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Gemeinderat, 51. Sitzung vom 20.03.2024, Wörtliches Protokoll  -  Seite 71 von 102

 

Sie haben auch von einer Ombudsstelle gesprochen und in Ihrem Antrag gefordert. Zur Frage: Na ja, wie lange dauern Verfahren? Ist das zulässig, ist das eine Situation für Eltern, die erträglich ist? Man muss grundsätzlich einmal darauf hinweisen, dass Kindesabnahmen natürlich einen der gröbsten Eingriffe überhaupt in das Leben eines Kindes, einer Familie darstellen und daher überhaupt nicht leichtfertig getroffen werden können, sondern selbstverständlich im Falle, dass das uneinig geschieht, von einem Familiengericht überprüft werden muss. Den Eltern steht dabei aber auch die Möglichkeit einer Eilprüfung dieser Abnahme zur Verfügung. Klar ist, dass aber auch dieses Familiengericht natürlich immer kinderschutzorientiert entscheidet, und klar ist auch, dass in der Frage, wie man weitertut, wie man miteinander arbeitet, wie man hoffentlich auch den Weg einer Rückführung in die Familie gemeinsam gehen kann, Eltern ständig eingebunden werden. Das beginnt ja schon bei der gesetzlich vorgeschriebenen partizipativ vorgesehenen Erstellung eines Hilfeplans. Das geht aber natürlich auch bei der Akteneinsicht weiter, die die MA 11 selbstverständlich, den Datenschutz vorausgesetzt, in solchen Fällen zur Verfügung stellt.

 

Eine weisungsfreie Ombudsstelle, wie Sie sie fordern, gibt es schon, die heißt Kinder- und Jugendanwaltschaft. Darüber hinaus - Sie haben selbst davon gesprochen - meldet sich auch die Volksanwaltschaft immer wieder zu Wort und ist natürlich auch Ansprechpartnerin für Eltern, die sich ungerecht behandelt fühlen. Ebenso schaut der Stadtrechnungshof regelmäßig drauf.

 

Sie haben aber recht, die Abnahme eines Kindes ist nie schön und immer das allerletzte Mittel. Das ist nichts, was irgendjemand von uns anstrebt, das ist nichts, was jemand in der MA 11 leichtfertig unternimmt. Ja, es gibt in Wien deutlich höhere Abnahmequoten als in den anderen Bundesländern, aber die Debatte führen wir mit der Volksanwaltschaft auch oft. Der Vergleich mit den Bundesländern hinkt halt massiv. Wien ist eine Metropole, die einzige, die wir in Österreich haben. Wenn man sich das im internationalen Vergleich mit anderen vergleichbaren Großstädten anschaut, schaut das Verhältnis schon wieder anders aus, nämlich gleich wie bei uns in Wien. Wir haben in der Großstadt ganz andere soziale Dynamiken, die sich natürlich auch auf die Familien und deren Umfeld auswirken. Vor allem haben wir viele unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Das haben wir bei der vorigen Debatte am Rande auch gestreift. Natürlich sind diese auch alle in der Statistik erfasst. Da muss man bei der Analyse solcher Statistiken schon präzise sein.

 

Niemand will eine Abnahme, das heißt, wir brauchen mehr Prävention, wir brauchen mehr Arbeit im ambulanten Bereich - vollkommen richtig. Richtig ist aber auch, dass wir das schon machen. Ich weiß nicht, ob Sie sich noch erinnern, aber wir haben letztes Jahr hier beschlossen, dass wir in den nächsten Jahren einen massiven Ausbau im ambulanten Bereich vornehmen. Beginnend mit letztem Jahr haben wir auch schon einige Projekte umgesetzt, zum Beispiel eine massive Aufstockung des hervorragenden Vereins ProSoz. Wir haben jetzt einige Projekte in Ausschreibung, und so geht das auch in den nächsten Jahren weiter. Was Sie hier fordern, nämlich mehr ambulante Betreuung, passiert also schon, und wir haben es auch letztes Jahr hier debattiert und beschlossen.

 

Des Weiteren haben wir die Frühen Hilfen flächendeckend ausgerollt, und auch in der MA 11 selbst, direkt in den Regionalstellen, gibt es ganz, ganz viel ambulante Unterstützung, ob das jetzt die Familienzentren sind, ob das aufsuchende Sozialarbeit ist oder auch die ambulante Krisenarbeit, die direkt in die Familien geht, bevor es komplett eskaliert.

 

Sie haben auch ein bisschen in einem Beisatz in einem Antrag, aber vorhin haben Sie es ausgeführt, über eine Langzeitstudie gesprochen. So etwas finde ich auch extrem wertvoll. Ich möchte darauf hinweisen, dass der Bund gesetzlich dazu verpflichtet ist, Kinderschutzforschung zu betreiben. Ich glaube, da sollten wir etwas machen, auch entlang der gesetzlichen Vorschrift gemeinsam mit dem Bund. Vielleicht macht es der Bund allein. Reden wir drüber, weil das ja auch für alle anderen Bundesländer interessant ist. Es gibt da tatsächlich zu wenig. Ich habe mir das sehr genau angeschaut, denn ich habe meine Masterarbeit über einen Teilbereich der Kinder- und Jugendhilfe oder eigentlich zum Übergang in die Selbstständigkeit geschrieben, nämlich über Care Leaver und die Frage, wie sich ihr weiteres Leben entwickelt. Genau dazu ist ja so eine Langzeitstudie auch relevant, nämlich: Wie wirkt die Maßnahme der Kinder- und Jugendhilfe? Was ist überhaupt die Ausgangssituation, und welche Benachteiligung haben Kinder, die halt einen Teil ihres Lebens nicht bei ihrer Familie, sondern in einer Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe verbracht haben, dort erwachsen geworden sind, verglichen mit den Menschen aus der Gesamtbevölkerung? Da gibt es sehr wenig, und es ist auch nicht sehr einfach, das zu machen. So ehrlich will ich auch sein, auch wenn der Bund gesetzlich dafür zuständig ist. Warum ist das nicht einfach? Weil das natürlich alles auch höchst sensible Daten sind, die dem Datenschutz unterliegen und die höchste Schutzwürdigkeit überhaupt haben. Das heißt, es geht wohl nur freiwillig, und dann sind wir wohl auf der qualitativen und nicht auf der quantitativen Betrachtung.

 

Es gibt eine sehr interessante Teilstudie, sage ich einmal, von Dr. Frottier, ein Kinder- und Jugendpsychiater, der sich über einen längeren Zeitraum angeschaut hat, wie es denn mit der Straffälligkeit, mit der Delinquenz von jungen Erwachsenen, die in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe erwachsen geworden sind, ausschaut. Da kommt heraus, dass sie in den ersten fünf Jahren nach Beendigung der Maßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe zehn Mal häufiger straffällig werden als die Gleichaltrigen in der Durchschnittsbevölkerung. Zehn Mal häufiger! Das ist natürlich ziemlich erschreckend. Das Zweite, das herauskommt, ist, dass die Maßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe aber wirken. Sie wirken nämlich bei jenen, die ein bisschen länger in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe untergebracht waren und betreut wurden. Ab eineinhalb Jahren in etwa greifen sie, und man merkt auch in den Zahlen eine deutlich bessere Entwicklung, die aus den weiteren Lebensverläufen hervorkommt. Die Studie wurde leider nicht zu Ende geführt, weil der Bund, der sie

 

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