«  1  »

 

Gemeinderat, 51. Sitzung vom 20.03.2024, Wörtliches Protokoll  -  Seite 70 von 102

 

55 Prozent aller Abnahmegründe sind Vernachlässigungsgründe. Dazu sagt selbst die Wiener Kinder- und Jugendhilfe, Vernachlässigungsfälle haben ganz oft mit Unwissenheit zu tun. Deswegen denke ich mir, dieses Missverhältnis, das es da gibt, wie viel die Stadt Wien für die volle Erziehung und wie viel die Stadt Wien für die Hilfe in der Erziehung ausgibt, zeigt, wie wenig wertschätzend sie den Eltern gegenüber ist. Der Österreich-Schnitt ist, dass man 74 Prozent für die volle Erziehung ausgibt, und 26 Prozent wird vom Budget genommen, um die Eltern in ihrer Erziehung zu unterstützen. So, was macht Wien? - 92 Prozent für die volle Erziehung, 8 Prozent für die Unterstützung der Familien, in einem urbanen Raum, in einer Großstadt.

 

Ganz ehrlich, das zeigt, das ist ja keine Schieflage, das ist ein Steilhang. Wie soll das denn funktionieren? Da braucht es wirklich einen massiven Ausbau in der Unterstützung der Erziehung, da braucht es wirklich viel, und da muss man auch wirklich etwas tun. Deswegen brauchen wir bitte dieses Dokumentationssystem und dieses System zur Auswertung. Wir brauchen eine Langzeitstudie, wie es den Kindern geht. Wir müssen wissen, was mit den Kindern passiert, wir müssen wissen: Schafft es dieses System, dass die Kinder zu zufriedenen Erwachsenen werden? Schaffen sie es selbst einmal, gute Eltern zu werden? Was schafft dieses System? Bis jetzt, was wir wissen, nichts. Das tut mir jetzt wirklich leid, dass ich das so grob sage, aber wenn dieses System nicht kippen würde, hätte man zumindest die Hälfte dieser Fragen beantworten können, die ich jetzt detailliert gesagt habe und nicht einfach sagen: Wir können nicht, das haben wir statistisch nicht. Vielleicht hat ja auch nicht einmal jemand daran gedacht, dass man das begleiten sollte, aber Fakt ist, wir brauchen eine Langzeitstudie, damit wir nämlich auch wissen, wo wir anpacken müssen.

 

Ich glaube ganz fest daran, wenn schon 55 Prozent der Fälle Vernachlässigungsfälle sind und das mit Unwissenheit zu tun hat, dass es die Eltern schon gerne können würden. Dass es Eltern gibt, die es nicht können, ist klar. Wenn es aber Eltern gibt, die es gerne können würden und es auch lernen möchten, brauchen sie Unterstützung. Sie brauchen die Kommunikation auf Augenhöhe, sie brauchen eine Partnerschaft. Das sind Familien, die haben kein familiäres Netzwerk. Es sind teilweise selbst noch junge Kinder, die nicht wissen, wie Familie funktioniert. Das ist etwas, wo wir hingreifen müssen, wo wir helfen müssen, wo wir die Menschen nicht im Stich lassen.

 

Wien ist nach wie vor der Spitzenreiter bei den Fremdabnahmen, und da stellt sich gar nicht mehr so sehr die Frage, warum das so ist. Wenn das die Wertigkeiten sind, die die Stadt Wien ausgibt, muss man sagen: Bitte, da braucht es eine Kehrtwende. Ich sage Ihnen auch, warum: Sie können nicht garantieren, dass jedes Kind, das abgenommen wird, ein besseres Leben als zu Hause hat. Sie können nicht garantieren, dass, wenn die Stadt Wien entscheidet, ich nehme ein Kind aus der Ursprungsfamilie, dieses Kind mehr Wärme, mehr Ruhe hat und mehr lernt als zu Hause. Das müssen Sie garantieren können, denn das ist ein massiver Eingriff bei den Kindern, ein massiver Eingriff in eine Familie, und jedes Kind - da sind wir uns sicher einig - hat ein warmes Nest verdient. Danke schön (Beifall bei ÖVP und GRÜNEN.)

