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Gemeinderat, 38. Sitzung vom 24.05.2023, Wörtliches Protokoll  -  Seite 74 von 146

 

Mit Händen und Füßen wurde sich gegen die Veröffentlichung gewehrt, bis zur letzten Instanz vor Gericht wollten Sie gehen. Die Argumentation war haarsträubend: Die Menschen würden diese Studie nicht verstehen, sie müssten daher davor geschützt werden. (Zwischenruf von Amtsf. StRin Mag. Ulli Sima. - StR Peter Kraus, BSc: Das steht so im Gerichtsprotokoll!) Sie können das alle im Akt vom Verwaltungsgericht Wien nachlesen - wirklich ein Krimi -, wenn Sie es noch nicht getan haben.

 

Was zeigt diese Studie außerdem? Sie zeigt, wie man ein Supergrätzl gut umsetzen kann. Mit einem Jahr Verzögerung hat ja nun die Stadt Wien 2022 ein zweites Pilotprojekt für ein Supergrätzl in Favoriten gestartet. Wenn ich mir jetzt die Empfehlungen in dieser Studie und die internationalen Beispiele anschaue, die auch in dieser Studie zu sehen sind, und die mit der Umsetzung in Wien vergleiche, dann ist mir klar, dass Sie diese Studie nicht veröffentlichen wollten, denn sie zeigt einfach, dass die Realität in Wien weit hinter den Empfehlungen und den internationalen Beispielen zurück bleibt.

 

Ich war vor zwei, drei Wochen in Leipzig zur Velo-city, einer internationalen Fahrradkonferenz, und während wir dort waren, wurde dort das erste Supergrätzl Leipzigs eröffnet. Das ist ein wesentlich kleineres Gebiet als in Favoriten. Ich habe dann gefragt, wie die das machen. Wir waren dort, da haben gleich tatsächlich Kinder auf der Straße gespielt, es war wie im Fernsehen. Die haben dort für ihre Umsetzung des Pilotprojekts eine halbe Million Euro zur Verfügung. Für das Pilotprojekt in Favoriten - das ist Teil der Anfrage, aber nach unseren Informationen - sind das 110.000 EUR, und davon ist ein Großteil für Verkehrsschilder draufgegangen. Für Sitzgelegenheiten, Begrünung, Gestaltung und Verkehrsberuhigung blieb dann nicht mehr viel über. Wenn man jetzt dort hingeht, bleibt der Wow-Effekt, den man sich erwartet, leider aus.

 

Letzte Woche ist in den Medien berichtet worden, dass in einer noch nicht veröffentlichten, also in einer geheimen Untersuchung herausgekommen ist, dass drei Viertel der Kfz die Sperren der Schleichwege ignorieren. Ich war vor Kurzem selbst dort, fünf Minuten bin ich mit einem Bekannten neben so einem einsamen Poller in der Mitte von der Straße gestanden, und wir sind uns wirklich vorgekommen, wie bei „Versteckte Kamera“. Wir sind fünf bis zehn Minuten dort gestanden, und es war nicht so, dass jedes zweite, jedes dritte Auto dort illegal abgebogen ist, es war jedes einzelne Auto. Jedes einzelne Auto! Warum? - Dort steht ein einsamer Poller in der Mitte. Ein Mitautor des IPCC-Berichts 2019, der dort zufälligerweise wohnt, dokumentiert das seit Sommer letzten Jahres auf Twitter. Jeden Tag stellt er dort ein Video online, wo einfach der Durchzugsverkehr diese Sperren ignoriert. (GR Mag. Manfred Juraczka: Jeden Tag?) - Jeden Tag ein neues Video, ja. Ich glaube, es ist nicht viel Aufwand, denn es passiert ständig. In der Mitte der Kreuzung steht ein einsamer Poller, und seit letztem Sommer weiß die Stadt Wien, dass diese Sperre nicht funktioniert. Ständig werden die angefahren, umgefahren, ich weiß nicht, wie viele Male die schon ersetzt werden mussten, aber die Stadt reagiert nicht, und das ist für mich ein ganz eindeutiges Zeichen: Sie wollen nicht, dass es funktioniert, Sie wollen ganz bewusst durch Geheimhaltung der Supergrätzl-Studie, durch einen lieblosen, mit geringem Budget umgesetzten Pilotversuch in Favoriten, dass dieses Konzept, diese Verkehrsberuhigung für Wohnviertel, diese Begrünung für Wohnviertel, dass das Planungsprinzip Superblock in Wien nicht Fuß fassen kann. (Beifall bei den GRÜNEN. - GR Mag. Dietbert Kowarik: Vielleicht stimmt ja die Studie nicht!)

 

Sie machen genau so viel, dass Sie sagen können, schaut her, wir haben es ja probiert. Wir haben es ja ausprobiert, aber leider wollen die Leute das nicht. Es ist kein Wunder. Wenn man kaum Geld für Gestaltung, für Begrünung, für Sitzgelegenheiten hat, dann wundert es mich nicht. Damit möglichst wenige Leute diesen Gap zwischen dem, was international passiert, bemerken ... Wien war einmal Speerspitze in Smart-City-Themen, in Klimawandelanpassung, aber mittlerweile, wenn man sich diese Studie und die Realität in Wien anschaut, dann sieht man einen riesengroßen Gap. Den wollen Sie verschleiern und deshalb veröffentlichen Sie bis heute diese Studie nicht. Der einzige Weg, an diese Studie heranzukommen, ist auf der Seite des „Grätzl-Blattl“. Dort muss man sich mit einem Passwort einloggen, und der Grätzljournalist stellt das den Menschen zur Verfügung. Sie, NEOS und SPÖ, sind dagegen, dass die Menschen diese Studie in Wien zu Gesicht bekommen. (Beifall bei den GRÜNEN.)

 

Daher haben wir heute diese Dringliche Anfrage eingebracht. Es geht darum, was Ihre Rechtfertigung für die Geheimhaltung vor der Öffentlichkeit ist. Was sind die von Ihnen behaupteten Geschäftsgeheimnisse? Wo sind die missverständlichen Informationen? Was trauen Sie den Menschen, den Wienerinnen und Wienern nicht zu, das sie wissen sollen? Es geht ja im Kern darum: StRin Sima und jede Stadträtin und jeder Stadtrat beauftragt diese Studien ja nicht mit eigenem Geld und auch nicht mit Parteigeld, sondern im Namen der Wienerinnen und Wiener. Es sind also öffentlich finanzierte Studien, und die sind nach unserem Dafürhalten auch der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Für die Pressearbeit der Regierung wird daraus selektiv zitiert, die Wissenschaft und die Öffentlichkeit bleiben jedoch im Dunkeln. Guter Journalismus wird so behindert, die Gewinnung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse wird so behindert und die politische Meinungsbildung der Opposition, aber auch der interessierten Öffentlichkeit wird so behindert. Es darf nicht vom Goodwill der Stadtregierung oder einer einzelnen Stadträtin abhängig sein, ob die Wienerinnen und Wiener ihre eigenen Studien zu Gesicht bekommen. (Beifall bei den GRÜNEN.)

 

Es muss der Vergangenheit angehören, dass JournalistInnen Studien vor Gericht erstreiten müssen, und wir erwarten uns heute Antworten darauf, warum das passiert ist, und wir erwarten uns auch von Ihnen, von beiden Regierungsparteien, ein Bekenntnis zu Transparenz und die Veröffentlichung aller Studien, die im Auftrag der Stadt Wien erstellt wurden. Danke. (Beifall bei den GRÜNEN.)

 

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