Landtag,
33. Sitzung vom 24.06.2010, Wörtliches Protokoll -
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§ 23 Abs 2 Punkt 5 lautet wie folgt: ‚Aktueller Nachweis
über Einkommen, den Bezug von pflegebezogenen und sonstigen Leistungen sowie
Unterhaltsansprüche und Verpflichtungen’, zu streichen ist der Zusatz
betreffend die Einkommensverhältnisse.“
Aber auch im vorliegenden Gesetzesentwurf sind ja nicht nur Bestimmungen
anzupassen. Es gibt ja auch wesentliche Bereiche, die gar nicht im neuen Gesetz
geregelt sind oder nicht präzise genug. Auch das haben die
Interessensvertretung, aber auch die Verbände für Menschen mit Behinderungen
eingefordert.
Ich will in dieser Sitzung heute nur zwei Bereiche herausgreifen, und
zwar erstens die Sicherstellung des Rechtsanspruches auf Tagesstruktur beziehungsweise
vollbetreutes Wohnen nach dem 65. Lebensjahr und den Erwerb von
Versicherungszeiten für Menschen mit Behinderung in
Beschäftigungstherapieeinrichtungen. Immer mehr LeistungsbezieherInnen der
Behindertenhilfe überschreiten das 65. Lebensjahr, Gott sei Dank. Aber
Zeit für einen geruhsamen Lebensabend haben sie nicht, weil sie müssen in
diesem Gesetz raus aus den vollbetreuten Wohneinrichtungen und aus der
Tagesstruktur. Im vorliegenden Gesetz sind Ausnahmen für Personen über 65 nur
bei besonders berücksichtigungswürdigen Umständen möglich. Und ich frage Sie:
Welche sind die besonders berücksichtigungswürdigen Umstände, wenn Menschen mit
Behinderung das 65. Lebensjahr vollenden? Warum müssen Menschen ab 65 ihr
gewohntes Lebensumfeld inklusive ihrer sozialen Kontakte hinter sich lassen?
Leider gibt es hier seitens der Stadtregierung keine adäquate Lösung, keine
Konzepte, wie man behinderten, alten Menschen ein Leben in Würde in gewohnter
Umgebung sichern kann. Menschen mit Behinderung sind immer noch BürgerInnen
zweiter Klasse, speziell wenn es um die Versorgung im Alter geht. Wir können
dieser Entwicklung nicht tatenlos zusehen und bringen daher folgenden
Beschlussantrag ein:
„Die amtsführende Stadträtin für Gesundheit und Soziales möge dafür
Sorge tragen, dass in Abstimmung mit den zuständigen Stellen auf Bundesebene
für behinderte Menschen nach Vollendung des 65. Lebensjahres, die einen
längeren Zeitraum ihres Lebens in Tagesstrukturen und vollbetreuten
Wohneinrichtungen verbracht haben, eine adäquate Form der
Unterbringungsmöglichkeit gewährt wird.
In formeller Hinsicht wird die Zuweisung dieses Antrages an die Frau
amtsführende Stadträtin für Gesundheit und Soziales verlangt." (Beifall
bei der ÖVP.)
Nun zum zweiten Punkt, weil seit vielen Jahre ja bekannt ist, dass
Menschen, die in Beschäftigungstherapien sind, keine Versicherungsmonate für
Pensionsansprüche erwerben und auch nicht krankenversichert sind. Sie bekommen
ein Taschengeld ausbezahlt, das lange nicht an die Inflation angepasst wurde, weil
ihre Tätigkeit nicht als Erwerbsarbeit eingestuft wird. Solange es geht,
springen Angehörige ein und gleichen diese Lücke in der Sozialgesetzgebung aus.
Aber irgendwann können auch die Eltern und Angehörigen nicht mehr eingreifen
und betroffene Menschen mit Behinderung werden dann zum Sozialfall mit
Pflegegeld. Ich weiß schon, Frau Landesrätin, was Sie jetzt wahrscheinlich
darauf antworten werden: „Ich als Land Wien bin nicht zuständig. Das müssen Sie
sich mit dem Bund ausmachen.“
Aber betroffene Menschen haben nichts davon, wenn Ihnen jemand stets aufs Neue
erklärt, dass das Anliegen zwar berechtigt ist, aber man dafür leider nicht
zuständig ist. Für eine nachhaltige Politik, die über einen Wahltermin
hinausgeht, ist eine Stadtregierung einer Millionenstadt zuständig. Reden Sie
mit Ihrem Parteikollegen Hundstorfer, Frau Stadträtin, weil es sind derzeit
4 000 Personen in Wien, die keinerlei Chance auf eine eigene Pension
haben. Diese Gruppe, diese Anzahl von Personen, darf einer verantwortungsvollen
Stadträtin nicht egal sein. Ich bringe daher folgenden Beschlussantrag ein:
„Die zuständigen Mitglieder der Landesregierung werden aufgefordert,
sich bei den zuständigen Stellen des Bundes für die Schaffung der notwendigen
gesetzlichen Rahmenbedingungen einzusetzen, damit Menschen mit Behinderung, die
in Beschäftigungstherapie tätig sind, in diesem Zeitraum ein
sozialversicherungsrechtlich abgesichertes Beschäftigungsverhältnis eingehen
können. In formeller Hinsicht wird die sofortige Abstimmung des Antrages verlangt.“
(Beifall bei der ÖVP.)
Nun, meine Damen und Herren, damit komme ich auch schon zum Ende meiner
Rede. Man könnte noch sehr, sehr viel über den nichtvollzogenen
Paradigmenwechsel in der Politik für Menschen mit Behinderung dieser Stadt
reden. Aber was bleibt denn jetzt von diesem Gesetz letztendlich für Betroffene
auf der Habenseite? Auf der Habenseite kann man sagen, es ist eine moderne,
zeitgemäße Formulierung, die Gott sei Dank auf Diskriminierung verzichtet. Es
wurde auch versprochen, eine Version des Gesetzestextes in leicht lesbarer
Sprache zu verfassen, damit Menschen mit Lernschwierigkeiten im gleichen Umfang
Zugang zu den Informationen haben, und das ist gut so. Was mir aber abgeht, wie
eingangs schon erwähnt wurde, ist der nicht mit vollem Einsatz vollzogene
Paradigmenwechsel, der Menschen mit Behinderung in dieser Stadt ein
selbstbestimmtes Leben garantiert, soweit dies durch ein Gesetz möglich ist.
Gleichberechtigung in den Köpfen zu verankern, ist kein einfacher Prozess, der
sich mit dem Beschluss dieses Gesetzes ein für allemal vollziehen lässt. Es ist
und bleibt ein zähes Ringen um gleiche Rechte für Menschen mit Behinderung, um
eine faire Behandlung aller Beteiligten und ihrer Standpunkte bei der
gemeinsamen Erarbeitung von Zukunftswegen, Konzepten und Normen, und drittens
letztendlich auch ein zähes Ringen um die Verwirklichung der vollen Teilhabe
aller Menschen an der Entwicklung unserer Gesellschaft.
Wie gesagt, es fehlt mir seitens der Landesregierung
die Entschlossenheit, sich endlich auf eine neue
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