Gemeinderat,
57. Sitzung vom 27.06.2005, Wörtliches Protokoll - Seite 8 von 136
dass man
sagen könnte, dass man es Menschen in dieser Stadt - Familien, auch Kindern –
ermöglicht, ein Leben in Würde ohne Existenzängste zu verbringen, tatsächlich
mobil zu sein, am kulturellen Leben dieser Stadt teilzuhaben, in dieser Stadt
dazu zu gehören, wirklich ein Leben zu haben, das sie auch genießen können.
Wissen Sie, man lebt nur einmal und all diese
Menschen leben nur einmal, genauso wie wir nur dieses eine Leben haben. Ich
finde es verantwortungslos, dass wir diesen Schritt nicht setzen, sondern dass
wir sie verurteilen, wie gesagt, in bitterster Armut zu leben. Man hätte hier
schon etwas machen können. Das hat man nicht getan, stattdessen hat man eher
den Weg gesucht, Einsparungen vorzunehmen, zum Beispiel im Behindertenbereich.
Ich rufe in Erinnerung, dass es sogar so weit ging, dass im Dezember 2004
hier vor dem Rathaus bei Schneegestöber eine Demonstration der Behindertenbetreuungsorganisationen
stattgefunden hat. Einsparungen im Sozialbereich: Zitzerlweise überall dort
einsparen, wo es nur möglich ist, wo es keine allzu große Gruppe betrifft, wo
es vielleicht nicht herauskommt, aber keinesfalls den mutigen Schritt setzen
und eine Grundsicherung – in Deutschland heißt es Bürgergeld – in dieser Stadt
schaffen und hier sozusagen mit einem guten Beispiel vorangehen.
Ich gehe weiter. Ich habe auch von den vielen, vielen
Selbstständigen gesprochen, die es in dieser Stadt gibt. Der Trend ist
eindeutig. Und auch von den vielen Insolvenzen, die es in diesem Bereich gibt.
Wenn das Experiment Selbstständigkeit daneben geht und das wissen wir alle,
dann bedeutet es das Aus. Es gibt nichts, es gibt überhaupt kein Auffangnetz.
Man ist dann auf die Sozialhilfe angewiesen und auf die berühmten 630 EUR,
von denen ich soeben erläutert habe, dass man sich davon de facto nichts
leisten kann. Sie sind sozusagen zu wenig zum Leben und zu viel zum Sterben,
wie es so schön heißt. Auch hier hätte es die Möglichkeit gegeben, mit einem
guten Beispiel voranzugehen und sich als Land mit einer Vorreiterrolle an der
Entwicklung einer Arbeitslosenversicherung für Selbstständige zu beteiligen.
Etwas, was schon seit längerem diskutiert wird, was ja auch der Herr Wirtschaftskammerpräsident
Leitl kurz vor den Wahlen immer wieder aussagt, etwas, was man aber ungefähr
eine Woche nach der Wirtschaftskammerwahl schon wieder einpackt und von dem man
eigentlich bis zur nächsten Wirtschaftskammerwahl überhaupt nicht mehr spricht.
Die Stadt Wien hätte hier die Möglichkeit gehabt,
sich finanziell an einem solchen Projekt zu beteiligen und als erstes
Bundesland in Österreich eine Arbeitslosenversicherung für Selbstständige in Zusammenarbeit
mit der Kammer zu schaffen. Das hat man nicht getan. Das hat man nicht einmal
versucht. Ich behaupte, man hat nicht einmal daran gedacht. Und auch hier ist
letztendlich eine große soziale Aufgabe unerledigt geblieben.
