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Gemeinderat, 9. Sitzung vom 28.04.2021, Wörtliches Protokoll  -  Seite 85 von 114

 

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Menschenrechte sind unteilbar und universell und unverhandelbar. Auch Europa hat das erst 1950 erkannt und durch die Europäische Menschenrechtskommission umgesetzt. Davor hat Europa eine schmerzliche Geschichte von Krieg, Genozid und Vertreibung durchlebt und dass die Fratze der Unmenschlichkeit sehr nahesteht, haben die 90er Jahre bewiesen, als 1994 in Ruanda und hier in Europa 1995 in Srebrenica ein Genozid passiert ist. Aber Europa hat sich dieser Geschichte gestellt und deswegen haben wir das Recht, über ein Ereignis zu sprechen, das Papst Franziskus als das erste Genozid des 20. Jahrhunderts bezeichnet hat. Es jährt sich am 24. April zum 106. Mal.

 

Wir ersuchen in unserem Antrag, jenen Staat, der 1990 die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte anerkannt hat, das war nämlich die Türkei, sich diesem Thema offensiv und transparent zu widmen. Denn das Gegenteil der Menschenrechte ist der Krieg. Es sterben dort nicht nur die Wahrheit, sondern auch die Rechte der Zivilbevölkerung und der Menschen, die in diesem Konflikt aufwachsen oder leben müssen. Der Konflikt, über den wir sprechen, ist 100 Jahre alt, oder vielleicht noch länger, von 1915 bis 2020, denn alle Konflikte dazwischen, 1918, 1985 und 1992 - und das ist der Grund, warum wir sehr wohl glauben, dass heute der richtige Tag ist, wieder darauf hinzuweisen - hatten ihren Grund in den Ereignissen des Jahres 1915 und folgende.

 

Es ist richtig, dass der Gemeinderat 2015 dieses Genozid verurteilt hat, allerdings muss man auch die aktuelle Situation betrachten. Und 3.000 armenische Mitbürger in Wien fühlen sich daran erinnert, wenn wieder Kulturgüter zerstört werden, Menschenrechtsverletzungen stattfinden. Und zum Beispiel weiß man von 240 Kriegsgefangenen bis heute nicht, was deren Schicksal ist. Armenische Kriegsgefangene, von denen niemand weiß, wo sie sich befinden. Als dieser Konflikt 2020 stattgefunden hat, haben manche auch versucht, diesen Konflikt nach Europa zu tragen. Es hat in Berlin Ausschreitungen gegeben, wo Jugendbanden durch die Straßen der armenischen Viertel gezogen sind und Morddrohungen ausgestoßen haben. Auch in Wien war es so, dass es Drohungen gegen diese Minderheit gegeben hat und der Polizeischutz vor den Kirchen und den Kindergärten verstärkt werden musste.

 

Ich glaube, dass deshalb der richtige Zeitpunkt ist, die Türkei hier in die Pflicht zu nehmen, die sich selbst als Schutzmacht Aserbaidschans versteht. Und dieses ist nur möglich, wenn sie sich der eigenen Geschichte stellt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieser Antrag ist keine Maßregelung, sondern es ist der Wunsch des Wiener Gemeinderates, dass sich die Türkei ihrer Geschichte stellt und als wichtige und starke Nation, als Brücke zwischen Europa und Asien diese Aufarbeitung auch ihrer Geschichte anstrebt. Sie kann eine Schutzmacht für den Frieden werden, wenn sie sich diesem Thema in der Region widmet, und wir ersuchen darin, dass nach 106 Jahren nun endlich ein Dialog stattfindet, um das Kapitel auch der eigenen Geschichte abzuschließen. Abgeordnete der SPÖ zitieren oft gerne Albert Camus, der gesagt hat, es gibt keine Freiheit ohne gegenseitiges Verständnis. Wir wollen Verständnis dafür wecken, bei allen Beteiligten, dass jetzt der richtige Zeitpunkt für eine Aufarbeitung ist.

 

Deswegen haben wir in unserem Antrag auch Absätze hinzugefügt: Der Wiener Gemeinderat bekennt sich im Rahmen der Möglichkeiten zu dem bewährten österreichischen Weg des Dialogs und der Versöhnung bei der Beilegung von internationalen Konflikten. Dies auch in Hinblick auf historische Geschehnisse, die einen Keil zwischen Ethnien und Staaten treiben wie im Falle der Türkei, Aserbaidschans und Armeniens. Seitens der Türkei als Nachfolgestaat des osmanischen Reiches in Besitz aller Archive gilt es, im Sinne einer transparenten Aufarbeitung Licht in das Dunkel der Vergangenheit zu bringen. Und wir als Bundeshauptstadt Wien im Bewusstsein unserer Rolle als Stadt der Menschenrechte werden alle Schritte zur Versöhnung und Aufarbeitung unterstützen.

 

Das ist der Inhalt unseres Antrags, denn Menschenrechte sind unteilbar, universell und unverhandelbar. - Danke schön.

 

Vorsitzender GR Mag. Thomas Reindl: Herr GR Taborsky, ich ringe sehr mit mir, dass Sie Ihre Rede mit einem Zitat von einem der größten Verbrecher des 20. Jahrhunderts beginnen. Ich halte das für nicht passend für den Gemeinderat und als Vorsitzender tut es mir sehr leid, nachdem ich nicht weiß, ob das Zitat stimmt oder nicht, dass ich Ihnen keinen Ordnungsruf geben kann. Aber ich ersuche Sie dringend, von dieser Unperson nie wieder in einer Ihrer Reden ein Zitat zu bringen. Ich halte das für respektlos und für anstandslos.

 

Zu Wort ist niemand mehr gemeldet, die Debatte ist geschlossen. Die Frau Berichterstatterin hat das Schlusswort.

 

Der Herr GR Taborsky möchte tatsächlich berichtigen. Bitte schön.

 

18.40.55

GR Hannes Taborsky (ÖVP)|: Sehr geehrter Herr Vorsitzender! Ich nehme an, Sie haben meine Einleitung, die genau das wiedergegeben hat, was Sie gesagt haben, angehört. Ich habe diese Aussage von ihm genau in diesen Kontext gestellt, denn er hat versucht, sie als Begründung für den größten Völkermord der Geschichte zu verwenden, und als Rechtfertigung. Und ich glaube, deshalb muss man diese Monstrosität ansprechen und auch genau in diesen Kontext stellen, wie diesen Völkermord, über den wir hier sprechen. Es war nicht respektlos, sondern es war im Bewusstsein dessen, dass wir hier über ein sehr heikles Thema reden. Ich glaube durchaus, dass ich mit meiner Ausführung ganz zu Beginn, als ich diesen Herrn als Monster der Geschichte beschrieben habe, diesen Ihren Ausführungen Rechnung getragen habe.

 

Vorsitzender GR Mag. Thomas Reindl: Man kann sich natürlich alles im Nachhinein so reden wie man es möchte. Aber ich bleibe trotzdem bei meiner Meinung, ein Zitat von Adolf Hitler hat im Wiener Gemeinderat nichts verloren, egal, ob es positiv oder negativ gemeint ist.

 

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