Landtag,
3. Sitzung vom 25.01.2006, Wörtliches Protokoll - Seite 29 von 78
und wirtschaftliche Chancengleichheit ihrer Bürger zu
vernachlässigen.“
Dieser europäische Traum, seine Realisierung und
Weiterentwicklung wird wesentlich in den Städten Europas entschieden.
Europäische Geschichte ist vor allem europäische Stadtgeschichte. Was wäre
Europa ohne seine Städte? Europa ist der urbanste Kontinent. Demokratie und
Rechtsstaatlichkeit sind in den europäischen Städten entstanden.
Wirtschaftsentwicklung ist ohne städtische Dynamik undenkbar. Gesellschaftliche
Entwicklung, Aufklärung und Säkularisierung sind ohne urbanes Lebensgefühl
nicht vorstellbar. Die europäische Stadt ist die Keimzelle der westlichen
Moderne.
Europäische Stadtgeschichte ist immer auch Emanzipationsgeschichte.
Die Frage der Zukunft des europäischen Gesellschaftsmodells wird sich am Beginn
des 21. Jahrhunderts in den Städten Europas entscheiden. Die zentrale
Herausforderung für die Stadt Wien stellt das Ziel dar, das erreichte Niveau an
Lebensqualität und sozialem Zusammenhalt, an Nachhaltigkeit, an
wirtschaftlicher Entwicklung nicht bloß zu erhalten, sondern angesichts der
neuen Rahmenbedingungen wie insbesondere einer wissensbasierten Ökonomie vor
dem Hintergrund der Globalisierung weiter auszubauen und weiter zu entwickeln.
Wien ist dabei im Zuge der Erweiterung der Europäischen Union mit
1. Mai 2004 von einer Stadt der Peripherie wieder ins Zentrum
gerückt. Es ist wieder die urbane Mitte Zentraleuropas und übt eine starke
Anziehungskraft auf die mobilen und dynamischen Segmente der mitteleuropäischen
Gesellschaft aus. Wien erhält damit wieder ein vielfältigeres Gesicht, religiös
und sozial, sprachlich und politisch, wirtschaftlich und nachhaltig.
Heute gilt es, Visionen und Markierungen für die
Zukunft und die Stadt im 21. Jahrhundert zu entwickeln. Visionen von einer
sozial gerechten Union, die sich einer nachhaltigen Entwicklung verpflichtet
fühlt, bedürfen eines starken Fundaments. Dieses starke Fundament manifestiert
sich wesentlich in effizienten und leistbaren Diensten von allgemeinem
Interesse. Aus diesem Grund gehen im Bereich der Dienstleistungen von
allgemeinem Interesse die Bemühungen Wiens um den Erhalt effizienter Leistungen
der Daseinsvorsorge für das europäische Gesellschaftsmodell zusammen mit der
kommunalen Wahlfreiheit bei der Erbringung öffentlicher Dienstleistungen
weiter.
Dazu verabschiedete die Landtagspräsidentenkonferenz
vom 29. November 2005 auf Vorschlag Wiens eine Resolution mit sechs
Forderungen an die Bundesregierung.
Diese sind:
- Anerkennung und Beibehaltung des hohen Stellenwerts
von Dienstleistungen von allgemeinem Interesse innerhalb des europäischen
Gesellschaftsmodells,
- Aufrechterhaltung des Rechts auf Selbstbestimmung
in Form wirtschaftlicher Wahlfreiheit der Gebietskörperschaften, die Leistungen
entweder durch eigene Dienststellen oder durch in deren Eigentum stehende
Unternehmen oder durch private Unternehmen im Wettbewerb erbringen zu lassen,
- Befolgung des Grundsatzes Nein zu Kostenwettbewerb,
Ja zu Qualitätswettbewerb,
- Ausnahme der Leistungen der Daseinsvorsorge vom
Anwendungsbereich des Richtlinienentwurfs über Dienstleistungen im Binnenmarkt,
- Beendigung der sektoralen
Liberalisierungsbestrebungen im Bereich der Daseinsvorsorge durch die
Europäische Kommission,
- Beihilfen und wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit
der Finanzierung von Leistungen der Daseinsvorsorge.
Gleichzeitig wurde die Bundesregierung darin
aufgefordert, bei Verhandlungen des Rats auf allen Ebenen diese Forderungen zu
vertreten und den Vorschlag der Europäischen Kommission betreffend eine
Richtlinie über die Dienstleistungen im Binnenmarkt in der vorliegenden Form
abzulehnen.
Die österreichische Ratspräsidentschaft wird darüber hinaus
auch von intensiven Verhandlungen zur Dienstleistungsrichtlinie gekennzeichnet
sein. Sowohl für das Europäische Parlament als auch für den Rat der
Europäischen Union steht eine Abstimmung beziehungsweise Positionierung zum
Richtlinienentwurf im 1. Halbjahr 2006 auf der Tagesordnung.
Nach der Abstimmung zum Entwurf über die
Dienstleistungsrichtlinie im federführenden Binnenmarktausschuss am
22. November 2005 findet am 15. Februar 2006 die 1. Lesung
im Plenum des Europäischen Parlaments statt. Da dem Europäischen Parlament im
Gesetzgebungsverfahren ein echtes Vetorecht zukommt, ist die Abstimmung im
Plenum von großer Bedeutung für den Entscheidungsprozess in der Kommission und
im Rat.
Wien hat in zahlreichen Stellungnahmen die Positionen
der Berichterstatterin im Europäischen Parlament, Frau Evelyn Gebhardt,
unterstützt, die sich vehement für die Ausnahmen aller Leistungen der
Daseinsvorsorge vom Anwendungsbereich der Richtlinie einsetzt. Im
Binnenmarktausschuss konnte zwar eine Mehrheit für die Ausnahme von
Dienstleistungen von allgemeinem Interesse vom Anwendungsbereich der Richtlinie
erzielt werden, Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse
sollen allerdings nur vom Herkunftslandprinzip ausgenommen werden.
Die Stadt Wien wird im Hinblick auf die
1. Lesung im Parlament ihr aktives Lobbying dahin gehend fortsetzen, eine
generelle Ausnahme aller Dienstleistungen der Daseinsvorsorge vom
Anwendungsbereich der Richtlinie zu erreichen.
Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Auch Entwicklungen auf europäischer Ebene im Bereich öffentlicher
Personennahverkehr könnten sich unter österreichischer Ratspräsidentschaft
verstärken. Nach Vorlage des nunmehr dritten Verordnungsentwurfs der
Europäischen Kommission am 20. Juli 2005 wird in den befassten
Fachkreisen ernsthaft an einer zügigen Finalisierung der Verordnung gearbeitet.
Der vorliegende Verordnungsentwurf kommt wichtigen Forderungen des Europäischen
Parlaments aus 1. Lesung, der großen urbanen Verkehrsunternehmen Europas
und der Allianz der Städte,
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