Ich gehe weiter zum Gesundheitsbereich, insbesondere
zum Bereich Pflege. Jahrelang haben Sie weggeschaut, wenn es um die Missstände
in den Pflegeheimen der Stadt Wien ging. Jahrelang weggeschaut, denn wissen Sie
(GR Godwin Schuster: Wer hat denn die Prüfung veranlasst? Wer hat denn die
Prüfung veranlasst?), es braucht nicht die GRin Sigrid Pilz und die “Kronen
Zeitung“, damit man endlich darüber diskutiert, was in dieser Stadt ist. Ich
erinnere daran, dass mein lieber Kollege Schani Margulies von hier aus darüber
geredet hat, dass die verstorbene Alessandra Kunz von hier aus mehrfach
gesprochen hat. (GR Godwin Schuster: Wer hat die Prüfung veranlasst?)
Immer wieder sind Sie darauf hingewiesen worden. Nichts ist geschehen, nichts
ist geschehen! Bis irgendwann einmal der Kessel explodiert ist und ein Batzen
Skandal da war.
Als man dann monatelang darüber diskutiert hat, hat
man es auch geschafft, gewisse kleine Änderungen herbeizuführen. (GR Godwin
Schuster: Die Prüfung ist von der Stadt selbst veranlasst worden!) Aber
bitte mit Betonung auf kleine, klitzekleine, denn die Großheime, die Kasernen,
bleiben bestehen. Es wird dort nur ein bisschen humaner. Aber dass man jetzt
sagen könnte, die Stadt Wien geht von diesem Weg ab und ist wirklich so weit,
neue Modelle auszuprobieren, dezentrale Pflege et cetera. Davon sind wir nach
wie vor weit entfernt. Es wird auch in den nächsten fünf Jahren nach den Wahlen
für Sie übrig bleiben, vielleicht dieses Versprechen einzulösen, denn bis jetzt
haben wir hauptsächlich Lippenbekenntnisse Ihrerseits gehört, aber keine Taten
erlebt.
Oh ja, eine Tat sehr wohl, nämlich die Ausgliederung
des gesamten Pflegebereichs, damit ich genau bin, und des Sozialbereichs in den
Fonds Soziales Wien. Auch darüber haben wir in den letzten Jahren diskutiert.
Ein Irrweg sondergleichen, denn was schafft man dadurch, dass man die
Sozialagenden ausgliedert? Was schafft man? Man schafft ja nichts anderes, als
dass man mehr Intransparenz hat, sowohl für die Betroffenen als auch für die
Oppositionsparteien. Man beschneidet die Kontrollrechte der
Oppositionsparteien. (GR Godwin Schuster: Wo?) Im Fonds Soziales Wien,
Kollege Schuster. Ich weiß nicht, ob Sie mit Ihren Kontrollrechten als
Gemeinderat zufrieden sind, kann sein. Wir sind es nicht, denn sie sind viel,
viel weniger geworden! Und was wir auch schon in der Vergangenheit bekrittelt
haben, ist, dass es natürlich auch für die Politik, vor allem die regierende Politik,
ganz schön bequem ist, gerade in Bereichen, wo man teilweise Einsparungen vor
hat, schön auszulagern, um dann auch noch sagen zu können: Es tut mir Leid, da
treff’ ich die Entscheidungen nicht selbst und nicht direkt. Da hab ich ja
selbst nicht direkte Zugriffsrechte.
Das sind ja auch immer all diese
Fondskonstruktionen und diese Auslagerungen; und vor allem dann, wenn sie im
sozialen Bereich passieren, sind sie hoch bedenklich, zumindest einmal aus
Sicht der GRÜNEN und vieler, vieler anderer Menschen in dieser Stadt. Die
Kritik über diese Entscheidungen kann ich Ihnen von dieser Stelle aus nicht
sparen. Nicht zuletzt auch deshalb, weil Sie es dadurch geschafft haben, aus
Menschen, die vorher klar definierte Rechte hatten, einen Antrag gestellt haben
und dann auch noch einen Bescheid bekommen haben, den sie auch bekämpfen
konnten, wenn er abschlägig war, Bittsteller und Bittstellerinnen zu machen.
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