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Gemeinderat, 18. Sitzung vom 16.12.2016, Wörtliches Protokoll  -  Seite 9 von 99

 

GR Dkfm. Dr. Fritz Aichinger (ÖVP): Guten Morgen, Herr Stadtrat!

 

Wir haben die Historikerkommission gehabt, diese hat, glaube ich, 140 Namen festgestellt, 28 Schilder werden jetzt angebracht. Die Historikerkommission hat noch etwas festgestellt, dies kann man auf der Homepage der Gemeinde Wien nachlesen, nämlich dass bei einigen Politikern und Politikerinnen nach wie vor die Biographien nicht ausreichend sind, um alles wirklich feststellen zu können.

 

Werden Sie daher oder haben Sie bereits Auftrag gegeben, hier wissenschaftlich weiterzuforschen?

 

Vorsitzender GR Mag. Thomas Reindl: Bitte, Herr Stadtrat.

 

Amtsf. StR Dr. Andreas Mailath-Pokorny: Sehr geehrter Herr Gemeinderat!

 

Sie haben vollständig recht. Ich habe damals insbesondere im Zusammenhang mit Karl Renner, um nur einen zu nennen, die Anregung gemacht, dass dort zu diesem Zeitpunkt, nämlich im Jahr 2013, tatsächlich erstaunlich wenig biographisches Material vorgelegen ist, nämlich erstaunlich wenig für solch eine in der Geschichte der Republik bedeutende Figur. In der Zwischenzeit ist meines Wissens, allerdings ohne unsere Unterstützung oder unser Zutun, eine neue Renner-Biographie erschienen. Ich weiß auch, dass insgesamt die Forschung, beispielsweise auch für die Universitäten und dortigen Ehrenmitgliedschaften, sehr stark intensiviert wurde.

 

Ich bin im Übrigen in einem permanenten Dialog auch mit den Zeithistorikern, was einzelne Namen anbelangt. Wir haben uns in der jüngeren Vergangenheit auf die Formulierung - wie Sie sich vorstellen können, ist dies nicht immer ganz einfach, nämlich weniger des Inhalts als der Kürze wegen - der Zusatztafeln konzentriert. So kann ich Ihnen sagen, dass es für das gesamte Thema und für die gesamte Forschung laufend neues Material gibt und wir auch versuchen, dieses jeweils einzubeziehen und es in diese ja doch nur - aber immerhin - symbolischen Fragen einfließen zu lassen.

 

Vorsitzender GR Mag. Thomas Reindl: Die 2. Zusatzfrage kommt von Herrn GR Dipl.-Ing. Margulies von den Grünen.

 

9.30.58

GR Dipl.-Ing. Martin Margulies (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Stadtrat! Guten Morgen!

 

Diese Frage bietet noch einmal kurz die Möglichkeit, den Rathkolb-Bericht und insbesondere die von Ihnen schon angesprochenen 28 Zusatztafeln in Erinnerung zu rufen, wobei es mich sehr freut, dass das in sehr guter Kooperation mit den Bezirken stattfindet. Die Frage an Sie: Welchen Stellenwert hat aus Ihrer Sicht für lebendige Zeitgeschichte das Anbringen von Zusatztafeln, um Personen, wenn es auch nur ganz kurz ist, etwas ganzheitlicher zu beleuchten?

 

Vorsitzender GR Mag. Thomas Reindl: Bitte, Herr Stadtrat.

 

Amtsf. StR Dr. Andreas Mailath-Pokorny: Ich glaube, das ist von allergrößter Bedeutung. Ich spreche da vielleicht auch ein bisschen aus dem Nähkästchen, wie man so schön sagt, weil wir haben bei der ersten Formulierung von Zusatztafeln selber gelernt, wie man Geschichte, geschichtliche Entwicklung und auch die Ambivalenz von Persönlichkeiten möglichst kurz und prägnant so formulieren kann, dass es einem langen Leben entsprechend gerecht wird. Ich halte diese Lernprozesse, die wir dabei selber, aber auch mit den Expertinnen und Experten, aber auch mit der Bevölkerung durchlaufen, für ganz essenziell. Es ist auch so, wie ich in meiner Antwort auf die 2. Frage zu schildern versucht habe, dass man in der Beschäftigung damit immer wieder auf neue Dinge draufkommt. Insofern ist das ein Abschichten von historischen Überlagerungen, und das halte ich für ganz essenziell. Ich weiß und ich weise auch darauf hin, dass Wien da durchaus in Europa eine Vorreiterrolle hat. Es gibt meines Wissens jedenfalls in der Größenordnung der Stadt keine so systematische Untersuchung der eigenen Geschichte, es betrifft ja nicht nur die nationalsozialistische Geschichte, sondern es geht weit darüber hinaus. Viele Namen in Wien und fast die Mehrzahl der straßenbezogenen Namen, die problematisch sind, beziehen sich auf Persönlichkeiten, die im 15., 16., 17. und den nachfolgenden Jahrhunderten gelebt haben. Insofern ist es durchaus ein Lernprozess, und wir dokumentieren diesen auch. Es ist also nicht nur die Tatsache, dass wir Zusatztafeln aufhängen, sondern, ich weise noch einmal darauf hin, in den entsprechenden Publikationen der Stadt, seien sie analoger oder digitaler Natur, wird das ja auch aufgearbeitet und darauf hingewiesen.

 

Vorsitzender GR Mag. Thomas Reindl: Die 3. Zusatzfrage kommt von Herrn GR Mag. Ebinger, FPÖ.

 

9.33.59

GR Mag. Gerald Ebinger (FPÖ): Guten Morgen, Herr Stadtrat!

 

Ich stimme Ihnen zu, wenn Sie sagen, dass diese Namensnennungen auch die Geschichte Wiens widerspiegeln, weswegen wir grundsätzlich nicht umbenennen. Es gibt aber eine Dimension, die darüber hinausgeht. Was mich stört, ist, es gibt Zusatztafeln für 28 Namen, es gibt aber auch eine Liste von Namen mit Diskussionsbedarf, also nicht mit intensivem oder wie es da immer heißt, sondern mit Diskussionsbedarf. Es sind doch einige namhafte Sozialdemokraten dabei, und ich habe mir Julius Tandler herausgenommen, denn Julius Tandler gehört zu diesen Personen. Er läuft interessanterweise im Bericht nicht als Politiker, obwohl er Gesundheitsstadtrat der SPÖ war, sondern, ich glaube, als Wissenschaftler. Es ist derzeit auch eine Ausstellung im Waschsalon im Karl-Marx-Hof - Sie erlauben, dass ich ganz kurz aushole, weil ich auf diese Auffassungsunterschiede hinweisen möchte. Da steht in dem Prospekt der Ausstellung: „Sein Fortschrittsoptimismus verheißt eine neue Zeit mit neuen Menschen in einer besseren sozialistischen Gesellschaftsordnung. Die sozialistische Eugenik basiert auf Aufklärung und Freiwilligkeit. Eine Gleichsetzung mit der Eugenik der nationalsozialistischen Rassenhygiene ist daher nicht zulässig.“ - Das steht auf der einen Seite, im Bericht selber wird Tandler zitiert: „Welchen Aufwand übrigens die Staaten für vollkommen lebensunwertes Leben leisten müssen, ist zum Beispiel daraus zu ersehen, dass die 30.000 Vollidioten Deutschlands einen Staat 2 Millionen Friedensmark kosten.“ Und so weiter, und so weiter, es sind mehrere

 

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