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Gemeinderat, 60. Sitzung vom 25.11.2019, Wörtliches Protokoll  -  Seite 45 von 100

 

Projekt Europäische Union bevölkerungsmäßig, historisch und idealistisch gesehen überhaupt vollständig ohne die Staaten des Westbalkans? - Auf der Seite der Argumente gegen eine EU-Erweiterung am Westbalkan stehen ganz klar der aktuelle Zustand der Europäischen Union, die wirtschaftlichen Gründe - es werden natürlich Kosten auf uns zukommen - und nicht zuletzt auch religiöse Fragen mit Hinblick auf Bosnien und Herzegowina. Dazu kommen natürlich Spezialfragen, etwa die konfliktreiche Geschichte des Balkans, sowohl ihre ethnischen als auch ihre kulturellen Konflikte. Es gibt aber auch einige gewichtige Argumente dafür, und zwar gerade für Österreich mit unserer Geschichte und mit unserer Verortung innerhalb Europas. Es ist eine sehr lustige Anekdote, als unser Geschichteprofessor auf der Uni Wien einmal darauf hingewiesen hat, wie sehr wir Ostösterreicher uns als Teil Westeuropas sehen, obwohl wir relativ weit im Osten Europas angesiedelt sind. Wir können, glaube ich, nicht von der Hand weisen, wie untrennbar wir bevölkerungsmäßig und kulturell und historisch mit dem Gebiet des Westbalkans verbunden sind.

 

Der Balkan war schon immer ein sehr umkämpfter Bereich in Form von Einflussgebieten. Wir hatten das osmanische Einflussgebiet im Süden, wir hatten das zaristische und später kommunistische Einflussgebiet im Osten und eben die Habsburger-Monarchie, was dann alles fatal im Ersten Weltkrieg geendet hat. Und es ist heute wenig anders: Wir haben aus dem Süden kommend türkisch-arabische, religiös dominierte Interessengruppen, wir haben einen nationalistischen Faktor mit Russland, und wir haben eben die westeuropäische Kraft mit der Europäischen Union, die versucht, ihre Werte auch dort zu promoten, nämlich Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Religionsfreiheit.

 

Schaut man sich an, welche außereuropäischen Mächte konkret am Westbalkan um Einfluss kämpfen, so ist das die Türkei auf wirtschaftlicher Ebene, es sind der Iran und Saudi Arabien auf religiöser Ebene, es ist China, das sich wirtschaftlich mittels Krediten sehr stark engagiert. Ich habe gesehen, dass Kollege Kohlbauer den Kopf geschüttelt hat, weil es um den Westbalkan geht, aber ich darf daran erinnern, es war eure Außenministerin, Frau Karin Kneissl, die ein Buch mit dem Titel „Wachablöse - Auf dem Weg in eine chinesische Weltordnung“ geschrieben hat. Darin hat sie argumentiert, dass der chinesische Einflussbereich am Westbalkan extrem am Steigen ist und dass sich Europa dort umso mehr engagieren muss. - Ja, das war eure Außenministerin! Ich hoffe, das vergesst ihr nicht, wenn es um unseren Antrag geht. (Beifall bei der ÖVP. - Zwischenruf von GR Michael Stumpf, BA.) Ich bin mir aber sicher, du wirst mir dann profunde Gegenargumente liefern - wie das letzte Mal. Ein (erheitert) zynisches Lachen.

 

Ich möchte ganz schnell zwei Argumentationslinien aufbauen: Einerseits können wir idealistisch argumentieren, dass die EU ihre Werte am Westbalkan verbreiten muss und dass das gut für die dort lebenden Menschen ist, aber andererseits können wir genauso realistisch argumentieren, indem wir auf die sicherheitspolitische Interessenlage der EU hinweisen. Solange wir dieses Vakuum am Westbalkan nicht füllen, werden es andere machen, und dass dieses Vakuum am Westbalkan von türkischen, von iranischen, von russischen oder chinesischen Interessengebieten eingenommen wird, das ist ganz eindeutig nicht im Interesse Österreichs und nicht im Interesse der EU. (Beifall bei der ÖVP.)

 

Es stellt sich auch die Frage, wie wir den Nationalismus und die Krisen innerhalb der westeuropäischen Staaten lösen können - auch da bietet die EU eine neue Perspektive. Und es stellt sich auch die Frage, wie glaubwürdig die Europäische Union ist, wenn sie sich einerseits mit ihrer Softpower auf der internationalen Ebene positioniert und sagt, wir stehen für Rechtsstaatlichkeit, wir stehen für Frieden, wir stehen für Stabilität, aber gleichzeitig nicht einmal das eigene Wort halten kann. Das bedeutet nicht, dass die Europäische Union immer, wenn Sie sagt, wir beginnen Aufnahmegespräche, diese auch zu Ende führen muss, wenn die Rahmenbedingungen nicht passen, aber es bedeutet sehr wohl, dass man nicht aus einem nationalstaatlichen und parteipolitischen Kalkül heraus kurzfristig alles über den Berg werfen darf.

 

Aus diesen Argumenten möchte ich Folgendes zusammenfassen: Erstens, der Balkan braucht diese EU-Perspektive. Es ist die einzige Perspektive, an die sich die reformorientierten Kräfte halten können. Es ist vielleicht nicht der Fall, dass sich alle amtierenden Regierungen für die EU ganz konkret aussprechen, aber es ist wichtig für die Bevölkerung, dass sie von den Werten profitiert, die die EU zu vermitteln versucht. Die EU muss geradlinig vorgehen, um glaubwürdig zu sein, sie muss klare Taten setzen, sie muss die Reformen auch innerhalb dieser Staaten am Westbalkan unterstützen. Schlussendlich ist der Beitritt des Westbalkans tatsächlich im wirtschaftlichen und im sicherheitspolitischen Interesse der Europäischen Union und Österreichs.

 

Deswegen bringen wir einen Antrag ein, dass die Mitgliedstaaten der Europäischen Union aufgefordert werden, Verantwortungsbewusstsein gegenüber Albanien und Nordmazedonien zu zeigen und bei ihrem nächsten Treffen einen einstimmig positiven Beschluss über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen zu fassen. (Beifall bei der ÖVP.)

 

Ich habe noch ein zweites Thema ganz kurz mitgebracht, das ist die Frage der Städtepartnerschaften. Wien hat ja einige Städtepartnerschaften, hauptsächlich mit Städten der westlichen Welt oder der westlichen Hemisphäre, um es politisch korrekt auszudrücken. Wir haben letztes Jahr in Wien, relativ um diese Zeit, das EU-Afrika-Forum gehabt, bei dem in die Richtung gegangen wurde, nicht nur die klassische Entwicklungszusammenarbeit, sondern genauso Investitionen zu verfolgen sowie im Bereich der Digitalisierung auf Augenhöhe zu agieren. Das wird auch von Vertretern der afrikanischen Zivilgesellschaft immer wieder eingefordert, nämlich nicht nur klassische Entwicklungszusammenarbeit, sondern sehr wohl auch die wirtschaftliche Entwicklung Afrikas so zu fördern, dass die Menschen tatsächlich profitieren. Wir können das Hilfe zur Selbsthilfe nennen, wenn wir ideologischer sein möchten. Wir glauben, dass

 

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