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Landtag, 28. Sitzung vom 06.04.2005, Wörtliches Protokoll  -  Seite 8 von 10

 

zu überzeugen, dass es ohne die breit verankerte Gesinnung keine nachhaltig prosperierende Zukunft geben kann.

 

Wenn Systeme, die einmal erfolgreich waren, an ihrer Erstarrung zu Grunde gehen können, dann können gute Systeme auch durch Gleichgültigkeit beschädigt werden. Ungewiss und doch erfolgversprechend liegt die Zukunft vor uns. Es ist und bleibt die Aufgabe der Politik, den Weg in eine erfolgreiche, friedliche Zukunft für die Bürger zu erhellen.

 

Lassen Sie mich, Herr Bundespräsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, die vielen Gedanken, die mir durch den Kopf gehen, kurz zusammenfassen.

 

Wir haben allen Grund, mit großer Dankbarkeit und auch mit Stolz auf das Geleistete und Erreichte in den 60 Jahren unserer Zweiten Republik zurückzublicken. Wir haben allen Grund, mit entschlossener Zuversicht an die Bewältigung der künftigen Aufgaben heranzugehen in jenem Geist der Gründerpersönlichkeiten unserer Republik, aber unter weit angenehmeren Gesamtbedingungen, geleitet vom Bemühen um das Wohl unserer Bürger. Und diese unsere Bürger wünschen sich besonnene Politiker und die Politiker, die verantwortungsvollen Politiker, wünschen sich aktive und engagierte Bürger. Möge das Zusammenwirken beider Seiten gelingen für ein friedliches Österreich, für ein friedliches Europa und für eine friedlichere Welt. Ich danke Ihnen. (Allgemeiner Beifall.)

 

Präsident Johann Hatzl: Frau Präsidentin, ich darf Ihnen namens des Wiener Landtages recht herzlich für diese Festansprache danken. Sie gibt uns Mut und Zuversicht.

 

(Streichquartett von Wolfgang Amadeus Mozart wird gespielt.)

 

(Allgemeiner Beifall.)

 

Präsident Johann Hatzl: Herr Landeshauptmann, darf ich Sie um Ihre Ansprache ersuchen.

 

Lhptm Dr Michael Häupl: Sehr geehrter Herr Bundespräsident! Herr Präsident des Landtages! Sehr geschätzte Frau Dr Schaumayer, danke für Ihre Festansprache heute. Sehr geehrte Festgäste! Hoher Landtag! Meine Damen und Herren!

 

Wer einigermaßen wissen will, wie sich die Zukunft gestaltet oder man aktiv die Zukunft gestaltet, wer einigermaßen schätzen und einschätzen will, was heute passiert, muss gelegentlich einen Blick in die Geschichte werfen. Lassen Sie mich das auch in gebotener Kürze tun.

 

In dem April des Jahres 1945, in einer Zeit als, wie heute schon erwähnt, der sowjetische Militärkommandant Blagodatow Theodor Körner zum provisorischen Bürgermeister von Wien bestellte. Eine Stadt mit Massenelend, Schutt, Trümmer, zerstört, die Hinterlassenschaft des nationalsozialistischen Terrorregimes im April 1945. Mit heißem Herzen, aber durchaus auch sehr nüchtern, ist festzustellen, dass nationale und spirituelle Zentren dieser Stadt, die ökonomische Infrastruktur aus-gebrannt in Schutt und Asche lag. Der Stephansdom zerstört, die Staatsoper zerstört, das Burgtheater zerstört, das Parlament zerstört – Symbole dieser Stadt zerstört, ausgebrannt. 47 000 Häuser zerstört, 87 000 Wohnungen zerstört und unbewohnbar. 120 Brücken entweder im Bombenhagel zerstört oder von abziehenden SS-Einheiten gesprengt. 3 700 schwere Schäden im Gas-, Wasser- und dem Kanalnetz, was für die angesprochene Versorgung der Bevölkerung ein unendliches Problem darstellte.

 

Von den 1 400 Straßenbahngarnituren standen gerade mal 400 zur Verfügung und von 183 Fahrzeugen der Wiener Müllabfuhr gerade mal 11. Und die Wiener Feuerwehr, wie wir aus der Geschichte wissen, wurde von Militäreinheiten verschleppt und stand nicht zur Brandbekämpfung zur Verfügung.

 

Noch ungleich schwerer wog die Bilanz des menschlichen Leids. 60 000 Wiener Juden wurden im KZ umgebracht. 120 000 Wiener Juden in die Emigration getrieben. Mehr als 10 000 weitere Wienerinnen und Wiener wurden im KZ, in der Gestapo-Haft oder sind durch Hinrichtung gestorben. Schätzungsweise 90 000 Soldaten sind gefallen. Alleine in der heute auch schon erwähnten Schlacht um Wien sind 19 000 Soldaten auf der einen und 18 000 Soldaten auf der anderen Seite gefallen in diesen wenigen Tagen. 11 000 Menschen sind als so genannte zivile Opfer zu beklagen. Unvorstellbar, unvorstellbar für uns jedenfalls heute dieser Wahnsinn von wenigen Tagen in der sinnlosen Schlacht um Wien.

 

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn wir heute daher das 60-jährige Bestehen unserer Republik feiern, 60 Jahre Befreiung vom Faschismus, 60 Jahre der Niederlage von nationalsozialistischen Terrorregimes, so müssen wir in erster Linie dieser Opfer gedenken. Aller Opfer, egal ihrer Herkunft, der zivilen Kriegsopfer ebenso wie der gefallenen Soldaten jeder Nation, der KZ-Opfer, wie aller anderen Menschen, die durch dieses mörderische NS-Regime ums Leben gekommen sind. Es gibt keinen guten und keinen bösen Toten, aber es gibt Opfer und Täter. Und es gibt das Verbrechen, das wir nicht ungeschehen und vergessen machen können.

 

Für mich als ein Vertreter der nach dem Krieg in die Demokratie hineingeborenen Generation erwächst daraus die Verpflichtung, gegen jede Form von Terror und Diktatur, aber auch schon davor gegen Rassismus, Antisemitismus und Intoleranz und für Demokratie in Freiheit, Weltoffenheit und sozialem Zusammenhalt der Gesellschaft zu kämpfen. Dies ist unsere Verpflichtung und Aufgabe.

 

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst auch noch zur Dankbarkeit kommen. Das 60-jährige Republikjubiläum ist Anlass zu dieser Dankbarkeit. Dank an eine Generation, die mit ihrer Hände Arbeit aus den Trümmern des Jahres 1945 den Wiederaufbau geschafft hat, das Nachkriegswunder, mit dem man das Fundament für den Wohlstand von heute errichtet hat. Schauen wir hin in unsere Stadt, viel Kritik kann es dabei im Detail geben. Das Bessere ist immer der Feind des Guten. Aber es ist ein schönes Land und es ist eine schöne Stadt und sind wir daher unseren Müttern und unseren Vätern auch dankbar. Es ist Österreich

 

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