Landtag,
10. Sitzung vom 28.06.2007, Wörtliches Protokoll - Seite 25 von 98
dem belgischen Senat im heurigen März ausgedrückt
hat.
Die Initialzündung zu einer ökonomischen und
gesellschaftlichen Gesundung Europas kam also sowohl von außen - zum Beispiel
durch den Marshall-Plan, von dem Österreich im besonderen Ausmaß profitierte -
als auch von innen: Durch die Tradition des antifaschistischen Widerstandes und
der Solidarität der Lagerstraßen. Der Impuls für eine Zusammenarbeit über
Staatsgrenzen hinweg und im Zuge eines fein austarierten Institutionensystems
musste sich aber erst mühsam über Jahre hinweg entwickeln.
Die deutsch-französische Achse, um die sich die
Gemeinschaft der sechs ab 1951 in Form der gemeinschaftlichen Verträge zu Kohle
und Stahl und ab 1957 in Form der EWG gruppierte, musste langsam und sehr
vorsichtig erarbeitet werden. Viele Wege und auch Irrwege wurden in ganz
Westeuropa bei der Suche nach Überwindung der tiefen ideologischen Gräben
begangen, bis schlussendlich auf europäischer Ebene viele Gemeinsamkeiten
gefunden werden konnten.
Erst das Projekt eines - wohlgemerkt: sozial
flankierten - Binnenmarktes, das vom neu bestellten EU-Kommissionspräsidenten
Jacques Delors mit viel Verve und persönlichem Einsatz vorangetrieben wurde,
hat die europäische Gemeinschaft neuerlich entscheidend vorangebracht. Manche
haben später nur mehr die Vollendung des Binnenmarkts und, damit
zusammenhängend, die sektorale Liberalisierung auf ihre Fahnen geschrieben. Das
war allerdings nur ein Teil der Idee des großen Europäers Jacques Delors. Die
soziale Dimension war und ist für ihn eine Grundkonstante des Politischen in
Europa. Der soziale Dialog, Wachstum, Beschäftigung und Teilhabe waren ihm, vor
allem aus seinen Erfahrungen in Frankreich heraus, wesentliche Anliegen.
Der eigentliche Beginn des Versuchs, eine umfassende
Wachstums- und Beschäftigungspolitik für die Europäische Union zu entwerfen,
kann in der Mitte der 90er Jahre festgemacht werden. 1994 erschien das Weißbuch
der EU-Kommission mit dem Titel „Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit,
Beschäftigung", das unter Delors' Federführung erarbeitet wurde. Es
verbindet auch den Delors eigenen Pragmatismus mit visionären Vorstellungen einer
Europäischen Union der Vollbeschäftigung.
Nach dem Beitritt von Österreich, Schweden und
Finnland Anfang 1995 wurde auf Initiative des damaligen Bundeskanzlers
Dr Vranitzky das Thema Beschäftigung auf EU-Ebene in der damaligen
Regierungskonferenz eingebracht, was dazu führte, dass im Vertrag von Amsterdam
ein neuer Titel „Beschäftigung" eingeführt wurde. In diese Zeit fällt auch
der Beginn der Neuordnung Europas im Wege der Annäherung der zentral- und
osteuropäischen Staaten an die Europäische Union nach 1990 und schließlich ihre
schrittweise Integration in die EU-Strukturen. Denken wir nur an die
Übergangsmechanismen auf zahlreichen Ebenen, vom Arbeitsmarkt bis zur Kontrolle
der Schengen-Grenze.
Heute gehen unsere Blicke in Richtung der Menschen
und Länder Südosteuropas. Ich kann ruhigen Gewissens sagen, dass sich die Stadt
Wien und die Republik Österreich in diesen Ländern seit vielen, vielen Jahren
vorbildlich engagieren. Wir müssen unsere Anstrengungen meiner Ansicht nach auf
allen Ebenen, gerade auf Ebene der Regionen, Städte und Gemeinden, sogar weiter
verstärken, um den Menschen in Belgrad, Skopje, Sarajevo, Zagreb und auch
Priština ein starkes Signal zu senden: Wir lassen euch nicht allein, ihr seid
Teil Europas!
Diesen Staaten wurde eine Integration in die
Europäische Union in Aussicht gestellt. Mit Kroatien wird verhandelt,
Mazedonien wurde der Kandidatenstatus zuerkannt. Nichts könnte besser sein als
diese Strategie, denn die Länder Südosteuropas brauchen einen festen Anker. Die
Heranführung dieser Länder muss künftig eine der vorrangigen Aufgaben Europas
darstellen, und es darf keineswegs nur ein Projekt der Eliten sein.
Für all diese Projekte zur gemeinsamen Entwicklung
Europas müssen allerdings unsere gemeinsamen Regeln gelten - und dies gilt auch
für unsere Beziehungen zur Türkei -: ein Bekenntnis zum Acquis communautaire,
zu den Kopenhagener Beschlüssen, zum Ergebnis von Lissabon, zu unserem
europäischen Wertesystem und sohin zu Demokratie, Freiheit, Solidarität und
sozialer Gerechtigkeit.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Letztes
Wochenende haben sich 27 Staats- und Regierungschefs auf einen zweiten
Anlauf zur Reform und Vertiefung der Europäischen Union verständigt. Die
Eckpunkte der geplanten Vertragsänderungen wurden festgezurrt.
Erfreulicherweise blieb dabei die Substanz des Entwurfs der vormaligen
EU-Verfassung wie die institutionelle Reform - dabei für Regionalpolitiker
besonders wichtig: nahezu alle Punkte im Sinne der institutionellen Rechte für
lokale und regionale Gebietskörperschaften - sowie die Grundrechte und das
Protokoll zu den Dienstleistungen von öffentlichem Interesse erhalten.
Mit dieser institutionellen Reform werden die
Entscheidungsstrukturen der Union ein bisschen effizienter, und die EU wird
handlungsfähiger; einerseits, weil Mehrheitsbeschlüsse ab 2014 zur Regel werden
- außer in den sensiblen Bereichen wie Steuer, Arbeitsmarkt oder Außenpolitik
-; andererseits, weil die Phase der Nabelschau Europas nun zu Ende sein sollte.
Die Europäische Union wird aber auch demokratischer, weil das direkt gewählte
EU-Parlament in mehr Politikbereichen mitentscheiden kann, aber auch, weil die
Rolle der Regionen und Kommunen - ich wiederhole es - eindeutig gestärkt wird!
Im geplanten Reformvertrag werden
zusätzlich der Klimaschutz und die Solidarität bei der Energieversorgung als
Zukunftsaufgaben verankert. Auch in der prinzipiellen wirtschaftlichen
Ausrichtung erfolgen längst fällige Korrekturen. Wettbewerb ist kein Ziel mehr
an sich, sondern das, was er immer schon sein sollte: ein Mittel zum Zwecke der
Steigerung des Wohlstandes der EU-Bürger. Dies kann als Lernprozess aus den
negativen Referenden interpretiert werden. Zu hoffen ist, dass die
Regierungskonferenz den Reformvertrag auch tatsächlich bis
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