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Gemeinderat, 49. Sitzung vom 22.11.2004, Wörtliches Protokoll  -  Seite 6 von 123

 

die Hälfte von dem tun, was wir an Mehranstrengungen einsetzen, um die Beschäftigungssituation in Wien zu verbessern, dann würde die Arbeitsmarktsituation in Österreich ganz anders ausschauen. Dann könnten nicht nur selbstzufriedene Regierungsmitglieder Erntedankstimmungen aufkommen lassen, sondern dann könnten auch alle Arbeitssuchenden in Österreich so etwas wie ein Gefühl der Ernte haben. Aber das, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist leider nur Zukunftsmusik und nicht Realität. (Beifall bei der SPÖ.)

 

Bei dieser Gelegenheit, meine sehr geehrten Damen und Herren, möchte ich auch mit einer von der Opposition liebevoll gepflegten Dolchstoßlegende – insbesondere jetzt aus Anlass "10°Jahre Michael Häupl" wieder sehr in den Vordergrund gehoben – aufräumen, nämlich der des Beschäftigungsverlustes in Wien. Richtig ist, dass sich in Wien die Struktur der Beschäftigung weitreichend verändert hat. Es gibt erstens den Rückgang der vollen unselbstständigen Beschäftigungsverhältnisse, es gibt zweitens allerdings eine starke Zunahme der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse – allein im Zeitraum 2000 bis 2003 sind das 10 Prozent –, und es gibt drittens eine deutliche Zunahme der selbstständigen Beschäftigung, neue Selbstständige, freie Berufe. Zwischen 2000 und 2003 sind es um 11 Prozent mehr.

 

Insgesamt ist die Zahl der Beschäftigungsverhältnisse in Wien zwischen 1994 und 2003 nicht gesunken, sondern im Gegenteil von 788 044 auf 898 946 gestiegen. Gestiegen! Dieses Minus bei der vollen Beschäftigung unselbstständiger Art wird fast zu 60 Prozent ausgeglichen allein durch die Zunahme an selbstständiger Beschäftigung. Also man muss sehen, dass das, was auch Fritz Strobl immer hervorhebt, dass sich in der Wiener Wirtschaft eine Strukturveränderung ergeben hat, nämlich dass es sehr viele Menschen gibt, die eigenständig, selbstständig arbeiten – etwas, was übrigens, wie ich mich erinnern kann, auch von der ÖVP immer propagiert worden ist –, die Struktur und die Situation der Wiener Wirtschaft, aber auch der Beschäftigungssituation grundlegend verändert hat. Man muss daher korrekterweise nicht nur, wie es von der Opposition geschieht, einfach nur die unselbstständigen Beschäftigungsverhältnisse zählen, sondern man muss auch die selbstständigen Beschäftigungsverhältnisse zählen, und dann schaut die Bilanz plötzlich ganz anders aus.

 

Es spiegelt sich in diesen Zahlen auch eine Strukturveränderung wider, die sich auch in der Wirtschaft, aber auch in einem Europatrend findet. Es ist ja nicht so, dass nur in Wien oder in Österreich die Frage der geringfügigen Beschäftigungen eine Bedeutung hat, sondern man kann diesen Europatrend unter drei Begriffen zusammenfassen, nämlich mehr Flexibilität, wie sie immer wieder von der Wirtschaft gefordert wird, Jobrotation, wie sie immer wieder von der Wirtschaft gefordert wird, und Mehrfachjobs. Man muss bei diesen Zahlen, die sehr positiv klingen, auch darauf hinweisen, dass die Entwicklung bedeutet, dass es in Österreich auch heute schon immer mehr Menschen gibt, die mit ihrer Beschäftigung oder mit einer einzigen Beschäftigung alleine ihren Unterhalt nicht decken können und daher genötigt sind, mehrere Beschäftigungen einzugehen.

 

Wie dramatisch diese Entwicklung in Österreich ist, sieht man daran, dass vom Jänner 1998 bis Oktober 2000 die Zahl von 163 241 auf 224 053 gestiegen ist. Das sind um ein Drittel mehr Menschen, die sich in dieser Situation befinden, und wir brauchen nicht lange darüber nachzudenken, woraus sich die Entwicklung der Sozialausgaben in allen Bundesländern, insbesondere aber auch in Wien, ergibt. Es ist die Tatsache der Poor Working People, der Menschen, die arbeiten, aber trotzdem mit dem Ergebnis ihrer Arbeit ihren Unterhalt nicht befriedigen können. Wir in Wien reagieren darauf mit Maßnahmen des Wiener Arbeitnehmerförderungsfonds und wir reagieren durch Anhebung der Sozialausgaben. Ich wäre froh, wenn es in dieser Frage auch Reaktionen auf der Bundesebene gäbe, denn wir können allein wahrscheinlich dieses grundlegende dramatische Problem in Österreich nicht lösen.

 

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir werden für die soziale Sicherheit im Voranschlag 2005 deutlich mehr Mittel zur Verfügung stellen, ja, wir machen die soziale Sicherheit zu einem zentralen Thema unseres Budgets. Für 2005 stehen für soziale Dienstleistungen der Stadt im Voranschlag formell – Vergleich Voranschlag zu Voranschlag – 93 Millionen EUR mehr zu Verfügung. Das ist eine Steigerung um 13,7 Prozent, und das ist doppelt so hoch – an die Adresse der GRÜNEN gesprochen – wie die 7-prozentige Steigerung der Sozialausgaben im oberösterreichischen Landesbudget, für das sich Rudi Anschober so sehr begeistert hat. Ich sage nur: Es doppelt so hoch wie das, was die GRÜNEN angeblich im oberösterreichischen Budget erzielt haben.

 

Natürlich haben wir schon im laufenden Jahr dazugelegt, sozusagen nicht erst gewartet bis zum neuen Voranschlag. Selbst wenn man diese 50 Millionen EUR, die wir im laufenden Jahr dazugefügt haben, herausrechnet und sagt, das ist jetzt die reale Steigerung, dann ist die reale Steigerung von 2004 auf 2005 noch immer 43 Millionen EUR. Das ist eine gewaltige Summe.

 

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wien wird seine humanitäre und soziale Verantwortung gegenüber Asylwerbern, Flüchtlingen und Fremden in Not voll wahrnehmen. Wien wird auch 2005 seine Verpflichtungen aus dem Vertrag mit der Republik Österreich und den anderen Bundesländern nach Punkt und Beistrich erfüllen. Dafür ist im Budget vorgesorgt. (Beifall bei der SPÖ.)

 

Umso geringer ist aber unser Verständnis für Aussagen eines Landeshauptmannes, der einfach den Vertragsbruch ankündigt und damit spekuliert, dass andere seine Aufgaben, die er nicht erfüllen will, ihm abnehmen und übernehmen. Das ist gegenüber den Betroffenen mehr als kaltschnäuzig, und es ist staatspolitisch – das sage ich auch dazu – ein Schlag ins Gesicht des Föderalismus, der mit einem lokalen Egomanentum sicher nicht zu vereinbaren ist. (Beifall bei der SPÖ.)

 

Wir halten auch die Vorschläge, die der Innenminister in diesem Zusammenhang unterbreitet hat, für nicht akzeptabel. Sie sind unausgereift, und eine ständige

 

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