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Landtag, 9. Sitzung vom 30.09.2016, Wörtliches Protokoll  -  Seite 19 von 89

 

befinden sich rund 900.000 Menschen in psychologischer oder psychiatrischer Betreuung. 840.000 Patientinnen und Patienten erhalten Psychopharmaka. Die Dunkelziffer dürfte sogar etwas höher liegen, da rund ein Drittel der Erkrankungen nicht einmal diagnostiziert wird; sodass man von rund 1,2 Millionen Österreicherinnen und Österreichern ausgehen kann, die psychisch erkrankt sind.

 

Die Weltgesundheitsorganisation erwartet für 2030 sogar, dass global gesehen Depressionen vor Herzkrankheiten, Demenz und Alkoholismus auf Platz 1 der häufigsten gesundheitlichen Einschränkungen der Bevölkerung stehen werden. Sie sind die Zivilisationskrankheit des 21. Jahrhunderts. Die Weltgesundheitsorganisation definiert Gesundheit als den Zustand vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens, was weit mehr ist als die Abwesenheit von Krankheit oder Gebrechen.

 

Meine sehr geehrten Damen und Herren, aus dem sozialen Menschenrecht auf den besten erreichbaren Gesundheitszustand ist auch das Menschenrecht auf die beste erreichbare psychische Gesundheit für alle abzuleiten. Es ist daher, so meine ich, auch Zeit, ganz normal darüber zu reden, auch im Vorfeld des Welttages für psychische Gesundheit am 10. Oktober. Es freut mich, dass meine Fraktion dieses Thema hier für die Aktuelle Stunde eingebracht hat.

 

„Eine seelische Erkrankung ist so normal wie eine Grippe, nur nicht in 14 Tagen auskuriert", lautet etwa ein Slogan eines Vereins, den ich im Jahr 2011 gegründet habe. Es ist eine Informationsplattform, die diese öffentliche Diskussion über psychische Gesundheit fördern soll und gleichzeitig auch eine Entstigmatisierungskampagne in Wien führt.

 

Das ist auch dringend notwendig. Denn haben Sie sich etwa schon einmal gefragt, warum psychisch erkrankte Menschen Hilfe nicht in Anspruch nehmen? Haben Sie sich schon einmal gefragt, warum etwa Patientinnen oder Patienten die Straßenseite wechseln, wenn ihnen ihr Psychiater entgegenkommt? Würden sie das auch bei einem Kinderarzt oder etwa einem Dermatologen tun? Und warum lassen sich jene, die es sich leisten können, auf die Rechnung lieber Coaching statt Psychotherapie schreiben? Ich meine, darauf gibt es eine ganz klare Antwort: Weil diese Menschen Angst vor Stigmatisierung im Freundeskreis, im Berufsleben, am Arbeitsplatz, Angst vor Jobverlust haben.

 

Würden sie allerdings diese Hilfe früher in Anspruch nehmen, könnte man ihnen rechtzeitig helfen, verhindern, dass Krankheiten chronisch werden und letztendlich auch viel Leid von Betroffenen beziehungsweise auch vom Umfeld abwenden. Die Angst davor, als verrückt oder sogar als gefährlich abgestempelt zu werden, sozial ausgegrenzt zu werden, kann psychisch erkrankte Menschen besonders stark belasten, und deshalb wird Hilfe oftmals nicht in Anspruch genommen.

 

Diese Erkrankungen - ich habe bereits darauf hingewiesen - haben in den letzten Jahren drastisch zugenommen. Laut einer OECD-Untersuchung leidet jeder fünfte Arbeitnehmer unter einer psychischen Erkrankung. Immer mehr gefährden auch ihre Gesundheit für den Job. Dazu gibt es viele internationale Untersuchungen, aber auch Untersuchungen etwa der Arbeiterkammer, die zeigen, dass 40 Prozent aller Invaliditätspensionen bereits dadurch verursacht werden. Für jeden zweiten Österreicher, so diese Studie, bedeutet die Tätigkeit puren Stress, 37 Prozent arbeiten unter ständigem Druck, 21 Prozent auch in der Freizeit. Daher hat sich in den letzten Jahren die Zahl der Krankenstandstage bereits verdoppelt und auch die Anzahl der Invaliditätspensionen deutlich erhöht.

 

Trotz alledem ist psychische Gesundheit etwa bei der Gesundenuntersuchung noch immer kein Thema, weil es diese Gleichstellung von physischen und psychischen Erkrankungen, die wir dringend benötigen, noch nicht gibt, sodass diese Frage etwa bei der Gesundenuntersuchung ausgeklammert wird. Gleichzeitig ist natürlich auch dafür zu sorgen, dass Betroffene notwendige Therapie erhalten beziehungsweise diese auch verfügbar ist.

 

Hier taucht dann immer die altbekannte Forderung nach Psychotherapie auf Krankenschein auf, über die dringend diskutiert werden muss, wobei ich hier ergänze: mit begleitender Qualitätskontrolle. Diese Diskussion scheitert aber immer wieder an der Frage der Finanzierbarkeit, an der Frage, woher die Mittel aufgebracht werden können.

 

Umgekehrt, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist aber auch die Frage zu stellen, wie hoch der betriebswirtschaftliche und volkswirtschaftliche Schaden in diesem Land auf Grund der Nichtbehandlung von psychischen Erkrankungen ist. Berechnungen für Österreich zeigen, dass psychische Belastungen am Arbeitsplatz etwa mit ähnlich hohen gesamtwirtschaftlichen Kosten verbunden sind wie physische Arbeitsbelastungen, jedoch die durchschnittliche Dauer der Krankenstände auf Grund der psychischen Beschwerden und Erkrankungen erheblich höher ist als im Falle körperlicher Beschwerden und Erkrankungen. Es werden daher diese gesamtwirtschaftlichen Kosten der psychischen Belastung infolge der medizinischen Kosten, ergänzt um die betrieblichen Kosten, etwa auf mehr als 3 Milliarden EUR in Österreich geschätzt.

 

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Wien nimmt diese prognostizierten Herausforderungen an, hat sich hier auch bereits entsprechend vorbereitet. Sie wissen, Wien war europaweit und auch weltweit eine der ersten Hauptstädte in Millionengröße, die eine weitreichende Psychiatriereform beschlossen und auch umgesetzt hat. Daraus resultierte ja etwa auch der Psychosoziale Dienst mit seinen regionalisierten Ambulatorien. Gleichzeitig konnte die Bettenanzahl im stationären Bereich in den letzten Jahren reduziert werden. Außerdem, während es etwa im Jahr 1980 in Wien noch etwa 400 Suizide pro Jahr gab, sind diese etwa auf 200 pro Jahr im Laufe der letzten Jahre gesunken.

 

Die zentralen Ziele der Psychiatriereform konnten in vielen Bereichen auch nachweislich umgesetzt werden. Und jetzt geht es darum, im Sinne einer Gleichstellung die stationären psychiatrischen Angebote etwa aus dem Otto-Wagner-Spital in das Schwerpunktkrankenhaus

 

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