Landtag,
3. Sitzung vom 25.01.2006, Wörtliches Protokoll - Seite 28 von 78
Sozialunion als Eckpfeiler der Europäischen Union zu
verankern und in das europäische Vertragswerk aufzunehmen.
Gerade das Fehlen klarer Aussagen und Bestimmungen
zur Sozialunion, aber auch die fehlende Wirklichkeit hat ja - und hier bin ich
fest davon überzeugt - dazu geführt, dass die Unionsbürgerinnen und
Unionsbürger in Frankreich und in den Niederlanden Nein zu diesem
Verfassungsentwurf gesagt haben. Die Verfassung wurde jedoch nicht abgelehnt,
weil die Menschen gegen die Europäische Union sind, sondern weil ein
wesentliches Element zur Identifikation mit dieser Verfassung und somit mit dieser
Europäischen Union gefehlt hat: Klare Aussagen und Bestimmungen zur Sozialunion
und Antworten auf die die Menschen unmittelbar betreffenden Fragen nach
sozialer Sicherheit und sozialer Gerechtigkeit, den Zugang zu Leistungen der
Daseinsvorsorge und Fragen nach sozialem Zusammenhalt.
Österreich als gegenwärtiger Träger des Ratsvorsitzes
hat nunmehr die einmalige Gelegenheit, den europäischen Einigungsprozess wieder
in Gang zu bringen und voran zu treiben. Die österreichische Bundesregierung
ist dabei gut beraten, eng mit dem Europäischen Parlament zusammen zu arbeiten
und die vorliegenden Vorschläge des Europäischen Parlaments ernst zu nehmen und
aktiv aufzugreifen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, gerade die
Stadt Wien legt traditionell besonderes Augenmerk auf die Wahrung des sozialen
Zusammenhalts der Bürgerinnen und Bürger in dieser Stadt und dies ist wohl auch
ein wesentlicher Erfolgsfaktor für die ökonomisch erfreuliche Entwicklung und
das hohe Maß an Lebensqualität, das unsere Stadt im weltweiten Vergleich
auszeichnet. Europa mit der Europäischen Union ist der urbanste Kontinent und
die Städte sind es, in denen sich die Zukunft des europäischen
Gesellschaftsmodells und damit die Zukunft des europäischen Traums entscheidet.
Die Europäische Kommission hat dies jüngst in ihrem Arbeitsdokument “Die
Kohäsionspolitik und die Städte, der Beitrag der Städte zu Wachstum und
Beschäftigung in den Regionen“ deutlich zum Ausdruck gebracht.
Lassen Sie mich an dieser Stelle kurz daraus
zitieren: „Seit zwei Jahrhunderten sind Städte sowie großstädtische
Ballungsgebiete die treibenden Kräfte der wirtschaftlichen Entwicklung in
Europa und schaffen Wachstum, Innovation und Beschäftigung. Diese zentrale
Rolle ging in den letzten Jahren mit einer Erweiterung ihrer Befugnisse einher.
Aber die Städte agieren nicht isoliert. Sie sind wichtige Akteure der
regionalen Entwicklung, die die Entwicklung der umliegenden ländlichen Gebiete
einschließt. Städte und Regionen sind aufeinander angewiesen. Eine Region ist
erfolgreich, wenn ihre Städte erfolgreich sind, ebenso wie eine Stadt von der
positiven Entwicklung der Großregion profitiert.“
Und weiter: „Die Europäische Union wird ihre Agenda
für Wachstum und Beschäftigung dann erfolgreich umsetzen, wenn alle Regionen, insbesondere
die Regionen mit dem größten Potential für höhere Produktivität und mehr
Beschäftigung, ihren Beitrag leisten können. Den Städten kommt bei dieser
Aufgabe große Bedeutung zu. Sie haben das größte Angebot an Arbeitsplätzen,
Unternehmen und höheren Bildungseinrichtungen und sind wichtige Akteure bei der
Verwirklichung des sozialen Zusammenhalts. Die Städte stehen im Mittelpunkt des
Wandels, für den Innovation, unternehmerische Initiative und
Unternehmenswachstum die Grundlage bilden.“
Meine sehr geehrten Damen und Herren, auf diesen
Themenschwerpunkt Sozialzusammenhalt werde ich auch als gewählter
Berichterstatter im Ausschuss der Regionen zu diesem Arbeitsdokument meinen
besonderen Wert legen.
Österreich als Träger der gegenwärtigen EU-Ratspräsidentschaft
wird es gut anstehen, die Erfahrungen seiner Erfolgsgeschichte der Zweiten
Republik, deren sozialem Zusammenhang, dem sozialen Ausgleich einer
Gesellschaft, stets besondere Bedeutung zukam, aktiv und engagiert in die
Diskussion über die Europäische Verfassung einzubringen.
Ich bin fest davon überzeugt, dass eine Verfassung
der Europäischen Union, die neben der wirtschaftlichen Entwicklung auch die
soziale Dimension gleichberechtigt beinhaltet, die Mehrheit der Europäer und
Europäerinnen bei der EU-weiten Volksabstimmung überzeugen wird. Und ich darf
Sie einmal mehr daran erinnern, ohne offenen und ehrlichen Dialog mit den
Bürgerinnen und Bürgern dieses Europas wird es keine gemeinsame Zukunft dieses
vereinten Europas geben. Dies bringt Artikel 1 des Verfassungsentwurfs zum
Ausdruck. Nur eine Verfassung, die geleitet ist vom Wollen der Bürgerinnen und
Bürger und der Staaten Europas, ihre Zukunft gemeinsam zu gestalten, ist in der
Lage, identitätsbildend zu wirken und mit einer EU-weit durchgeführten
Volksabstimmung eine entsprechende Unterstützung und Befürwortung zu erreichen.
Meine Damen und Herren, wir
wissen, dass die Fragen der Wirtschaft, Beschäftigung, der Bekämpfung der
Arbeitslosigkeit, der Bildung und Ausbildung, Forschung und Entwicklung zu den
wichtigsten Fragen für die Zukunft aller europäischen Städte und damit Europas
gehören. Die Lösung dieser Fragen entscheidet darüber, welche Chancen unsere
Jugend, unsere Kinder in Zukunft haben werden. Es ist daher ein Mehr an
Integration, und zwar mehr als nur eine rein ökonomische Integration gefragt.
Will die Europäische Union die Identifikation ihrer Bürgerinnen und Bürger
erfolgreich vorantreiben, darf dieses Integrationsprojekt nicht alleine auf den
ökonomischen Bereich beschränkt werden. Gerade sozialer Zusammenhalt und
Nachhaltigkeit sind Themen, die in Europa entstanden sind und sich hier
entwickelt haben. Sie machen das europäische Gesellschaftsmodell gerade im
globalen Konnex aus. Jeremy Rifkin hat dies 2004 in seinem Buch “Der Europäische
Traum, die Vision einer leisen Supermacht“ beeindruckend dargestellt. Er
schreibt: „Die wirkliche Herausforderung für die Europäische Union in den
kommenden Jahren lautet, ihre ungeheuren natürlichen und menschlichen
Ressourcen zu nutzen und eine leistungsfähige, kontinentale Wirtschaft
aufzubauen, ohne die soziale Gerechtigkeit
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