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Gemeinderat, 2. Sitzung vom 10.12.2020, Wörtliches Protokoll  -  Seite 80 von 106

 

ken. Wir halten natürlich sämtliche Kriterien zum Erwerb einer Staatsbürgerschaft ein, möchten aber den Leuten die reale optionale Möglichkeit geben. Eine gut integrierte Verkäuferin, die zum Beispiel beim Billa halbtags arbeitet, hat nämlich auf Grund der Hürden beim Erwerb unserer Staatsbürgerschaft niemals die Möglichkeit, österreichische Staatsbürgerin zu werden, und niemals die Möglichkeit, mitzugestalten. Und das ist ungerecht, das ist kernungerecht.

 

Damit bin ich bei der Frage, die ich in der ersten Wortmeldung aufgeworfen habe: Warum identifizieren sich die Leute nicht mit uns? - Deswegen! Weil wir sie nicht genügend willkommen heißen und ihnen die Möglichkeit geben können, zu sagen, das ist unser Land, das ist unsere Heimat, wir gestalten sie gemeinsam.

 

Wenn wir sagen, dass wir 6.700 Einbürgerungen abgewickelt haben, dann bedeutet das erstens, dass die MA 35 viel Arbeit geleistet hat. Aber wir müssen auch darüber nachdenken, wie viele wir gut integriert, sprachfähig, motiviert, lang ansässig noch einbürgern können hätten. Und es ist wahrscheinlich ein wichtiger, wenn nicht der wichtigste Schritt im demokratiepolitischen Konzept, dafür zu sorgen, dass deutlich mehr in Wien lebende Menschen mitgestalten können. Das kann man über Bürgerbegehren und über alle möglichen anderen Dinge erreichen, aber im Wesentlichen über den Kern der Sache, nämlich das Wahlrecht.

 

Das Wahlrecht ist kein Geschenk, aber wir dürfen in der Integrationspolitik auch nicht die „Herr der Ringe“-Logik haben und sagen: Das Wahlrecht ist mein Schatz, und diesen gebe ich nicht her! - Das kann es nicht sein. Das Wahlrecht ist ein Schatz, und dieses gebührt allen, die es sich verdienen. Diesen Kreis von Menschen muss man demokratiepolitisch ausdehnen.

 

In diesem Zusammenhang - ein bisschen Zeit haben wir noch - eine kurze Klarstellung: Wir haben uns im Ausschuss dazu bekannt - und dazu stehe ich auch -, dass wir einen Ordnungsdienst im Bereich der MA 35 eingerichtet haben. Das dient dem Schutz der dort arbeitenden Menschen und unserer Kundinnen und Kunden. Das ist eine Hilfe für alle. Das ist keine Konnotation und kein Generalverdacht, sondern das ist Sorge und Fürsorge für alle Menschen, die dort sind, und das wird auch gut angenommen. Ich sage, damit hier kein falscher Eindruck entsteht: Wir glauben nicht, dass MigrantInnen gefährlich sind. Wir glauben aber, dass MigrantInnen und MitarbeiterInnen manchmal gefährdet sind, und deshalb nehmen wir sie in Schutz. Das ist unsere Pflicht als ordentliche Stadt und als ordentlicher Dienstgeber.

 

Ich bedanke mich bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, besonders bei den MitarbeiterInnen des Menschenrechtsbüros, bei den MitarbeiterInnen der MA 17 und bei den MitarbeiterInnen der MA 35. Ich freue mich ungemein auf das Projekt für mehr Partizipation und mehr Demokratie, das in unserem tollen Regierungsprogramm steht. Wir werden dieses mit Ihnen allen gemeinsam umzusetzen. - Ich danke Ihnen schön.

 

Vorsitzender GR Mag. Thomas Reindl: Vielen Dank. Die Redezeit betrug elf Minuten und ist damit für die SPÖ erschöpft und verbraucht. Als Nächster zum Wort gemeldet ist GR Kunrath. Selbstgewählte Redezeit fünf Minuten. Die Restredezeit seiner Fraktion beträgt sieben Minuten, die ich auch einstellen werde. Bitte schön.

 

18.17.31

GR Nikolaus Kunrath (GRÜNE)|: Sehr geehrter Vorsitzender! Herr Stadtrat! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuseher am Livestream!

 

Wien ist Menschenrechtsstadt. Das hat der Gemeinderat am 19. Dezember 2014 einstimmig beschlossen. Doch im Regierungsprogramm von SPÖ und NEOS finde ich dazu leider sehr wenig. Und auch wenn Florian Florianschütz - entschuldige, Peter, dass mir das passiert! -, also auch wenn Peter Florianschütz jetzt gerade gesagt hat, dass Menschenrechte eine Querschnittsmaterie sind, so erwarte ich mir aber trotzdem, dass man spezifisch auf die Menschenrechte und entsprechende Themen eingeht.

 

Wenn du vom Wahlrecht sprichst und dann selbst für alle Menschen, die keine österreichische Staatsbürgerschaft haben, ausschließt, dass sie das Wahlrecht haben, dann ist das kein Wahlrecht für alle. Das ist dann eine maximale Partizipation, wie du es nennst, aber kein Wahlrecht, und das finde ich bedauerlich.

 

Dramatisch finde ich allerdings, dass die FPÖ heute, am Tag der Menschenrechte, mit Teilen ihrer heutigen Anträge meiner Meinung nach die seinerzeitige Vereinbarung vom 19. Dezember mit Füßen tritt. Das finde ich wirklich beschämend und bestürzend! Unter anderem auch deswegen bringe ich den Antrag ein, dass das Menschenrechtsbüro gerade jetzt aufgewertet werden muss. Es soll nicht nur Personalevaluierungen geben, wie es im Koalitionsübereinkommen steht, sondern es sollen tatsächlich sinnvolle Dinge passieren, die auch eine direkte Möglichkeit geben, selbstständig und unabhängig zu arbeiten und nicht nur als kleines Nebenwerk der Magistratsabteilung 11.

 

Menschenrechte spielen eine zentrale Rolle, wenn es darum geht, wie wir als Gesellschaft agieren. Menschenrechte gelten bedingungslos für Österreich, aber auch anderswo. Menschenrechte in Wien zu stärken, heißt auch - und dazu mein Antrag -, an einem selbstständigen Menschenrechtsbüro zu arbeiten.

 

Menschenrechte sind auch an den EU-Außengrenzen zu schützen. So komisch das für manche von der ÖVP klingen mag: Im Moment habe ich den Eindruck, dass die Menschenrechte an den EU-Außengrenzen erodieren. Berichte über die Balkanroute von MSF sind erschütternd. Erst am Montag habe ich von „Ärzten ohne Grenzen“ Berichte bekommen, dass die am häufigsten durchgeführte Behandlung bei Kindern im Lager auf Lesbos Rattenbisse sind. Und nicht nur der Liebe Augustin hat gewusst, was dies zur Folge haben kann, nämlich die Pest. Da sollten wir genau hinschauen!

 

Wohin aber schaut die FPÖ? - Sie verlangt in dieser Situation in einem heutigen Antrag eine temporäre Aussetzung des Asylrechts, also eine temporäre Aussetzung des Menschenrechts, damit Österreich diesen Frauen, Männern und Kindern nur ja nicht helfen kann! Meiner Meinung nach bedeutet das am Tag der Menschenrechte, die Menschenrechte durch einen solchen Antrag zu missachten.

 

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