 

Vorsitzender GR Mag. Thomas Reindl: Zu Wort gemeldet ist GR Mag. Gremel. Ich erteile es ihm.

 

16.13.24

GR Mag. Marcus Gremel, MBA (SPÖ)|: Sehr geehrter Herr Vorsitzender! Werte Frau Berichterstatterin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!

 

Liebe Frau Kollegin Keri, herzlichen Dank für Ihre Ausführungen! Ich kaufe Ihnen ab, dass es Ihnen um die Kinder geht, dass es Ihnen genauso wie uns allen, denke ich, echt am Herzen liegt, dass alle Kinder in unserer Stadt in Schutz und Geborgenheit aufwachsen können. Das kommt durch. Ich stimme Ihnen auch zu, dass wir da noch viel zu tun haben, einiges an Verbesserungen notwendig ist. Nichtsdestotrotz, glaube ich, kann ich mit ein paar Punkten da oder dort die eine oder andere Ausführung von Ihnen ein bisschen ergänzen, vielleicht auch da oder dort korrigieren.

 

Ganz grundsätzlich möchte ich zu Ihren Ausführungen und den Anträgen, die Sie zu diesem Tagesordnungspunkt eingebracht haben, anmerken, dass ich das Gefühl habe, wir haben einen bisschen einen unterschiedlichen Zugang in der Blickweise auf so dramatische Familiensituationen, in denen Kinder aufwachsen. Es kommt immer wieder durch, dass Sie da einen ganz starken Blick auf die Eltern haben. Ich stimme Ihnen sehr zu, dass es ganz viel um ambulante Unterstützung in der Erziehung, auch vielleicht ein bisschen das Lernen für manche Obsorgeberechtigten, wie man gut mit Kindern umgeht, geht, und dass es da sicherlich auch noch mehr Bemühungen braucht. Gleichzeitig ist es aber schon sehr zentral, dass man zuallererst einmal auf die Bedürfnisse des Kindes schaut, dass man in all seinen Entscheidungen bei der Frage, wie begleite ich einen jungen Menschen auf den Weg in ein selbstständiges und selbstbestimmtes Leben, zuallererst die Bedürfnisse des Kindes anschaut. Das machen die Kolleginnen und Kollegen in der MA 11 tagtäglich, und dafür gebührt ihnen mein größter Respekt und ein Dankeschön. (Beifall bei SPÖ und NEOS.)

 

Was die Datenlage in der MA 11 anbelangt, stimme ich Ihnen vollkommen zu. Das geht so nicht. Das ist ein wirkliches Problem. Ich hätte auch sehr, sehr gerne, sehr, sehr dringend ein besseres Dokumentationssystem und eine Datenlage, die daraus resultiert, mit der man dann auch weiterarbeiten kann. Es ist nur so - und das dachte ich mir eigentlich, wissen Sie -, dass dieses Projekt am Laufen ist. Wir haben ein bisschen eine schwierige Situation bei der Implementierung, bei der Umsetzung dieses Projektes, denn Sie können sich vorstellen, so eine Software-Lösung über so eine große Abteilung aufzuziehen, ist nicht ganz so einfach. Hinzukommt, dass das einfach eine extrem heikle Abteilung ist, wo es um höchstpersönliche Daten geht, um ganz persönliche Familiengeschichten, wo man wirklich keinen Schnellschuss, der unausgegoren ist, machen kann. Jedenfalls läuft das Projekt, das Dokumentationssystem wird kommen. Wir müssen es ihnen nicht erst schenken, es ist bereits seit Längerem in Gange, und ich hoffe, dass wir das bald umsetzen können und dann auch bessere Daten zur Verfügung haben.

 

«  1  »

Verantwortlich für diese Seite:
Stadt Wien | Geschäftsstelle Landtag, Gemeinderat, Landesregierung und Stadtsenat (Magistratsdirektion)
Kontaktformular