«  1  »

 

Gemeinderat, 3. Sitzung vom 16.12.2020, Wörtliches Protokoll  -  Seite 62 von 101

 

herangehen, um das zu ermöglichen. In einer Situation, in der KinderpsychologInnen vor Ort von siebenjährigen Kindern berichten, die sich überlegen, sich das Leben zu nehmen. Oder wie Bundeskanzler Sebastian Kurz unlängst meinte: „Wir werden uns an schreckliche Bilder gewöhnen müssen.“ Nein, das werden wir uns niemals, und wir werden es nicht als GRÜNE, und wir werden es hoffentlich alle hier in dieser Stadt nicht!

 

Denn keiner von uns darf sich an Tod und Menschenrechtsverletzungen auf dieser Welt gewöhnen, die wir verhindern können. Ich möchte Ihnen einen kurzen Bericht von Christoph Riedl erzählen, den Leiter der evangelischen Flüchtlingshilfe, der Diakonie, den er wiedergegeben hat, der mit einer Frau in Kara Tepe gesprochen hat. Sie hat ihm erzählt: „Unser Zelt ist zusammengebrochen, wir haben unser zwei Wochen altes Baby und die Kinder im Nachbarzelt untergebracht. Wir haben dann weiter versucht, dieses Zelt wieder aufzustellen.“ Nach einiger Zeit, als die Versuche offensichtlich gescheitert waren, hat sie wieder Christoph Riedl getroffen und hat gesagt: „Wir sind jetzt auch bei den Nachbarn.“ So ist die Situation vor Ort: Im Schlamm, in dünnen Zelten werden Menschen nur mehr zusammengepfercht und niemand kümmert sich um sie. Und nur so nebenbei, und das sei wirklich nur nebenbei angemerkt, dass die vom Innenminister so ganz unmedial hemdsärmelig geladene Bundesheermaschine seinerzeit nach dem Brand von Moria österreichische Hilfe vor Ort hätte bringen sollen, in Athen ist sie dann gestrandet. Aber dabei waren auch Lieferungen von Heizstrahlern, die strombetrieben sind und 3.000 Watt pro Gerät benötigen - also eher ein unmögliches Unterfangen, wenn nicht einmal eine Glühbirne verwendet werden kann, weil es im ganzen Lager keinen Strom gibt! Besonders vulnerable Personen wurden in Kara Tepe untergebracht, Frauen, Kinder, Familien. Derzeit befinden sich etwa 9.000 Menschen in Kara Tepe. Gleichzeitig, nach einer Recherche von „Courage - Mut zur Menschlichkeit“, gäbe es ad hoc in Österreich Platz für 3.188 Menschen, das ist Platz für 3.188 schützenswerte Menschenleben!

 

Wir können das, es ist machbar und wir können auch ein Vorbild für Europa sein und diesen Diskurs anstoßen. Hilfe vor Ort heißt, auch sinnvoll helfen, und ich weiß das als Helfer, der vor Ort war. Ich habe in Flüchtlingslagern gearbeitet, ich war in Flüchtlingslagern verantwortlich. Aber Hilfe vor Ort kann oft auch zum Gutgemeinten das Gegenteil bewirken, wie das einerseits die Wärmestrahler zeigen. Oder ich möchte Sie nur erinnern, wie ein bekanntes Schweizer Unternehmen in Afrika mit Trockenmilch in Regionen ohne reines Wasser ein Produkt weitergegeben hat, das da natürlich keinen entsprechenden Nutzen gehabt hat und die Betroffenen mit dieser Spende nichts anfangen konnten.

