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Gemeinderat, 71. Sitzung vom 30.06.2020, Wörtliches Protokoll  -  Seite 13 von 110

 

systemrelevanten Berufen waren, haben sie sich trotzdem meistens dann noch die Zeit genommen, auch das alles zu erledigen. Sie taten das und mussten das tun, weil in unsicheren Zeiten eben beim Mann weniger Abstriche im Job gemacht werden, weil er ja mehr verdient und deswegen das Familieneinkommen wichtig ist. Deswegen kann er dann häufig auch die Kinder nicht zu Hause unterrichten und putzen und kochen, und so weiter.

 

Das heißt, die Corona-Krise war auch im Bereich der Gleichberechtigung eine besondere Herausforderung und man hat auf eine sehr pragmatische Art und Weise auch diese tradierten Rollenbilder wieder ganz selbstverständlich gemacht. Man hat das gemerkt im Umgang damit und wie uns Bilder vermittelt wurden auch seitens der Bundesregierung. So hat man auch gemerkt, mit welcher Priorität der Bereich Bildung, auch die Betreuung von Kindern angegangen wurde, sie waren die Letzten, die von den Lockerungen betroffen waren, es war der Bereich, in dem am wenigsten informiert wurde, in dem man sich einfach darauf verlassen hat, dass das in einer sehr traditionellen Familie schon funktionieren wird.

 

Jetzt fahren wir langsam zum alten Normalzustand zurück, aber ich glaube, wenn man in die Zukunft blickt, dann ist es schon auch wichtig, dass man Strukturen aufbauen muss, um diese Geschlechtergerechtigkeit liefern zu können. Dazu gehört für mich in erster Linie der Ausbau der Kinderbetreuung und ein Rechtsanspruch ab dem ersten Lebensjahr - ich werde dazu heute später noch eingehen -, flexible Arbeitszeiten, mehr Väterbeteiligung in der Karenz und auch ein automatisches Pensionssplitting.

 

Das Frauenthema in der Corona-Krise war aber auch sehr stark ein Thema der Gewalt in der Familie. Die Gewalt in den Familien hat in dieser Zeit zugenommen, das ist auch klar, dass in dieser Situation durch Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit, Kinder zu Hause, der Stresslevel ein ganz ein anderer war und dass das zusätzlichen Stress erzeugt hat. Es wurden aber auch 2019 wieder einmal 39 Frauen von ihrem Partner oder in vielen Fällen vom Ex-Partner ermordet. Es gab 2019 über 25.000 Gewaltdelikte in Wien und das sind um 3,8 Prozent mehr als im Vergleich zum Vorjahr. Die Kriminalstatistik dokumentiert leider nicht alle Gewaltdelikte, weil es ja nur um jene geht, die tatsächlich zur Anzeige gebracht wurden. Das heißt, man kann von einer sehr hohen Dunkelziffer in diesem Bereich ausgehen.

 

323 Anzeigen wegen Vergewaltigung, das hat sich auch erhöht. Bei der Frauen-Helpline gab es während der Corona-Maßnahmen im März um 50 Prozent mehr Anrufe, und auch bei der Hotline „Rat auf Draht“, dem Notruf 147, gab es ein Drittel mehr Anrufe als in Vergleichsjahren von Kindern und Jugendlichen, die um Rat und Hilfe angesucht haben. Mitte April wurde mit 91 Betretungsverboten innerhalb einer Woche ein Höchstwert erreicht, Ende März waren es 84 innerhalb einer Woche.

 

Das alles sind beängstigende Zahlen, auf die man natürlich sehr gut schauen muss und vor allem muss man Maßnahmen setzen. Ich weiß jetzt schon, dass vieles, was Gewaltschutz betrifft, in Bundeskompetenz liegt, ich bin aber der Meinung, dass auch Wien hier, natürlich in seinem Verantwortungsbereich und auch, wenn es darüber hinausgeht, Maßnahmen und Zeichen setzen kann, um da entgegenzuwirken.

 

Ich habe lustigerweise heute in der Früh erst ein Interview von Rosa Logar gelesen, die die Leiterin der Interventionsstelle gegen Gewalt in Wien ist. Sie hat auch sehr besorgniserregend darüber berichtet, wie es momentan zugeht und auch über diese Zahlen, die sich in eine ganz falsche Richtung entwickeln. Sie sagt auch, dass eben Opfer im Durchschnitt selten Schutz durch die Polizei bekommen, weil sie manchmal auch weggeschickt werden. Diese Fälle gibt es also, und wir müssen da wirklich darauf schauen, dass da ernsthaft damit umgegangen wird. Viele wenden sich, wie gesagt, gar nicht an die Polizei, die Dunkelziffer ist hoch, aber auch das Wegschicken kommt oft vor, weil eben Fälle noch nicht in die unmittelbare Gefährdung fallen oder wenn eben Anzeichen da sind, die noch nicht darauf schließen lassen, dass da tatsächlich Gewalt angewendet wurde. Da muss man also echt darauf schauen, dass man auch solche Fälle ordentlich behandelt.

 

Sie sagt natürlich auch, dass die geringe Erhöhung des Frauenbudgets auf Bundesebene ein Riesenthema ist, von 10 auf 12 Millionen EUR, damit kann man einfach keine Sprünge machen, und sie appelliert wirklich an alle Verantwortlichen, im Bereich der Opferschutzeinrichtungen mehr Verantwortung zu übernehmen, mehr zu investieren, um einfach mehr Angebote zu schaffen.

 

Die Wiener Interventionsstelle ist eine, die natürlich nicht alle aufnehmen kann. Sie haben, glaube ich - ich habe es mir vorhin aufgeschrieben - 5.800 Opfer pro Jahr, die sie hier betreuen, das macht durchschnittlich 5 Stunden pro Opfer, die sie damit beschäftigt sind, und sie gelangen einfach an ihre Ressourcengrenze. Die Wiener Interventionsstelle hat auch kein Angebot, das rund um die Uhr zur Verfügung steht, das heißt, sie haben natürlich auch keine rechtsmedizinische Untersuchung, und ich glaube, das ist für Gewaltbetroffene besonders wichtig.

 

Ich habe es hier auch schon einmal gesagt und ich weiß, dass Sie meinem Antrag zur Errichtung von Gewaltambulanzen auch nicht zustimmen. Ich bin der Meinung, wir müssen die Diskussion darüber weiterführen, was es an zusätzlichen Angeboten brauchen kann. Auch wenn Sie es nicht so nennen wollen oder andere Formen da als geeigneter sehen, bin ich durchaus dafür, auch darüber zu diskutieren, aber Gewaltambulanzen hätten halt auch drei wesentliche Ziele und Vorteile. Wir könnten den Opferschutz auf der einen Seite stärken, wir hätten eine gerichtsfeste Beweissicherung und damit natürlich bessere Aussichten auf Erfolg, wenn es zu Verurteilungen kommt. Das ist einfach noch das größte Problem, die Verurteilungsrate ist in diesem Bereich viel zu niedrig.

 

In diesem Sinne danke ich für die Aufmerksamkeit, ich freue mich trotzdem, wenn Sie zustimmen. Das soll jetzt kein Freibrief sein, um zu sagen, nein, das braucht es eh nicht. Ich freue mich, wenn Sie zustimmen und

 

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