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Gemeinderat, 10. Sitzung vom 27.06.2016, Wörtliches Protokoll  -  Seite 4 von 121

 

einer Insel. Diese Tatsache ist gerade vor wenigen Tagen wieder ins Bewusstsein gerückt, als Großbritannien für den Austritt aus der EU gestimmt hat. Für Wien hat dies keine ganz direkten wirtschaftlichen Auswirkungen. Unsere Haupthandelspartner sind Deutschland und die osteuropäischen Länder. Aber auf globaler Ebene, was die politischen, die finanzwirtschaftlichen Aspekte betrifft, wird uns diese Entscheidung noch sehr lange und sehr intensiv beschäftigen.

 

Wien ist eine Metropole in der Mitte Europas und international aktiv in der Welt. Unsere Performance zeigt, dass wir uns innerhalb der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die uns die Wirtschaftskrise leider immer noch beschert, gut schlagen. Die internationale Finanz- und Wirtschaftskrise, die vor acht Jahren begonnen hat und Europa noch fest im Griff hat, beeinflusst auch Wien nach wie vor. Ich darf daran erinnern, in Österreich gab es im Jahr 2015 ein reales Wachstum der Bruttowertschöpfung von 0,7 Prozent. Für das heurige Jahr gehen die Experten und Expertinnen im Moment von einem etwas höheren, immer noch moderaten Wachstum von 1,8 Prozent aus. Auch in Wien sind die Zahlen ähnlich. 2015: prognostiziertes Wachstum von 0,5 Prozent, 2016: Erwartung 1,4 Prozent. Faktum ist, dass in Wien auf Grund der an sich erfolgreichen hohen Produktivität erst ab einem Wirtschaftswachstum von über 2 Prozent die Arbeitslosigkeit zu sinken beginnt. Wir haben es also immer noch mit steigender Arbeitslosigkeit zu tun, was mir und uns allen die allergrößten Sorgen bereitet.

 

Auf Grund der Wirtschaftskrise sind wir weiterhin mit relativ sinkenden Einnahmen und steigenden Ausgaben konfrontiert. Wäre die Wirtschaft auf Grund der internationalen Krise nicht im Jahr 2008 eingebrochen, so wäre das BIP heute um 30 Prozentpunkte höher, mit natürlich entsprechend höheren Einnahmen. Daher müssen wir weiter gegen die Krise anhalten, auf allen Ebenen, auch als Kommune, mit Investitionen, mit Qualifizierungsmaßnahmen, mit international aktiver Wirtschaftspolitik. (Beifall bei SPÖ und GRÜNEN.)

 

Sehr geehrte Damen und Herren, dass aber die europäische Austeritätspolitik, deren Credo das ausschließliche Sparen ist, versagt hat, zeigen neben dem massiven Vertrauensverlust der Bevölkerung vor allem die in weiten Teilen Europas höheren Arbeitslosenzahlen als in Österreich, mit Landstrichen, deren Infrastruktur für Investoren und Investorinnen nicht mehr attraktiv ist und die die nächsten Generationen mühsam wieder aufbauen werden müssen.

 

Bevor Sie jetzt sagen, schon wieder die Brauner mit ihrer Kritik an der Austeritätspolitik, darf ich Sie auf eine Einrichtung verweisen, die wohl nicht unter Verdacht steht, unter meinem politischen Einfluss zu stehen, den Internationalen Währungsfonds. Der IWF relativiert in seinen jüngsten Publikationen die Position der reinen Austerität. Ich fasse die Inhalte sinngemäß zusammen: Erstens sind hohe Staatsschulden nicht unbedingt erfreulich, müssen aber auch nicht schlecht sein. Es gibt also kein optimales Schuldenziel, es ist von Wirtschaft zu Wirtschaft unterschiedlich. Eine übermäßige Haushaltskonsolidierung kann manchmal schädlich sein im Sinne von Nachfragedrosselung. Freie Kapitalflüsse - ich bin immer noch beim IWF, meine Damen und Herren - können auch negative Folgen haben. Kontrollen der Kapitalflüsse werden daher mittlerweile auch vom IWF akzeptiert. Und es gibt keine fixe Agenda, die für jedes Land gültig ist und funktioniert. Das ist nicht neu. Der IWF hat in den letzten Jahren schon einige Male mit solchen kritischen Aussagen aufhorchen lassen. Zuletzt, und das habe ich an dieser Stelle schon in die Diskussion eingebracht, dass große Ungleichheit zwischen Arm und Reich für Volkswirtschaften wachstumsschädlich ist.

 

Zu diesem Aspekt, sehr geehrte Damen und Herren, gibt es neue Zahlen auch aus Österreich, vor wenigen Tagen von der Oesterreichischen Nationalbank veröffentlicht. Demnach verfügt das reichste Prozent der Bevölkerung über ein Viertel des Vermögens, während die gesamte ärmere Hälfte nur 3,2 Prozent besitzt. Das ist eine besorgniserregende Entwicklung und dafür gilt es, für mehr Gerechtigkeit entschieden einzutreten. (Beifall bei SPÖ und GRÜNEN.)

 

Das alles zeigt, es gibt keine einfachen, überall gültigen Lösungen, mit öffentlichen Haushalten während einer internationalen Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise umzugehen. Abgestimmt auf unsere österreichische, unsere Wiener Situation werden wir alles in unserer Möglichkeit Stehende tun, um der Krise gegenzusteuern, mit unseren Maßnahmen, die wir bereits begonnen haben und die wir konsequent weiterführen. Diese Gegensteuerungsmaßnahmen, die wir auf Grund der Krise nach wie vor dringend brauchen - investieren auf der einen Seite, soziale Versorgung auf der anderen - kosten viel Geld. Wir haben dennoch dafür gesorgt, dass Wien in allen Wirtschaftskennzahlen stabil dasteht. Das Bruttoregionalprodukt hat letztes Jahr 84,63 Milliarden EUR betragen. Die Einnahmen und Ausgaben der Stadt belaufen sich auf 13,08 Milliarden EUR. Damit beträgt der Schuldenstand 6,4 Prozent des Bruttoregionalproduktes. Und ich betone nochmals, 60 Prozent wäre laut EU die kritische Grenze, ab der Maßnahmen getroffen werden müssen. Wir halten also unsere Verschuldung in einem maßvollen Rahmen. Um das an einem einfachen Beispiel zu erläutern, diese Relation darzustellen: Es ist nämlich die Relation, als ob man ein Jahreseinkommen von 30.000 EUR hätte und die Gesamtverschuldung 12.432 EUR beträgt. Vielleicht gelingt es an diesem Beispiel, klarzumachen, was ich mit maßvoll meine.

 

Sehr geehrte Damen und Herren, bei der Pro-Kopf-Verschuldung liegt Wien im unteren Drittel aller Länder und Gemeinden. Weit vor uns befinden sich etwa Niederösterreich, aber auch Salzburg, Kärnten, die Steiermark. Selbstverständlich, sehr geehrte Damen und Herren, wäre es mir lieber, wenn die Wirtschaft wieder voll anspringen würde. Dann gäbe es mehr Einnahmen und weniger Ausgaben. Aber solange es nicht so ist, stehe ich zu unserem Kurs des Sparens und Investierens, sehr geehrte Damen und Herren. (Beifall bei SPÖ und GRÜNEN.)

 

Der Schuldenstand ist im letzten Jahr um 528 Millionen EUR auf 5,422 Milliarden EUR angewachsen. Ich bin schon gespannt, welche Phantasiezahlen wir heute

 

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