 

Wir stehen kurz vor dem Weihnachtsfest, vielleicht für nicht alle gleich wichtig hier in diesem Saal, aber für mich ein Fest der Liebe und auch der Nächstenliebe vor allem. Das sollten wir nicht nur einem Konsumgedanken überlassen, sondern vielleicht auch dem Gedanken, anderen ein wahres Geschenk zu machen, nämlich Sicherheit und Zukunftschance zu geben. Das hätte auch einen enormen Vorteil für Österreich. Österreich ist ein Einwanderungsland seit jeher und damit angewiesen, ich betone das wieder und wieder und gerne, auf Migrantinnen und Migranten, die in vielerlei Hinsicht eine enorme Bereicherung darstellen. Selbiges gilt für Menschen mit Fluchtbiographie. Wir haben alle davon schon profitiert, nicht nur ich als GRÜNER, sondern jeder und jede von uns kennt seine Geschichten und hat seine Erfahrungen mit Menschen, die in Not nach Wien gekommen sind, hier Platz gefunden haben und hier auch Wien und seine Bewohnerinnen und Bewohner bereichert haben. Nein, ich bin nicht blauäugig und träume von einer Phantasiewelt, in der alle glücklich und zufrieden sind. Aber Sie, Herr Krauss, Sie, Herr Wiederkehr, Sie, Herr Taucher, wir hatten die Gnade der Geburt hier in Österreich. Wir haben nichts dazu beigetragen. Wir sind nicht daran schuld, hier zu sein, aber ebenso sind wir nicht daran schuld, wie es anderen geht und haben Verantwortung dafür in Syrien, in Nigeria, in Afghanistan, wo auch immer sie sie heute aufgezählt haben. Dass die Kinder dort geboren sind, ist ihre gleiche Unschuld wie die Unschuld, dass wir hier geboren sind. Der wesentliche Unterschied zwischen diesen Orten ist, wie das politische System es zulässt, die Meinung zu äußern, trotz allem ein stabiles Gesundheitssystem zu haben, unterschiedliche ethnische Herkunft, grundsätzlich friedlich miteinander leben zu können. Ja, die einen oder anderen werden diesen Satz vielleicht, den letzten, nicht vollinhaltlich unterschreiben können, wie uns der alljährliche Antisemitismusbericht zeigt, oder andere auf Grund von Hetze auch nicht. Aber wir haben wenigstens Organisationen wie ZARA, die heute von uns hier ja gefördert werden, die es versuchen und die in einer anderen Form es immer wieder weiterbringen. Es wurde im Bund eine rechtliche Verbesserung gegen Hass im Netz erst unlängst geschaffen.

 

Aber zurück. Keine Frage, wir GRÜNE werden heute den Antrag für die Projekte dieser drei Organisationen Diakonie, Caritas und Arbeiter-Samariter-Bund unterstützen, weil ich eines der Projekte schon im September eingebracht habe, als Idee eingebracht habe und es sehr gut finde, dass das kommt. Aber eines muss uns auch allen dabei klar sein: Wer reine Hilfe vor Ort und die Verfestigung von Lagerstrukturen an den EU-Außengrenzen fordert und fördert, der übersieht, dass damit in Wahrheit Kosten entstehen, die unserer Gesellschaft auch nicht zurückgegeben werden können. Integriert man aber Menschen und werden sie vollwertig Teil unserer Gesellschaft und lassen wir uns gemeinsam darauf ein, so profitieren beide Seiten. In Wien leben knapp 300.000 sogenannte Drittstaatsangehörige, also Menschen aus Ländern, die nicht der EU beziehungsweise der EFTA angehören. Knapp ein Drittel der Eingebürgerten in Wien sind in Wien geboren. Also bemühen wir uns doch, auch wenn SPÖ und NEOS Wien nicht wie Hamburg, Bremen oder Berlin oder ungefähr 200 andere Städte Deutschlands zu sicheren Häfen machen wollen, dass die Hilfe vor Ort dazu führt, dass auch jene, denen vor Ort nicht geholfen werden kann, das kann aus diversen Gründen passieren, die Sicherheit bekommen, die

 

«  1  »

Verantwortlich für diese Seite:
Stadt Wien | Geschäftsstelle Landtag, Gemeinderat, Landesregierung und Stadtsenat (Magistratsdirektion)
Kontaktformular