Gemeinderat, 41. Sitzung vom 20.09.2023, Wörtliches Protokoll - Seite 57 von 116
Das heißt, wir haben erstens den Blick auf das Opfer. Ich glaube, ich brauche hier nicht in Frage stellen, dass der Grundkonsens herrscht, dass jede in Österreich lebende Frau - und zwar unabhängig von ihrer Herkunft, unabhängig davon, wie lange sie in Österreich ist, unabhängig von ihrer Religion und unabhängig von ihrer Kultur - die gleichen Rechte und die gleichen Freiheiten genießt, so wie es die österreichische Verfassung festschreibt. Unsere Verfassung gilt für alle in Österreich lebenden Frauen. Es ist unsere Aufgabe, das hier durchzusetzen. (Beifall bei ÖVP und FPÖ sowie von GR Wolfgang Kieslich.)
Mit Sicht auf den Täter glaube ich, dass wir alle einer Meinung sind, dass die Verhaltensnormen hier in der demokratischen Republik Österreich durch den Gesetzgeber festgelegt werden und durch niemanden sonst. Die Einhaltung dieser Verhaltensnormen wird durch staatliche Behörden exekutiert, im letzten Fall durch die Judikative, und durch niemanden sonst: Keine selbsternannten „Sittenwächter“, keine Jugendlichen, die glauben, irgendetwas kompensieren zu müssen. Meine Damen und Herren, wir sind ein Rechtsstaat. Wir legen die Gesetze demokratisch fest. Es sind staatliche Behörden, die diese Gesetze exekutieren, und niemand sonst. (Beifall bei ÖVP und FPÖ sowie von GR Wolfgang Kieslich.)
Es ist mir wahnsinnig wichtig, diese zwei Grundkonsense zu betonen, denn die Aufstellung und die Durchsetzung von Regeln sind die Hauptaufgabe, die innerste und ursprünglichste Aufgabe eines Rechtsstaates. Wenn wir weder den Willen haben, die hier geltenden Gesetze als gut zu befinden, beizubehalten, aufrechtzuerhalten und durchzusetzen, noch die Mittel dazu haben - das heißt, wenn wir bei der Durchsetzung der hier geltenden Verhaltensnormen Schwäche zeigen -, dann ist das ein Zeichen der Schwäche unseres Staates. Ich denke, das können und wollen wir uns nicht leisten. Denn ich bin davon überzeugt, dass die hier geltenden Regeln gute sind, dass sie eine maximale Freiheit für das Individuum und besonders für Frauen gewährleisten und dass wir an der Aufrechterhaltung und an der Durchsetzung dieser Regeln jeden Tag, jederzeit und gegenüber jedem Täter arbeiten müssen. (Beifall bei ÖVP und FPÖ.)
Aus diesem Grund denke ich, dass wir an verschiedenen Ebenen ansetzen müssen, wenn hier der Grundkonsens herrscht - und den verorte ich doch -, dass das Auftreten von „Sittenwächtern“ möglichst unterbunden gehört. Erstens: Es ist selbstverständlich ein systemisches Problem. Es ist auch ein - in welcher Form auch immer - religiöses Problem, denn es betrifft nun einmal muslimische „Sittenwächter“. Das ist eine offensichtlich sehr rigide, eigene Auslegung muslimischer, islamischer Verhaltensvorschriften.
Wir haben schon öfter gesagt, dass es hoch an der Zeit ist, dass die Stadt dem Bund folgt und sich auch mit dem politischen Islam auseinandersetzt, damit jeder hier versteht: Es ist eine systemische Frage, und es steht ein System, ein Netzwerk dahinter. Damit müssen wir uns befassen. Also, erste Dimension: Dimension des politischen Islam. Zweite Dimension: Das Bewusstsein, dass es sich bei „Sittenwächtern“ um keine Jugendstreiche handelt.
Wir haben hier Solidarität mit dem Freiheitskampf der Frauen im Iran bekundet. Wir schauen in den Iran, und wir sehen Frauen, die ermordet werden, die von den Straßen vertrieben werden, die von „Sittenwächtern“ in ihren Freiheiten beschnitten werden. Das zeigt uns doch, wie gefährlich „Sittenwächter“ sind. Ja, selbstverständlich: Dort sind sie ein Teil der islamischen Republik. Dort sind sie ein Teil der Staatsmacht. Der Effekt ist aber derselbe, nämlich, dass ein Teil der Menschen einem anderen Teil sagt: So dürft ihr euch nicht anziehen, oder so müsst ihr euch anziehen.
Wir sehen also: „Sittenwächter“ sind ein brandgefährliches, sehr aktuelles Thema, kein Jugendstreich. Diese Erkenntnis muss sich bei uns durchsetzen. Das heißt, ich wünsche mir jedes Mal, wenn „Sittenwächter“ auftreten, einen großen sowohl politischen als auch zivilgesellschaftlichen Aufschrei, dass so etwas bei uns unerwünscht und nicht möglich ist und mit aller Macht unterbunden gehört. (Beifall bei ÖVP und FPÖ.)
Die dritte Dimension ist jene des öffentlichen Raumes. Jetzt spreche ich nicht nur über die mangelnde Durchmischung einiger Gebiete in Wien, sondern ich spreche auch über den Effekt, dass junge Männer glauben, den öffentlichen Raum für sich und ihre Verhaltensnormen in Anspruch nehmen zu können. Das darf nicht sein, das kann nicht sein. Der öffentliche Raum, meine Damen und Herren, ist ein Ort, an dem sich jeder Mensch, jede Frau, jeder Mann und jedes Kind frei und ungezwungen bewegen können müssen. Wir dürfen auch nicht zulassen, dass sich Frauen aus Angst nicht mehr in den öffentlichen Raum oder in gewisse Gegenden wagen oder sich dort besonders anziehen. Nein, der öffentliche Raum ist überall in ganz Wien und zu jeder Uhrzeit für alle Menschen da. Das müssen wir als Stadt sicherstellen. Auch da müssen wir sensibel sein, ob es dagegen Tendenzen gibt. (GR Mag. Thomas Reindl: Das muss der Innenminister sicherstellen! Für die öffentliche Sicherheit ist der Innenminister zuständig!)
Der vierte Punkt ist die Rechtsdurchsetzung. Ich habe es ja schon angesprochen: Die Gesetze werden durch die österreichische Legislative gemacht. Sie werden durch österreichische Behörden durchgesetzt und durch niemanden sonst. Darauf müssen wir jederzeit achtgeben.
Der fünfte Punkt ... (GR Mag. Thomas Reindl: Die Polizei, heißt das!) Ja, Sie sprechen die Wiener Polizei an. Ich habe auch nicht gesagt, dass die Polizei hier irgendwie außerhalb der Pflicht ist. Was ich Ihnen aber sage, ist: Das Problem ist größer als nur ein sicherheitspolitisches Problem der Polizei. (GR Dr. Kurt Stürzenbecher: Die Parksheriffs sind hier nicht zuständig!) Ich versuche hier wirklich, differenziert zu erklären, wie tief dieses Problem geht. Vielleicht hören Sie mir zu und hören auf, verkürzt hineinzuschreien: Der Bund ist schuld, der Bund ist schuld. So einfach ist Politik nicht. Es ist nicht immer nur die andere Ebene schuld. (Beifall bei der ÖVP. - Zwischenruf von GR Dr. Kurt Stürzenbecher - GR Dr. Markus Wölbitsch-Milan, MIM: Distanziert
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