Landtag,
16. Sitzung vom 28.03.2008, Wörtliches Protokoll - Seite 25 von 78
Anerkennung des Prinzips der
territorialen Kohäsion als eine Zielsetzung der Union. Und in einem Protokoll
zum Reformvertrag wurde schließlich die Betonung des Rechts der Kommunen zur
eigenverantwortlichen Erbringung von Daseinsvorsorgeleistungen festgelegt.
Natürlich ist dieser
Reformvertrag nicht das Nonplusultra, nicht das Gewünschte, sondern das
Ergebnis von sehr, sehr vielen Kompromissen, die je nach politischer
Einstellung unterschiedlich gesehen und unterschiedlich beurteilt werden. Dies
ist demokratisch normal. Auch ich hätte mir einiges wohl etwas anders
gewünscht, insbesondere was die soziale Dimension, den sozialen Zusammenhalt
der europäischen Gesellschaft und auch die Verbindlichkeit der Regelungen zur
Daseinsvorsorge betrifft. Eine offene und öffentliche Diskussion über diese unterschiedlichen
Sichtweisen werden der EU, und damit auch uns allen, gut tun.
Meine sehr geehrten Damen
und Herren, ebenfalls im Jahre 2007 hat die Europäische Kommission in zwei
zentralen Bereichen mit einer Grundsatzdebatte für die Zeit nach 2013 begonnen:
Im Haushaltsbereich mit der Mitteilung „Den Haushalt reformieren, Europa
verändern", und im Bereich der Kohäsionspolitik sind mit dem vierten
Kohäsionsforum „Herausforderungen von morgen“ die in dem Budget beigefügten
Mitteilungen angeführt.
Ich halte die inhaltliche
Einschätzung der Lage für richtig, meine jedoch, dass es sich dabei um
Herausforderungen der Gegenwart und nicht einmal so sehr der Zukunft handelt.
Es geht dabei um Folgendes:
Erstens: Die Veränderung auf
den Weltmärkten und die Fähigkeit Europas, die sich aus diesem Strukturwandel
ergebenden sozialen Folgen zu bewältigen.
Zweitens: Die Zunahme der
Bedeutung von Forschung und Innovation sowie der Wandel zu einer
Wissensgesellschaft, womit auch das Wesen der Arbeit neu zu bestimmen sein
wird.
Drittens: Der demographische
Wandel und die Zunahme der Diversität in unserer Gesellschaft.
Und viertens: Die
Auswirkungen des Klimawandels und die Sicherung einer nachhaltigen
Energieversorgung.
Was ist diesen Themen
gemeinsam? Unter vielen anderen ist ihnen gemeinsam, dass es jeweils die Städte
sind, an denen sich die erfolgreiche Bewältigung entscheidet. 2007 lebte zum
ersten Mal in der Geschichte die Mehrheit der Weltbevölkerung in Städten, die
Tendenz ist weiter steigend. Die Bedeutung der Städte für die Lösung der
wichtigsten Zukunftsaufgaben der Menschheit wird in unserer globalisierten Welt
immer größer. Nirgendwo sonst sind die Vielschichtigkeit und die Ambivalenz von
Globalisierung so deutlich wie in den Metropolen. Wirtschaftlicher und sozialer
Wandel zeigt sich in der Geschichte in der Regel zuerst und am deutlichsten in
Ballungszentren, und auch heute sind Städte die gesellschaftlichen
Experimentierplätze der neuesten Entwicklung.
Ganz klar sage ich auch,
dass Solidarität und Sichtbarkeit zentrale Kriterien des Erfolges europäischer
Maßnahmen sein müssen. Auf die Wichtigkeit dieser beiden Aspekte habe ich seit
geraumer Zeit in allen Stellungnahmen zur europäischen Politik hingewiesen. Es
freut mich daher, dass diese beiden Kriterien nun auch in dieser
Budgetmitteilung dezidiert betont werden.
Erfreuliche Signale sind
auch aus der Diskussion über die Zukunft der Kohäsionspolitik zu vernehmen. Der
für heuer geplante Grün-Entwurf zur territorialen Kohäsion behandelt jedenfalls
das Verhältnis Stadt-Land und die Frage einer polyzentrischen städtischen
Entwicklung. Dies nicht lediglich unter dem ausschließlichen Primat Wettbewerb,
sondern ebenso unter den Prinzipien der Subsidiarität, des sozialen Ausgleiches
und der Nachhaltigkeit.
Lassen Sie mich dies, meine
sehr geehrten Damen und Herren, anhand einiger Beispiele veranschaulichen.
In Zeiten des globalen
Wettbewerbs ist für jede Volkswirtschaft die Effizienz der öffentlichen Hand
von zentraler Bedeutung. Wien nimmt hier eine Vorreiterrolle ein. Dies
manifestiert sich nicht zuletzt in unserer weltweit anerkannten hohen
Lebensqualität. Dies ist auch der Grund, warum sich Wien so vehement für den
Erhalt der kommunalen Wahlfreiheit bei der Erbringung dieser Leistungen
einsetzt. Sehr positiv bewerte ich, dass der Europäische Reformvertrag eine
ausdrückliche Anerkennung des kommunalen Selbstverwaltungsrechtes enthält. Es
ist damit das erste Rechtsdokument der EU, das eine rechtliche Verankerung der
Wahrung des kommunalen Selbstverwaltungsrechtes enthält. Es erscheint mir
besonders wichtig, dass die Organisationshoheit der Städte und Gemeinden
garantiert festgeschrieben und einheitliche Qualitätskriterien formuliert
werden. Die Verordnung zum öffentlichen Personennahverkehr kann nunmehr in
diesem Zusammenhang als positives Beispiel dienen. Zum ersten Mal in der
Geschichte der europäischen Rechtssetzung ist es mit dieser Verordnung
gelungen, das Subsidiaritätsprinzip in einem konkreten Rechtsakt mit
praktikablen Lösungen für Städte und Gemeinden festzulegen.
Im Bereich sozialer
Dienstleistungen zielen die Pläne der Kommission auf die Fortführung des so
genannten sozialen Dialogs ab. Wie bei den Gesundheitsleistungen ist es
wichtig, soziale Dienstleistungen einer gesonderten Betrachtungsweise zu
unterziehen und zu erkennen, dass die Prinzipien des freien Marktes nicht
uneingeschränkt angewandt werden können. Denn wie sagte der Träger des
Wirtschaftsnobelpreises 2007, Leonid Hurwicz, so richtig: „Freie Märkte
mögen frei sein, aber sie sind nicht immer das Beste.“ Oberstes Ziel muss es
daher sein, nach konkreten Lösungen für die Probleme der Menschen zu suchen und
nicht aus ideologischen Gründen bestimmte Marktstrukturen anzustreben.
Meine
sehr geehrten Damen und Herren, die Kommission will nicht nur durch sektorale
Regelungen Kompetenzen an sich ziehen, sie versucht auch, die
Konzessionsvergabe unter das Vergaberegime zu stellen. Ich sage an dieser
Stelle deutlich „nein“ zur Verrechtlichung der Konzessionen und damit „nein“
zur Einschränkung der wirtschaftlichen Wahlfreiheit der lokalen Ebene.
Stadt Wien | Geschäftsstelle Landtag, Gemeinderat, Landesregierung und Stadtsenat (Magistratsdirektion)
Kontaktformular