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Gemeinderat, 39. Sitzung vom 30.01.2004, Wörtliches Protokoll  -  Seite 8 von 64

 

NS-Zeit gestorben ist oder nachher?

 

Lassen Sie mich das, damit es klar und deutlich wird, an einem konkreten Fall – Sie haben ihn selbst angezogen – festmachen. Sie haben Wagner-Jauregg genannt, ein Rassenhygieniker und Eugeniker. Er hat aber nichts anderes gesagt als ein gewisser Julius Tandler, gar nichts anderes in Wort und Schrift, in Vortrag und im Propagieren. Der eine soll ein Ehrengrab haben, und der andere soll keines haben? Also nach welchen Kriterien werden Sie uns hier vorschlagen zu entscheiden?

 

Vorsitzender GR Rudolf Hundstorfer: Bitte, Herr Stadtrat.

 

Amtsf StR Dr Andreas Mailath-Pokorny: Sehr geehrter Herr Gemeinderat!

 

Ich glaube nicht, dass die seriöse Untersuchung von und die Beschäftigung mit Biografien, die Menschen, die Persönlichkeiten betreffen, die Ehrungen während der NS-Zeit erhalten haben, Bilderstürmerei oder Ähnliches ist, sondern ich glaube, dass wir hier eine sehr verantwortungsvolle Vorgangsweise gewählt haben. Man muss natürlich auch eine Bewusstseinsentwicklung, die in Österreich in den letzten Jahren stattgefunden hat, namentlich seit 1986, mit einbeziehen. Die Gesellschaft in Österreich, die gesellschaftspolitische Debatte hat sich weiterentwickelt, und ich glaube, dass wir heute zu so manchem, zu so mancher Vorgangsweise, überhaupt auch zu den Fragen schuldhafter Handlungen, persönlicher Verstrickungen oder auch persönlicher Verantwortung während der nationalsozialistischen Zeit, aber auch davor – ich sage erfreulicherweise – andere Zugangsweisen haben. Stichwort Verdrängung, Stichwort Vergessen. Da hat sich in den letzten 20 Jahren in diesem Land einiges getan, und ich glaube, dass da auch durchaus Fortschritte zu konstatieren sind, bis hin auch zur Frage, wie man mit Objekten, mit Gütern, mit Kunstgütern umgeht. Wir haben ja mittlerweile nahezu alle oder jedenfalls viele Kunstgüter zurückgegeben und einiges wieder gekauft.

 

All das sollte man in seiner Gesamtheit mit einbeziehen, wenn wir diese Frage betrachten. Ich gebe durchaus zu, dass es niemals abschließende und abschließend gültige Werte geben wird. Werte haben es so in sich, dass sie sich weiterentwickeln. Aber auch für die Beurteilung, wer letztendlich schuldhaft gehandelt hat, wer letztendlich persönliche Schuld, aber auch moralische Schuld auf sich geladen hat und damit aus heutiger Sicht nicht würdig ist für eine Ehrung, werden sich wahrscheinlich niemals endgültig abschließende Kriterien entwickeln lassen.

 

Daher ist es mir so wichtig, hier auf eine Kommission von Persönlichkeiten bauen zu können, die sich ausgewiesenermaßen sehr eingehend mit der Materie beschäftigen und die dann auch Empfehlungen abgeben können. Sie haben aus meiner ersten Antwort hören können, dass da natürlich noch eine ausreichende Recherchenarbeit notwendig ist, dass vieles, was auch den konkreten Fall Wagner-Jauregg anbelangt, noch zu erforschen ist. Aber die Debatte haben wir nicht nur hier in Wien, sondern die gibt es auch in Oberösterreich oder überall, wo etwas nach Wagner-Jauregg benannt wurde.

 

Ich kann Ihnen nur sagen, dass ich natürlich mit Interesse auf die Ergebnisse und Empfehlungen der Kommission warten werde und dass das dann auch ausreichend und eingehend diskutiert wird. Ich glaube, man tut der Debatte nicht Gutes, wenn man versucht, sozusagen gegenseitig aufzurechnen. Sie können sicher sein, dass die Kommission all das sehr genau prüfen wird, und ich meine, dass wir daraus dann Richtlinien entwickeln können, die auch zu gebrauchen sind und die für all diese Ehrungen gelten.

 

Noch einmal aber: Es gibt ein Formalkriterium, und das ergibt sich daraus, dass momentan alle Ehrungen – nicht nur momentan, sondern schon seit geraumer Zeit, genauer seit dem Rechtsüberleitungsgesetz – aus der nationalsozialistischen Zeit nichtig sind.

 

Vorsitzender GR Rudolf Hundstorfer: Herr Mag STEFAN, bitte.

 

GR Mag Harald STEFAN (Klub der Wiener Freiheitlichen): Sehr geehrter Herr Stadtrat!

 

Ich muss sagen, die Beantwortung der Frage des Kollegen Prochaska hat gezeigt, auf welch dünnem Eis Sie und die Rathausverwaltung sich hier bewegen. Denn allein die Frage der Unterscheidung Wagner-Jauregg und Tandler zielt ja nur darauf ab: Wer ist vor 1938 verstorben und wer ist danach verstorben. Ist er vor 1938 verstorben, kann der gesagt und gemacht haben, was er will. Wenn er ein Ehrengrab bekommen hat, dann hat er es, und es wird nicht einmal mehr geprüft, ob es aufzuheben ist oder nicht. Das ist auch nicht Bestandteil dieser Kommission oder sonstiger Überlegungen. Egal wie ungut, menschenverachtend oder sonst was seine Aussagen waren. Das haben Sie damit auch klar belegt, denn sonst müsste man ja rückwirkend alle Ehrengräber auf dem Zentralfriedhof überprüfen lassen, nicht nur die von 1938 bis 1945. Denn ich gehe davon aus, dass auch der eine oder andere, der ein Ehrengrab bekommen hat, mit unseren demokratischen und unseren sonstigen Idealen keineswegs übereinstimmt. – Also da einmal das dünne Eis, das sich darauf beruft, dass man nur jene prüft, deren Todestag in bestimmte Jahre fällt.

 

Die zweite Sache sind die individuellen Rechtsakte. Es ist ja ganz interessant: Am 22. September letzten Jahres hat es ein Rechtsgutachten des Verfassungsdienstes gegeben, das besagt, dass sämtliche Ehrungen obsolet sind. Daraufhin hat der Gemeinderat gegen die Stimmen der FPÖ einen entsprechenden Beschluss gefasst, der das zur Kenntnis genommen und auch noch bekräftigt hat. – Gut.

 

Dann sagen Sie selbst: Am 7. November letzten Jahres hat es neuerlich ein Gutachten geben müssen, das das Gleiche ausgesagt hat. Für mich ist es schon einmal erstaunlich, dass es notwendig ist, ein Gutachten noch einmal mit einem Gutachten zu bekräftigen. Ich gehe daher davon aus, dass Sie meine Wortmeldung bei der Gemeinderatssitzung im September zum Anlass genommen haben. Denn ich habe klar darauf hingewiesen, dass es nicht sein kann, dass sämtliche individuelle Rechtsakte aus der Zeit von 1938 bis 1945 automatisch

 

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