Landtag,
28. Sitzung vom 06.04.2005, Wörtliches Protokoll - Seite 10 von 10
und Wettbewerb permanent zu Ungunsten der Subsidiarität auszugehen hat, sondern man hat auch darauf hinzuweisen, dass nicht nur die kulturelle Diversität eine entsprechende Rolle in diesem Europa spielt, sondern auch das regionale Heimatgefühl der Menschen für das positive Erleben in einem gemeinsamen Europa von Wert ist.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich
aber auch noch auf einen Umstand hinweisen, der in dieser Geschichte
Österreichs, in dieser 60-jährigen, immer eine besondere Bedeutung gespielt
hat. Nämlich der Hilfe für andere, der Hilfsbereitschaft der Österreicherinnen
und Österreicher, der Solidarität, ja der Nächstenliebe.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Erinnern wir
uns daran, dass in einem Österreich, in dem viele Menschen in Not und Elend
lebten, in dem viele Menschen zurückgekehrt waren nach dem
Kriegsgefangenenlager in Not und Elend, wie schon im Jahre 1956 200 000 Flüchtlinge
aus Ungarn aufgenommen hat; 1968 100 000 Flüchtlinge aus der CSSR
nach dem Einmarsch der Warschauer Pakttruppen; 1981 50 000 Flüchtlinge
nach der Verhängung des Kriegsrechts in Polen; 1990
20 000 Flüchtlinge aus Rumänien; im Winter 1991/92
5 000 Flüchtlinge aus Kroatien; im Winter 1992/93
30 000 Flüchtlinge aus Bosnien, die in Wien untergebracht wurden.
In den 70er und 80er Jahren war Wien für
200 000 Juden, die vom Antisemitismus des kommunistischen
Machtapparates vertrieben wurden, das Tor zum Westen und das Tor zur Freiheit.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Erinnern wir
uns auch in Dankbarkeit hier an die Leistung unserer Vorväter und -mütter, die
in wirtschaftlich viel schwierigeren Zeiten, die in Zeiten größerer Armut als
dies heute ist, Menschen, die zu uns gekommen sind oder um Hilfe gebeten haben,
diese Hilfe auch gewährt haben.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bewahren wir
uns auch dieses Vermächtnis der offenen Herzen aus der Geschichte Österreichs
aus den 60 Jahren seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der viel
beschworene Geist der Lagerstraße, den unsere Großväter, Großmütter erlebt
haben, der ist ein Geist der Concordia und es gibt eine Reihe von jungen
Leuten, die sich da durchaus gelegentlich darüber lustig machen. Und in der Tat
ist auch festzustellen, dass unter diesem Titel des Geistes der Concordia
vieles an Erstarrung, an Nichtweiterentwicklung und an Stillstand auch verdeckt
wurde.
Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren,
Stillstand der Entwicklung zu beseitigen, ist das eine, und zusammenzuarbeiten,
das Gemeinsame vor das Trennende zu stellen, also den Geist der Concordia, der
Lagerstraße zu beschwören, das andere. Und wenn wir daher aus diesem Blick in
die Geschichte eine weitere Erfahrung in die Zukunft mitnehmen wollten, dann
gilt es, diesen Geist der Concordia als eines der politischen
Handlungsprinzipien auch festzuhalten.
Alfred Adler, der der Wiener Geistesgeschichte nicht unbekannte
Individualpsychologe, hat einmal gesagt, es gibt keine allgemeine Wahrheit.
Aber was ihr am nächsten kommt, ist die Gemeinschaft. Merken wir uns dies,
merken wir uns die Erfahrungen aus der Geschichte der letzten 60 Jahre und
bewahren wir uns diese Gemeinschaft, die am Beginn der 60 Jahre
aufgestanden ist. Danke schön.
(Allgemeiner Beifall.)
Präsident Johann Hatzl: Herr
Landeshauptmann, ich danke Ihnen für diese Ansprache und ganz besonders auch
für diese Form eines Vermächtnisses, das doch Richtlinie für eine große und
gemeinsame Arbeit für die Zukunft unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger sein
soll.
Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich, bevor wir
mit der Bundeshymne unseren Festakt abschließen, erstens einmal Dank sagen dem
EOS-Quartett, die das musikalisch sehr festlich umrahmt haben. (Allgemeiner
Beifall.)
Lassen Sie mich aber auch Dank sagen all jenen Frauen
und Männern, die hier im Wiener Rathaus in der Vorbereitung für diesen Festakt
befasst waren und zum Gelingen beigetragen haben, egal ob es sich um die
Reinigung, um die Blumenschmückung, um die Technik oder anderes mehr gehandelt
hat. Die verdienen ebenfalls Ihre Anerkennung. (Allgemeiner Beifall.)
Lassen Sie mich auch danken Ihnen allen, die als
heute sehr wichtige und besondere Gäste hier im Wiener Landtag, im Wiener
Rathaus anwesend waren und uns so deutlich die Sympathie, die Zuneigung, aber
auch das Verständnis und die Mithilfe für die Abgeordneten, für die politisch
Verantwortlichen gezeigt haben, sei es in früherer Tätigkeit gewesen oder durch
religiöse Aufgaben und Verbindung zu uns oder durch das immer mahnende Gewissen
jener, die die Vertreter jener Generation sind, die für uns gelebt, aber auch
gestorben sind, und mein Dank auch nochmals Frau Präsidentin Schaumayer.
Ich möchte aber in einem besonderen Maße dem Herrn
Bundespräsidenten danken, dass er heute hier in seiner Stadt, in seinem
Bundesland, in der Bundeshauptstadt an dieser festlichen Stunde teilgenommen
hat. Es hat uns sehr beeindruckt und wir sind außerordentlich dankbar. (Allgemeiner
Beifall.)
Hohes Haus! Ich darf Sie noch informieren, dass heute
auch noch vorgesehen ist, dass die beiden Präsidentinnen und ich gemeinsam mit
den Vertretern der Opferverbände, aber auch der Frau Klubvorsitzenden und den
Herren Klubvorsitzenden im Wiener Landesgericht eine Kranzniederlegung
vornehmen im Weiheraum, in jenem Bereich, wo die Menschen hingerichtet wurden,
als Erinnerung, als Zeichen der Dankbarkeit, dass der Begriff "niemals
vergessen", auch seine Wirklichkeit hat.
Ich bitte Sie nunmehr zum Schluss unseres Festaktes,
gemeinsam die Bundeshymne zu singen.
(Es erheben sich alle von ihren Plätzen.)
(Die Bundeshymne wird gespielt.)
Die festliche Sitzung des Wiener Landtages ist
geschlossen.
(Ende um 11.59 Uhr.)
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