Gemeinderat,
24. Sitzung vom 30.01.2003, Wörtliches Protokoll - Seite 22 von 82
36 Prozent.
Passt! Also das kann es nicht sein. (GR
David Ellensohn: Wem gehört der ORF?) Der ORF gehört meines Wissens
nach ... (GR David Ellensohn: Der
ÖVP!) Na, sicher nicht! (GR Dr Kurt Stürzenbecher: Wer beherrscht den
ORF?) Also wenn Sie hier eine ORF Debatte führen wollen, können wir das
gerne tun. Ich glaube, ich habe hier klar und deutlich dazu Stellung genommen.
Ich möchte aber nicht über Ihre Sorgen wegen der schwarz-blauen Bundesregierung,
sondern über die Bewohner dort sprechen. Wir verteidigen übrigens, wenn wir bei
diesem Thema sind, nicht die verfehlte sozialistische Planungspolitik, die es
dort sehr wohl gegeben hat, wir verteidigen ganz konkret die Menschen, die dort
leben. (Beifall bei der ÖVP.) Wir verteidigen sie gegen die
Pauschalvorwürfe, dass sie nur ein Hort von Alkoholikern, Vorbestraften,
Schlägern und Drogenabhängigen sind. Das haben sich diese Menschen nicht
verdient, die dort wohnen, leben, arbeiten, Steuern zahlen und auch
ORF-Gebühren zahlen. Das muss man an dieser Stelle auch einmal sagen. Wir
verteidigen sie auch gegen den Herrn Kemmler, der offensichtlich, weil er in
der Millionenshow nicht zum Zug gekommen ist, jetzt im Rabenhof eine Sendung
moderierte, bei der es nicht um Versöhnung, sondern um Verhöhnung gegangen ist.
Sehr geehrte Damen und Herren! Wir verteidigen die Menschen dort nicht,
weil sie schwarz, rot, blau oder grün sind, sondern wir verteidigen sie gegen
die Polarisierung. Und einen einzigen Vorteil hat diese Debatte gehabt, nämlich
dass das positive Bewusstsein, das unter vielen Bewohnern der Großfeldsiedlung
herrscht, gestärkt wurde, dass die Nachbarschaftshilfe, die für uns als
Volkspartei ein zentraler Wert ist, ausgebaut wurde. Da kann ich nur aufhören
mit dem Motto: Ein echter Floridsdorfer geht nicht unter, und schon gar nicht,
wenn er aus der Großfeldsiedlung kommt. (Beifall bei der ÖVP.)
Vorsitzende GRin Josefa Tomsik: Als Nächster zu Wort
gemeldet ist Herr GR Reiter. Ich erteile es ihm.
GR Günther Reiter (Sozialdemokratische
Fraktion des Wiener Landtags und Gemeinderats): Frau Vorsitzende! Meine
sehr geehrten Damen und Herren!
Es ist vom echten Floridsdorfer gesprochen worden,
und von mir als einem, der vor etwa 35 Jahren gemeinsam mit meinen Eltern
als Student in die Großfeldsiedlung gezogen ist, können Sie sich vorstellen,
dass ich eine gewisse Beziehung dazu habe, einen gewissen Zugang zu diesem
Thema habe. Ich habe mich daher gerne als Redner zu dieser Aktuellen Stunde zur
Verfügung gestellt.
Ich möchte nur anmerken, dass der Herr
Bezirksvorsteher Lehner nicht sprechen kann, weil die Geschäftsordnung das
nicht zulässt, sonst hätte er es sicher auch gerne gemacht.
