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Landtag, 28. Sitzung vom 06.04.2005, Wörtliches Protokoll  -  Seite 6 von 10

 

Auch nach der ersten demokratischen Wahl vom November 1945 wurde die Regierung von drei Parteien gebildet, bis 1947 die Kommunisten sie verließen.

 

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich kann und ich will meine Faszination mit der unter so widrigen, ja tristen Umständen mit Weitblick und Zukunftsvertrauen geglückten Staatsgründung Österreichs nicht verbergen. Ich kann aber auch nicht leugnen, dass ich selbst erst durch den Staatsvertrag 1955 zur überzeugten und in weiterer Folge auch zur aktiven Patriotin wurde. Es war die Anwesenheit im Belvedere am 15. Mai 1955, bei der 12. oder 27. Ligusterhecke, wie ich mich gerne erinnere, dass uns ein großes Glücksgefühl überwältigte, mich und viele meiner Generation in dieser Sternstunde Österreichs und unseres eigenen Lebens; dann aber erst empfanden wir es so richtig. Österreich wurde 1945 durch die Alliierten von den Schrecknissen des NS-Regimes und des Krieges befreit, aber erst der Staatsvertrag brachte dem Land die volle Souveränität und seinen Menschen die Chance, mit eigenem Fleiß und mit der amerikanischen Hilfe des Marschall-Plans den Wiederaufbau voranzutreiben und unsere Zukunft eigenverantwortlich zu gestalten.

 

Natürlich hatten wir zuvor Bundeskanzler Figls Appell "Glaubt an dieses Österreich" gehört und bedacht. Selbstverständlich hatten wir die Bemühungen von Bundeskanzler Ing Raab, Vizekanzler Dr Schärf, von Außenminister Ing Figl und Staatssekretär Dr Kreisky mit Interesse und intensiv verfolgt, haben wir die Beharrlichkeit der österreichischen Diplomaten von Sitzung und Konferenz zu Sitzung und Konferenz, um den Staatsvertrag zu ringen, intensiv verfolgt, aber wenn ich ehrlich sein soll, es hat die Skepsis überwogen.

 

Das alles hat sich an diesem historischen 15. Mai 1955 schlagartig verändert. Österreich wurde Bewusstsein und Heimat, auf einmal war es faszinierend, in diesem Land zu leben und für dieses Land zu arbeiten. Und aus dem Österreich-Bewusstsein, meine Damen und Herren, entstand bei vielen Menschen, auch bei mir, Glaube und Wunsch nach einer europäischen Zukunft. Nach einer europäischen Zukunft, die von Frieden, Freiheit und Demokratie geprägt sein sollte.

 

Ich erinnere mich meiner Enttäuschung, 1960, dass wir nur der EFTA und nicht gleich der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft beitraten. Natürlich war die Haltung der Sowjetunion als Signatarmacht des österreichischen Staatsvertrages zu beachten, aber ich gehörte zu jenen, die sich damals mehr Mut und mehr gemeinsame Überzeugungskraft gewünscht hätten. Wir empfanden Freude an der Zweiten Republik, mit der - ganz anders als nach dem Ersten Weltkrieg - die Kleinstaatlichkeit Österreichs von seinen Menschen akzeptiert war. Die Lebensfähigkeit des Landes durch den eigenen Wiederaufbau eindrucksvoll unter Beweis gestellt war, sodass wir uns wünschten, mit einer vollwertigen Teilnahme das Fenster in eine von Frieden und Wohlstand für möglichst viel gekennzeichnete europäische Zukunft noch weiter zu öffnen.

 

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Hohe Festversammlung! Es ist das Glück meiner Generation, dass wir auch diese historische Weiterentwicklung noch erleben und mitgestalten dürfen. Abermals war Geduld nötig. Zuerst Geduld für die innerstaatliche Meinungs- und Willensbildung, anschließend Geduld mit den Entscheidungsprozessen in der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, die sich selbst zur Europäischen Gemeinschaft und schließlich zur Europäischen Union wandelte.

 

Mir sind die Diskussionen lebhaft in Erinnerung, die ich mit dem damaligen Kommissionspräsidenten Jacques Delors, mit den deutschen, belgischen und niederländischen Persönlichkeiten führte, führen konnte, Diskussionen, bei denen es um die Frage ging, ob Vertiefung oder Erweiterung Vorrang haben sollte. Und es war mir eine große patriotische Genugtuung, dass ich namens der Oesterreichischen Nationalbank überzeugend darlegen konnte, dass mit der vollen Teilnahme Österreichs an der Integration, ob unserer ausgezeichneten wirtschaftlichen Daten Erweiterung und Vertiefung zugleich bewirkt werden kann.

 

1994 konnten die schwierigen Verhandlungen erfolgreich abgeschlossen werden. Die österreichische Bevölkerung sprach sich am 12. Juni 1994 im Referendum mit Zwei-Drittel-Mehrheit für den Beitritt aus. Ab 1. Jänner 1995 war die Republik Österreich Vollmitglied der Europäischen Union und neun Tage später waren durch unseren Beitritt zum Wechselkursmechanismus auch formal die Voraussetzungen für unsere Teilnahme an der nachfolgenden europäischen Währungsunion geschaffen und im heurigen Gedenkjahr können wir auf zehn Jahre Mitgliedschaft in der EU zurückblicken.

 

Und von diesem dritten Jubiläum aus, meine Damen und Herren, gehen die Gedanken naturgemäß in die Zukunft. Neue Fragenstellungen beschäftigen die Träger politischer Verantwortung und uns Bürger. Wie in allen Bereichen hat sich die Entwicklung auch bei der europäischen Integration enorm beschleunigt. Ich hätte 1995 jede Wette verloren, dass der Euro im heurigen Jahr in zwölf Ländern die offizielle und stabile Währung sein würde. Ich hätte jede Wette verloren, dass die Europäische Union in unserem Jubiläumsjahr 25 Mitglieder haben werde. Es ist aber erfreuliche Realität und zeigt, wie viel mit politischem Willen zur Gemeinsamkeit erreicht werden kann.

 

Und wenn ich diesen Satz formuliere, dann möchte ich vor allem an die Adresse der Jüngeren auch mit Nachdruck darauf hinweisen, dass die europäische Entwicklung nicht vom Himmel fällt oder gar per Tagesbefehl aus Brüssel kommt, sondern dass sie vom politischen Wollen in allen Mitgliedsländern gestaltet und getragen wird. Die Europäische Union ist verfassungsrechtlich und administrativ ein Gebäude sui generis, ist Neuland und Betätigungsfeld für kreative Köpfe in Gesetzgebung und Verwaltung.

 

In den Verträgen von Maastricht und Amsterdam ist es gelungen, Strukturen zu erdenken, die der gemeinsamen Währung Stabilität und Akzeptanz geben und das Bemühen um Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze anregen sollen. Weitere wichtige Denk- und

 

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