innenministerinnen: Raus! – Das ist ungefähr so, wie wenn ich zu meinem Nachbar gehe, das ganze Bier aus seinem Kühlschrank ausräume und in meine Wohnung trage und am Abend eine große Party mache und dann, wenn der Nachbar bei mir anklopft und sagt, dass er gerne mitfeiern und auch eine Flasche Bier von jenen haben möchte, die ich ihm weggenommen habe, sage: Raus! – Das ist der Umgang der Europäischen Union mit Menschen aus Ländern, deren Reichtum diese Europäische Union mit ausgebeutet hat.

 

Kollege Leichtfried hat heute schon angesprochen, mit welchen Methoden das betrieben wird, nämlich mit einer neoliberalen Wirtschaftspolitik, die die Konzerne, die hier Profite machen, nicht einmal mehr besteuert. Sie haben den Konzern Starbucks erwähnt, der in der Europäischen Union keine Steuer mehr zahlt. – Das stimmt nicht ganz. In Österreich zahlt er noch Steuern. Im Jahr 2013 hat die Firma Starbucks 1 311 EUR Steuern gezahlt. Das gesamte Unternehmen Starbucks hat 1 311 EUR Steuern bezahlt!

 

So. Man hat jahrelang eine solche Wirtschaftspolitik auf dem Rücken der Armen betrieben, in deren Rahmen jahrelang hunderte Millionen von Euro für Exportsubvention für die Landwirtschaft aufgewendet wurden. Das hat man jetzt zum Teil aufgegeben, allerdings unter der Bedingung, dass dort Restrukturierungsprogramme und neoliberale Privatisierungsprogramme durchgeführt werden. Und nachdem man mit Exportsubventionen der europäischen Landwirtschaft die dortigen Landwirtschaften und die dortigen Märkte zerstört hat, braucht man sich nicht zu wundern, wenn Menschen von dort flüchten!

 

Die jährliche weltweite staatliche Entwicklungshilfe, also die Summe der Entwicklungshilfe, die alle Staaten des Nordens weltweit an die Länder des Südens bezahlen, beläuft sich im Durchschnitt pro Jahr auf ungefähr 100 Milliarden Dollar. Es wird allerdings geschätzt, dass die Kreditzahlungen und Zinsenzahlungen für Schulden allein für diese landwirtschaftlichen Exportsubventionen 1 500 Milliarden US-Dollar pro Jahr betragen. Das ist das 15-Fache! – Das heißt, in Wahrheit zahlt eigentlich der Süden Entwicklungshilfe an den Norden, und zwar zahlen die Länder des Südens an den Norden, wie gesagt, ungefähr das 15-Fache von dem, was sie vom Norden an Entwicklungshilfe erhalten.

 

Das heißt, es findet jedes Jahr eine Ausbeutung von Menschen statt, die in diesen Ländern leben. Und unter diesem Blickwinkel muss man auch die Gründe sehen, warum Menschen aus diesen Ländern flüchten. Aber wirklich nur die Allerwenigsten schaffen den Weg zu uns. Das schaffen nur jene wenigen, denen es gelingt, Geld zusammenzulegen, um Schlepper zu bezahlen, die ihnen den Weg nach Europa erleichtern. Die Wenigsten schaffen es bis hierher. Viele von ihnen ertrinken im Mittelmeer oder werden an den Grenzen abgewiesen oder werden – wie gerade jetzt geschieht – aus reichen Ländern wie Österreich wieder abgeschoben.

 

Das ist ein unglaublicher Skandal! Es ist ein unglaublicher Skandal, diese Länder auszubeuten und auszurauben und dann die Menschen nicht hierher zu lassen! Warum etablieren wir nicht ein Modell, wie es die Europäische Union hat? Das ist nämlich das einzige funktionierende Modell! Die Europäische Union hat vier Grundfreiheiten, nämlich die Freiheit des Warenverkehrs, die Freiheit des Dienstleistungsverkehrs, die Freiheit des Kapitalverkehrs (GR Armin Blind: Das ist weltweit!) und die Niederlassungsfreiheit.

 

Weltweit hat man nur die ersten drei Grundfreiheiten. Weltweit herrschen die Freiheit des Kapitals und seiner Profiteure, die Freiheit der Konzerne und die Freiheit des neoliberalen Handels, von dem nur die Multimillionäre und die Milliardäre profitieren, während die Menschen nicht frei sind, während die Menschen nicht die Freiheit

 

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