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Gemeinderat, 36. Sitzung vom 23.03.2023, Wörtliches Protokoll  -  Seite 77 von 95

 

Worum geht es in diesem Akt? - Wir reden hier von einem jahrelangen Missstand, einer jahrelangen Unterfinanzierung, die jetzt mit einem neuen Notpflaster zugepickt werden soll. Es geht um die Krisenpflege. Es geht um Kleinkinder im Alter von null bis drei Jahren. Es geht darum, dass es wenige beziehungsweise zu wenige Personen gibt, die gewillt oder in der Lage sind, diesen Babys respektive Kleinstkindern zur Seite zu stehen.

 

Wir reden von dramatischen Situationen. Es geht um misshandelte Babys, verwahrloste Kleinkinder sowie Mütter und Väter, die gerade nicht in der Lage sind, sich um diese Kinder zu kümmern, und wie wir wissen, ist, wenn die MA 11 entscheidet, dass die Kinder aus der Familie genommen werden sollen, in den allermeisten Fällen vorher schon einiges passiert. Wir wissen, dass diese Kinder ebenso wie ihre Eltern in einer Ausnahmesituation sind. Und wir wissen, was wir selbst gerne hätten, wenn wir in einer solchen Ausnahmesituation wären: Wir hätten gerne einen warmen Ort, wo man liebevoll aufgenommen wird und wo man abwarten kann, bis sich die Wogen glätten. Genau solche Orte sind aber leider sehr rar in Wien, besonders für die Allerkleinsten von null bis drei Jahren.

 

Derzeit gibt es zu wenige Krisenpflegeeltern. Die letzte Zahl, die wir haben, besagt, dass es 35 Krisenpflegeeltern sind, und davon sind nur 2 Männer. Diese Zahl stammt aber aus dem Jahr 2020, und ich hoffe, dass es inzwischen mehr gibt.

 

Es gibt viele Gründe dafür, warum es so wenige Krisenmütter gibt, meist sind es ja Mütter. Es ist dies ein 24/7-Job. Traumatisierte Kleinstkinder schlafen wenig, brauchen rund um die Uhr Aufmerksamkeit, und die Krisenpflegeperson bekommt dafür allerhöchstens eine Aufwandsentschädigung. 1.500 EUR zahlt die Stadt Wien derzeit, 1.500 EUR netto quasi als Anstellung, allerdings wird da nicht die Pflegeleistung abgegolten, sondern um das Anstellungsverhältnis irgendwie zu klären, ist das Geld, das die Pflegepersonen bekommen, für sonderpädagogischen Mehraufwand, Fortbildung, Gruppensupervision und Dokumentationen gedacht. Das heißt, die Pflege selbst, die eigentliche Versorgungsarbeit, soll weiterhin gratis vorgenommen werden.

 

Es bleibt also bei dem alten Bild: Frauen sollen die Care-Arbeit beziehungsweise die Versorgungsarbeit aus Liebe machen, und zwar diesfalls für fremde Kinder. Auch 2023 hat sich die Stadt Wien noch nicht dazu durchgerungen, Krisenpflegearbeit als das zu sehen, was sie ist, nämlich als soziale Arbeit, und zwar als sehr fordernde soziale Arbeit.

 

Ganz stimmt das allerdings nicht. Es gibt nämlich Orte, wo das sehr wohl finanziert wird. In manchen Fällen findet die Unterbringung in für Kleinstkinder nicht idealen Familien-Settings statt, und zwar in einer WG, und diesfalls wird die Versorgungsarbeit als Arbeit anerkannt. Außerdem gibt es für SozialpädagogInnen in Krisenzentren, die jetzt gerade ausgeschrieben werden, auch eine Bezahlung, nämlich etwa 3.300 EUR brutto, was für 40 Stunden nicht wahnsinnig viel ist. Es ist dies aber eine bezahlte Arbeit. Und unter diesen Voraussetzungen ist es kein Wunder, dass sich nur mehr sehr wenige Frauen finden, die bereit sind, 24/7-Krisenpflege von Kleinstkindern zu Hause zu übernehmen.

 

Die Stadt bietet nämlich mit dieser Anstellung nicht mehr. Führen Sie sich vor Augen: Das ist unterhalb der Armutsgefährdungsgrenze! Die Armutsgefährdungsgrenze liegt nämlich bei einem Haushalt mit einer erwachsenen Person und einem Kind bei über 1.600 EUR, eigentlich bei 1.700 EUR. Dafür dürfen Krisenpflegemütter dann allerdings rund um die Uhr arbeiten und allzeit bereit sein.

 

Wir müssen jeder Krisenpflegemutter in Wien, die bereit ist, ihr soziales Engagement zu investieren und dann in Altersarmut zu enden, persönlich danken. Ich meine, das ist eine Herausforderung für diese Stadt und darum sollten wir uns kümmern. - Die Krisenpflege für Kleinstkinder und die Versorgung von Pflegekindern überhaupt ist hier in Wien nach wie vor organisiert wie im vorigen Jahrhundert. Die Grundannahme des Gesetzgebers ist weiterhin ein sehr traditionelles Familienmodell. Nämlich ein Mann, sprich, der Gatte, bringt das Geld heim, und die Frau ist zu Hause. Und damit ihr nicht fad ist, nimmt sie halt noch ein kleines Kind in Pflege auf und erhält dafür ein Taschengeld. Das ist derzeit die Basis für die Krisenpflege von Null - bis Dreijährigen, und das ist ein Systemfehler, meine Damen und Herren.

 

Das System Krisenpflege und Pflegekinder überhaupt kann nicht allein dadurch gelöst werden, dass wir die Krisenpflege an einen privaten Betreiber auslagern, wie in diesem Fall an die Malteser Care GmbH. Wenn Sie das so machen, wie es mit dem Antrag vorgeschlagen ist, dann haben Sie mehrere Probleme.

 

Ich nenne zunächst das politische Problem: Sobald die Versorgungsarbeit ausgelagert wird, wird es immer schwieriger, Rahmenbedingungen zu kontrollieren. Dann kann keine verbindliche, durch die MA 11 geprüfte Qualitätssicherung garantiert werden, zum Beispiel bei Recruiting-Prozessen, also bei Bewerbungsprozessen. Es gibt wenig Einfluss auf die Fehlerstrategie der Malteser Care GmbH, und es gibt wenig Einfluss auf die Abläufe im Alltag. Wie bei allen GmbHs, die Wien auslagert, haben erstens der Stadtrechnungshof und die U-Ausschüsse große Schwierigkeiten, diese ausgelagerten Institutionen zu prüfen, weil es keine verbindlichen Offenlegungspflichten gibt, und zweitens ist die Opposition aller Prüfungsrechte enthoben.

 

Ein weiteres Problem ist die Qualität. Statt dass sich der Herr Stadtrat und die MA 11 ein Modell überlegen, wie sie in Wien sozialpädagogisch versierte und pädagogisch ausgebildete Personen motivieren können, Krisenpflegekinder zu übernehmen und ihre qualitativ hochwertige Arbeit dann auch hochwertig abgegolten zu bekommen, indem nämlich die Stadt Wien ordentliche Anstellungsverhältnisse anbietet, lagert sie die Verantwortung an einen Verein aus.

 

Malteser Care bietet an, in der Slowakei einen Pool an Personen zu rekrutieren, die dann bei Bedarf nach Wien kommen, um hier zu arbeiten, Modell 24-Stunden-Pflege. Auf Anfrage wären Personen innerhalb einer Woche verfügbar. Wie soll das, bitte schön, funktionieren? Krisen

 

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