«  1  »

 

Gemeinderat, 70. Sitzung vom 23.09.2015, Wörtliches Protokoll  -  Seite 41 von 94

 

konnte oder tätig sein durfte. Ich habe schon bei einer anderen Gelegenheit gesagt, ich bin meiner Partei sehr dankbar. Und es ist auch, glaube ich, ein wirklich gutes Zeugnis für die ÖVP, dass sie einen Unbequemen, Unangepassten wie mich ausgehalten hat. – Sie mussten mich ja ertragen, Sie konnten ja nicht anders. (Heiterkeit bei der ÖVP.)

 

Ich habe bisher eine Menge Glück in meinem Leben gehabt, meine Damen und Herren, und bin umso mehr dankbar dafür, dass ich hier quasi in einer indirekten Form vielleicht das eine oder andere an die Gemeinschaft zurückgeben konnte. Bei allen politischen Gegensätzen sollten wir nie vergessen und es uns auch nie wechselseitig absprechen, dass wir ein gemeinsames Ziel haben und einen inneren Antrieb, der uns eint: Menschen zu helfen – Godwin Schuster hat es heute auch schon gesagt – und diese unsere Stadt ein bisschen lebenswerter zu machen. Das scheint der Eine oder der Andere manchmal zu vergessen.

 

Ich finde es, ehrlich gesagt, traurig, wie wir manchmal miteinander umgehen, siehe Debatte von vorgestern; es muss aber letzten Endes jeder mich sich, mit seinem Gewissen und mit seinem Spiegelbild beim Rasieren ausmachen, was er sagt oder nicht sagt. Ich sage nur einen Nebensatz und lasse es dabei bewenden: Für einen Vorsitzenden dieses Hauses haben meiner Meinung nach noch etwas härtere Maßstäbe zu gelten als für einen „normalen Mandatar“.

 

Fast 20 Jahre in diesem Haus sind eine lange Zeit, fast ein halbes Arbeitsleben, jedenfalls für einen burgenländischen Landeslehrer, und die Gesellschaft hat sich in diesen 20 Jahren ungemein verändert. Ich erinnere an Folgendes: 1996, als ich hier hereinkam, war man als Unternehmer stolz darauf, ein Fax zu haben, und erinnern Sie sich daran, wo wir kommunikationstechnisch heute stehen.

 

Auch Wien hat sich verändert. Von der oft zitierten Randlage am äußersten Ende der westlichen Welt im Kalten Krieg, damals eine schrumpfende Stadt, sind wir heute die zweitgrößte deutschsprachige Stadt, die größte deutschsprachige Universitätsstadt, wachsend mitten im pulsierenden Herz Europas.

 

Aber nicht alle Entwicklungen in dieser Zeit waren positiv. Denken Sie an die Ereignisse von der Wirtschaftskrise bis hin zum Terror in der Welt. Auch in diesem Haus ist nicht alles nur besser geworden in diesen 20 Jahren. Ich möchte jetzt gerade zum Abschluss nicht moralisierend oder belehrend wirken, das ist nicht meine Rolle, aber ich möchte trotzdem zwei kleine Gedanken mit Ihnen teilen.

 

Erstens: Es ist auf Grund des Arbeitsaufwandes, der Schnelligkeit, der Kommunikation, der vielfältigen Verpflichtungen, die wir hier alle in verschiedensten Rollen haben, mittlerweile wirklich schwierig geworden, ein politisches Mandat und einen Zivilberuf unter einen Hut zu bringen. Ich weiß das aus eigener leidvoller Erfahrung, das können Sie mir glauben. Ich habe eine Firma in Wien, ich habe eine Firma in Berlin, Flug hin, Flug her, da wird es manchmal schon recht eng. Und trotz durchgearbeiteter Wochenenden ist es echt schwierig, das alles im Sinne des selbstauferlegten Qualitätsmaßstabes noch abzuarbeiten.

 

Politik ist, sage ich manchmal, wie ein Schwarzes Loch. Das ist jetzt nicht nach der Farbenlehre gemeint, sondern physikalisch: Sie zieht dich immer weiter hinein, sie frisst dich quasi auf. Deshalb ist es für Selbstständige und leitende Angestellte zusehends schwieriger, noch ein politisches Mandat auszuüben, ganz abgesehen von den ganzen persönlichen Verunglimpfungen in den sozialen Netzwerken.

 

Ich finde das nicht nur schade, sondern wirklich schädlich, meine Damen und Herren. Das freie Mandat kann nur dann frei sein, wenn man auch eine gewisse Freiheit in seiner Lebensführung hat. Das mag nicht jedem möglich sein, das ist mir schon klar, das kommt auf die persönlichen Lebensumstände an; aber ein Parlament, das ausschließlich von Berufspolitikern besetzt ist, hielte ich für den völlig falschen Weg. (Allgemeiner Beifall.)

 

Abhängigkeit vom Einkommen des Mandates macht auch Abhängigkeit in der Meinungsäußerung. (Beifall bei ÖVP und FPÖ.) Außerdem glaube ich wirklich, dass es gut ist, wenn man auch einen realen beruflichen Bezug im Leben da draußen hat. Theorie ist das eine, aber Praxis ist etwas ganz anderes. Ich denke, es wäre daher im ureigensten Sinne der Demokratie ein ganz interessanter Vorschlag – man könnte an die alten Griechen zurückdenken, wo man Politik als Dienst am Volk sah, aber nur auf eine gewisse Zeit –, Mandate zeitlich zu begrenzen, zum Beispiel auf drei Perioden. (Allgemeine Heiterkeit.)

 

Jetzt werden Sie natürlich sagen, haha der tut sich jetzt leicht. Von mir aus sollen es vier sein, aber ich würde das einmal nur unter diesem Gesichtspunkt als Denkanstoß einbringen. Das würde nämlich die Durchlässigkeit des derzeit ziemlich geschlossenen Systems, nämlich Politik auf der einen Seite und Leben außerhalb auf der anderen Seite, wesentlich verbessern.

 

Gleichzeitig darf man aber auch nicht stigmatisiert werden, wenn man parteipolitisch tätig war und dann nachher vielleicht Schwierigkeiten hat, einen Job in der Privatwirtschaft zu finden. Es liegt an uns, meine Damen und Herren, und an unserem Selbstverständnis, das zu ändern. Nur nach unten lizitieren, bringt uns gar nichts. Es gibt immer einen, der das Mandat hier – unter Anführungszeichen – noch billiger machen würde. Also ist das auch heute ein Aufruf an uns alle zu mehr Selbstbewusstsein. (Allgemeiner Beifall.)

 

Zweiter kurzer Gedanke: der Ton, in dem wir miteinander umgehen. Ich bin hier hoffentlich nicht als politisches Weichei und als rhetorischer Beckenrandschwimmer bekannt geworden und verschrien. Ich denke, ich habe sehr oft prägnant und hart in der Sache formuliert, aber mich bemüht, nie persönlich beleidigend zu sein. (Beifall bei der ÖVP.) Auch wenn ein Kollege eine andere politische Meinung hat, muss ich ihn nicht persönlich diffamieren. Und so habe ich es geschafft, meine Damen und Herren, in diesen 19 Jahren – ha, weiße Weste! – keinen einzigen Ordnungsruf zu kassieren.

 

«  1  »

Verantwortlich für diese Seite:
Stadt Wien | Geschäftsstelle Landtag, Gemeinderat, Landesregierung und Stadtsenat (Magistratsdirektion)
Kontaktformular