Was es nicht sein soll, ist, dass dieses Thema zur
Profilierung von Parteien gebraucht wird. Dazu ist es viel zu ernst, und ich
glaube, das sollte man abstreichen. Ich finde auch diesen Brief der
Freiheitlichen nicht gescheit, der in den nächsten Tagen an die Großfeldsiedler
verteilt wird und in dem genau das gesagt wird, nämlich dass Lehner hier nicht
aktiv war. Ich sage dazu: Er war in den Printmedien aktiv, er hat bei
Diskussionsveranstaltungen mit der Bevölkerung gesprochen, er war im Cafe Toni
bei der Präsentation des Filmes. Ich will das hier nur anmerken, damit das klar
ist: Es soll hier keine Profilierung von Parteien stattfinden.
Wenn ich zum Thema sprechen darf, dann verstehe ich
die Entrüstung, die dieses jüngste Exemplar der "Alltagsgeschichten"
der Frau Spira hervorgerufen hat. Es gab ja Dutzende Briefe und Anrufe von
Bewohnern der Siedlung, aber auch von Sympathisanten aus ganz Wien. Ich bin
auch froh, dass es hier eine sehr korrekte Berichterstattung der Printmedien,
und zwar aller Tageszeitungen, gegeben hat, die diese Entgleisung – so
bezeichne ich es – auch nicht verstehen konnten.
Ich weiß schon, meine Damen und Herren, der Grat
zwischen der Belustigung und der Beleidigung ist manchmal sehr schmal. Doch
wenn Frau Spira meint, die Großfeldsiedler hätten keinen Humor, dann sage ich:
Bei dieser Sendung musste einem ja das Lachen im Hals stecken bleiben. Aber der
Gipfel ist das Interview, das Frau Spira jetzt im TV-Media von gestern oder von
heute gegeben hat, worin sie die Sorgen der gewählten Mandatare über die
Befindlichkeit von 30 000 Bewohnern – so viele sind es nämlich in der
Großfeldsiedlung – einfach abtut und sagt, das sind Provinzpolitiker, das sind
Apparatschiks, worin sie die Schreiben in den Zeitungen eigentlich alle
negiert, worin sie eigentlich nur hofft, dass es hohe Einschaltquoten auch bei
ihrer nächsten Geschichte geben wird, die die Meldemannstraße betrifft.
Ich meine, dass alle schon sehr betroffen sind, aber
jetzt noch – und das möchte ich herzeigen (der
Redner hält eine Zeitschrift mit einem ganzseitigen mit "Toni Spira"
übertitelten Bild in die Höhe, auf dem Frau Spira die Zunge zeigt) – all
den Betroffenen hier dieses Bild zur Verfügung zu stellen, das ist, glaube ich,
der Gipfel der Geschmacklosigkeit. Sie zeigt all denen, die wirklich besorgt
sind, ihre sichtbar sehr, sehr belegte Zunge. Also ich glaube, so kann man
nicht agieren, und ich meine, von dieser Stelle aus sagen zu müssen: So nicht,
Frau Spira!
Ich glaube auch, dass diese ihre affirmative Taktik
nicht aufgegangen ist. Sie meint, etwas funktioniert, was pauschal klingt, was
stereotyp ist, was Klischees unterstreicht, salopp gesagt unter Floridsdorfern:
Gutbürgerliche sollen sich über die Prolos da in der Großfeldsiedlung abhauen.
Ich meine, das ging daneben, Frau Spira. Diese Interviews
mit wirklich bedauernswerten Menschen, die vor der Kamera eigentlich wehrlos
sind, die am Rande der Gesellschaft sind, die einen sozialen Abstieg haben, die
kann man so nicht machen, nämlich nur mit dem Schielen auf die Einschaltquoten.
Der "Standard" hat das treffend formuliert, er hat von
"Sozialpornographie" gesprochen. Ich meine, 30 000 Menschen
– das ist vergleichbar mit der Einwohnerzahl einer Kleinstadt wie Baden – so zu
verunglimpfen, das ist abzulehnen. Das hat mit Fairness und mit einer aktiven
Berichterstattung
Stadt Wien | Geschäftsstelle Landtag, Gemeinderat, Landesregierung und Stadtsenat (Magistratsdirektion)
Kontaktformular