Landtag,
28. Sitzung vom 06.04.2005, Wörtliches Protokoll - Seite 9 von 10
heute eines der wohlhabendsten Länder der Welt, es zählt nach dem Bruttoinlandsprodukt pro Kopf zu den Top Ten in der Welt. Wien ist heute, zehn Jahre nach dem Beitritt zur Europäischen Union, die fünftreichste Region in dieser Gemeinschaft. Seien wir daher jenen dankbar, die die Fundamente dafür auch gelegt haben.
Ich glaube, ich brauche sie nicht zu zitieren, die
internationalen Studien über die Lebensqualität unserer Stadt. Wir befinden uns
weltweit hier im vorderen Feld. Wir sind führend im internationalen Tourismus.
Wir gelten als eine Weltkulturhauptstadt, insbesondere in der Musik.
Es sind dies alles Daten und Fakten, die die Menschen
so empfinden und für die unsere Väter und Großväter, unsere Mütter und
Großmütter im Jahre 1945 und danach die Voraussetzungen geschaffen haben.
Wir haben ihnen dankbar zu sein.
Ich denke, dass wir uns aber nicht nur aus aktuellem
Anlass, sondern auch in diesem Erinnern an die Rolle der Bundesländer in der
Geburtsstunde dieser Republik erinnern sollten, denn 1945 gaben die
österreichischen Bundesländer Österreich in der Tat die Einheit. Sie spielen
eine entscheidende Rolle für die Wiederentstehung Österreichs, wie wir es heute
kennen. Österreich war durch die sowjetische Besatzung Ostösterreichs de facto
zweigeteilt, ähnlich wie Deutschland. Karl Renners Anspruch auf die
Zuständigkeit seiner provisorischen Staatsregierung für ganz Österreich konnte
nur durch die Zustimmung und Einigkeit aller Bundesländer Erfolg haben. In den
Bundesländern hatten sich nach dem Kriegsende, unabhängig von den anderen
Landesausschüssen, Gruppierungen gebildet, die der jeweiligen Militärverwaltung
unterstellt waren. Sie und die lokalen Verwaltungsbehörden waren es, die in
Zusammenarbeit mit den jeweiligen Besatzungsmächten für das Funktionieren des
Lebens sorgten und dabei sogar größere politische Freiheiten genossen als
beispielsweise die Länder und Städte Deutschlands.
Am 27. April 1945 proklamierte die Regierung
Karl Renner zwar in Wien, hier im Rathaus, die Wiedererrichtung der Republik
Österreich, im Geiste der Verfassung von 1920, die Österreich auch als
Bundesstaat sah, es wurde schon darauf hingewiesen, und zwei Tage später trat
im Wiener Rathaus diese provisorische Stadtregierung erstmals zusammen. Doch
erst bei den Länderkonferenzen im September und Oktober 1945 in Wien erklärten
die Vertreter der Bundesländer, von denen manche Karl Renner durchaus skeptisch
gegenüber standen, eindeutig ihren Willen zur staatlichen Einheit und zur
Mitarbeit an dem neuen erweiterten Kabinett Renner. Erst dadurch wurde die
Zuständigkeit der Regierung Renner für ganz Österreich bestätigt, wurde
vermieden, dass es in den von den Westmächten besetzten Gebieten zur Bildung
einer Gegenregierung kam. Erst jetzt erfolgte am 20. Oktober 1945
durch den Alliiertenrat die offizielle Anerkennung der provisorischen
Staatsregierung Renner als Organ für ganz Österreich und nicht nur für den
sowjetisch besetzten Ostteil. Erst damit wurde der Staatsregierung das Recht
eingeräumt, für ganz Österreich Gesetze zu erlassen. Also erst mit der
Unterstützung der Regierung Renner durch die Bundesländer war die Ungeteiltheit
Österreichs sicher und jene Einigkeit aller politischen Kräfte hergestellt, die
Grundlage für den tatsächlichen Wiederaufbau Österreichs als gemeinsame Heimat
war. Für das Bemühen um Freiheit und Unabhängigkeit des Landes ohne die
Zustimmung der Bundesländer zur Regierung Renner hätte die Geschichte
Österreichs nach 1945 einen anderen Verlauf nehmen können. Es hätte Österreich
vielleicht auch das Schicksal einer jahrzehntelangen Teilung wie Deutschland
ereilt. Die Einigkeit der Bundesländer, der großen politischen Parteien und
schließlich auch der Sozialpartner brachte die Einheit, den Wiederaufbau, die
Unabhängigkeit und schließlich auch den wirtschaftlichen Aufschwung Österreichs
zustande.
Wer daher heute etwa im Zuge der Debatte über eine
Verfassungsreform meint, die Bundesländer wären bloß eine Verwaltungsebene,
deren Sinn durchaus auch in Frage zu stellen sei, der weiß offensichtlich nicht
um diese außergewöhnliche historische Bedeutung der Bundesländer für die
Staatswerdung Österreichs. Er verkennt zweifelsohne ihre enorme
identitätsstiftende Funktion für die Menschen und damit auch ihre politische
Kraft in Krisensituationen des Staates. Er verkennt aber auch ihre Bedeutung
innerhalb der Europäischen Union, wo der Integrationsprozess nicht nur sehr
rasch vorangeht, sondern auch Veränderungen für die Menschen mit sich bringt.
Er verkennt die Rolle der Regionen auch über die heutigen Nationalstaatsgrenzen
hinweg, in ihrer kulturellen und auch ökonomischen Bedeutung für die künftige
Entwicklung unseres gemeinsamen Europas. Es sind die Kommunen, es sind die
Regionen, es sind die Bundesländer, die überschaubare und gestaltbare
Lebensräume, ein weitgehend stabiles Lebensumfeld anbieten können, wo die Menschen
in einer bewegten Zeit Rückhalt und Sicherheit spüren.
Wenn der Begriff "Heimat" Inhalt finden
kann, dann ist dies der Ort, wo man Geborgenheit empfindet, Vertrautheit,
Wohlfühlen – ich bin daheim und dies bietet gerade in bewegter Zeit die Region,
die Stadt, die Gemeinde.
Ich bin ein überzeugter Europäer und ein überzeugter
Europäer, der glaubt, dass gerade die europäische Verfassung in ihrem Entwurf
für diese Voraussetzungen wesentliche entscheidende und positive Grundlagen
schafft. Aber gerade weil diese europäische Verfassung die Möglichkeit für die
Arbeit der Gemeinden, der Städte und der Regionen in diesem Europa auf neue und
positive Grundlagen stellt, denke ich, dass es wichtig ist, hier diese auch mit
Inhalten zu erfüllen. Heimat ist für die Menschen, wo sie sich wohl fühlen und
diesem Umstand trägt auch die Europäische Union in ihrem neuen
Verfassungsentwurf Rechnung.
Und dies ist der Grund, meine sehr
geehrten Damen und Herren, warum man nicht zuletzt auch darauf hinweisen sollte
in Zeiten wie diesen, dass wenn man vernünftige Diskussionen über good
government in Europa führen will, nicht nur der Konflikt zwischen Subsidiarität
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