Landtag, 11. Sitzung vom 27.01.2012, Wörtliches Protokoll - Seite 43 von 68
in den Debatten, wie ich sie bis jetzt in dieser kurzen Zeit verfolgen konnte, auch angesprochen wird.
Wenn man so wie ich jetzt doch sieben oder fast acht Jahre im Europäischen Parlament ist, hat man diese Dienstleistungsrichtlinie in allen Phasen ihrer Entstehung beobachten können. Ich kann oder muss gestehen, dass ich von Anfang an gegen diese Dienstleistungsrichtlinie war.
Meine Damen und Herren! Der erste Vorschlag des damaligen Kommissars Bolkestein aus dem Jahr 2004 orientierte sich bekanntlich an der Außenhandelstheorie, wonach die Liberalisierung des Dienstleistungsmarktes Effizienzsteigerungen und Wohlfahrtsgewinne mit sich bringen würde. Die Kommission schätzt bekanntlich, dass eine vollständige Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie wirtschaftliche Vorteile zwischen 60 und 140 Milliarden EUR erbringen würde, was einem potenziellen Wachstum von 0,5 bis 1,5 Prozent des EU-BIP entspräche.
Das, meine Damen und Herren, sind Wunschträume, sind Wunschvorstellungen, wenn man weiß, dass die Dienstleistungsrichtlinie ein wichtiger Bestandteil der Lissabon-Strategie sein sollte, und wenn man weiß, was aus dieser Lissabon-Strategie geworden ist. Sie entsinnen sich: Nach dieser Strategie sollte die Europäische Union zum wettbewerbsfähigsten, zum dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt werden. Das klingt so schön, das hat auch mich begeistert. Wenn wir aber sehen, wo wir heute stehen, dann bräuchte man eigentlich nicht weiter darüber zu diskutieren: Wir stehen heute im Auge des Orkans, eines Orkans nämlich, der uns als Europäer zu vernichten droht! Das ist vielleicht ein bisschen sehr dramatisch gesagt, aber - wie wir vielleicht am Ende dann noch diskutieren sollten - nicht wirklich übertrieben.
Bei den Verhandlungen im Europäischen Parlament und im Rat wurden in der Folge bestimmte Dienstleistungen insbesondere auch der Daseinsvorsorge aus dem Anwendungsbereich ausgenommen. An der Stoßrichtung selbst hat sich aber damit nichts geändert. Das Hauptziel, einen echten Binnenmarkt für Dienstleistungen zu schaffen und freien Zugang für ausländische Dienstleistungserbringer am heimischen Markt zu ermöglichen, wurde damit ja erreicht, hauptsächlich angeblich durch Verwaltungsvereinfachungen und Regeln für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Verwaltungsbehörden. Auf der Strecke bleibt dabei - und das ist nahezu zwangsläufig so - der Schutz der einheimischen Anbieter, die nunmehr einem möglicherweise ruinösen Unterbietungswettlauf ausgesetzt sind.
Wenn immer wieder behauptet wird, dass das umstrittene Herkunftslandprinzip, wonach Unternehmen in das Land mit den geringsten Standards von Kontrollen ausweichen können, nunmehr nicht Teil der Richtlinie ist, so ist das auch nur bedingt richtig. Denn nun stützt man sich explizit auf das Prinzip der Dienstleistungsfreiheit und argumentiert so den unbeschränkten Zuzug von EU-Dienstleistern. Die Förderung des Wettbewerbs durch Erleichterung grenzüberschreitender Dienstleistungen mag vielleicht in Luxemburg, im Dreiländereck Aachen/Maastricht und in dieser Gegend, Sinn machen. Dort treffen sich bekanntlich ähnlich starke Wirtschaftsräume mit ähnlichem Lohnniveau, die Firmen in den beteiligten Ländern sind somit einem fairen Wettbewerb ausgesetzt, auch dafür gewappnet und können entsprechend agieren und reagieren.
Bei uns aber in Österreich, insbesondere im Osten und im südöstlichen Teil des Landes, ist es bekanntlich völlig anders. Das Lohnniveau in der Tschechischen Republik, in der Slowakei, in Ungarn, aber auch in Slowenien - das sage ich als Kärntner - ist ja nach wie vor um ein Vielfaches geringer als in Österreich. Die Regelungen für den Schutz der Arbeitnehmer, die sozialversicherungsrechtlichen Normen und auch die steuerrechtlichen Vorschriften unterscheiden sich zum Teil massiv. Für Österreich, insbesondere auch für Wien, ist daher zu befürchten, dass es zu einer Art von Sozialdumping kommt, und das mit einer gewissen Eigendynamik, dass es auch zu einem Lohndumping kommt.
Gerade deshalb sollten wir als Vertreter der österreichischen Bevölkerung, als parlamentarische Vertreter - Sie im Landtag, ich im Europäischen Parlament - eigentlich die heimischen Betriebe und die heimischen Arbeitnehmer schützen. Einige werden nunmehr zu Recht einwerfen - und das ist nicht von der Hand zu weisen -, dass es auf Grund der EU-rechtlichen Bestimmungen schlicht und einfach nicht möglich ist, diesem Schutzauftrag nachzukommen. Für uns als österreichische Volksvertreter ist es im konkreten Fall untersagt, Regelungen zum Schutz der eigenen Bevölkerung zu verabschieden. Stattdessen werden wir unter der Androhung von Strafzahlungen oder einer Anklage vor dem Europäischen Gerichtshof gezwungen, eine Regelung in nationales Recht umzusetzen, die eigentlich schlecht für uns ist!
In diesem Punkt sieht man einmal mehr, wie unausgewogen EU-Regelungen sein können. Es werden Dinge über einen Kamm geschoren, die schlicht und einfach - siehe das Beispiel der Region Aachen/Maastricht und Österreich - nicht vereinbar sind. (Beifall bei der FPÖ.)
Meine Damen und Herren! Es ergibt sich daraus die Forderung, dass man vieles bei den bestehenden EU-Verträgen eigentlich revidieren müsste. Wir müssten im Detail überprüfen, welche Bereiche besser auf nationaler oder eben auch auf regionaler Ebene erledigt werden können und wo es wirklich Sinn macht, EU-weite Regelungen zu treffen.
In Summe müssten wahrscheinlich - und das ist keine Aussage gegen Europa, das ist nur eine Aussage für eine Umkehr in der europäischen Politik - viele Dinge renationalisiert werden. Das ist nicht eine Rückkehr in den Nationalismus des 19. Jahrhunderts (EP-Abg Mag Ulrike Lunacek: Des 20. Jahrhunderts!) oder der beiden Weltkriege, wie auch immer Sie wollen, Frau Lunacek. Das ist keine Rückkehr, das ist nur eine Maßnahme auf Grund von Irrwegen, die wir beschritten haben. Das sollten wir gerade in der Staatsschuldenkrise, in der Eurokrise erkennen: Es ist nur eine Umkehr, die vielleicht das europäische Projekt retten könnte. (Beifall bei der FPÖ und von Abg Dr Wolfgang Aigner.)
Denn eines, meine Damen und Herren, ist ja klar: Die
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