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Gemeinderat, 28. Sitzung vom 10.12.2007, Wörtliches Protokoll  -  Seite 14 von 23

 

zitiere, wie es ein anonymer Autor des Jahres 1785 formuliert hat –, „wo wir billigere und aufgeklärtere Gesetze, mildere Steuern, menschlichere Pfleger, zahmere Beamte, mäßigere Zölle und Mauten und Wildbret finden möchten“. Dem gegenüber stand das Bild des neuen Amerika als Symbol für die tiefgreifenden sozialen Umbrüche, die sich schicksalhaft mit dem großen Erdbeben von Lissabon am Allerheiligentag des Jahres 1755 ankündigten.

 

Ich bleibe gleich bei Lissabon: Dort wurde nach lange dauernden Verhandlungen der EU-Reformvertrag entwickelt, und mir hat die Aussage des portugiesischen EU-Ministers bei der REGLEG-Konferenz in Barcelona sehr gefallen, der gemeint hat: „Die Welt hat nicht auf uns gewartet, während wir fünf Jahre lang um diesen Vertrag gestritten haben."

 

In Lissabon wurde also der EU-Reformvertrag entwickelt, der in wenigen Tagen in Brüssel unterfertigt und im Laufe des Jahres 2008 von allen 27 Mitgliedsstaaten ratifiziert werden soll. Dieser Vertrag ist nicht mehr und nicht weniger als eine Weiterentwicklung bestehender Verträge. Er stellt keine so genannte Gesamtänderung unserer Bundesverfassung dar, denn keines der Grundprinzipien der österreichischen Verfassung, so da sind: Bundesstaatlichkeit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung, Grundrechtsschutz et cetera, wird davon berührt. (GR Mag Wolfgang Jung: Haben Sie den Vertrag schon einmal in der Hand gehabt?) Sie sollten sich Ihr Corpus iuris zurückgeben lassen! Sie wissen es einfach nicht!

 

Keines der Grundprinzipien der österreichischen Verfassung wird durch die geänderten institutionellen Bestimmungen auf europäischer Ebene rechtlich berührt, geschweige denn nachteilig beeinflusst. Es wird kein Bundesland abgeschafft, und es werden die demokratischen Rechte nicht eingeschränkt. Im Gegenteil: Der Nationalrat und der Bundesrat erhalten im europäischen Entscheidungsprozess sogar zusätzliche Mitwirkungsrechte im Rahmen des so genannten Frühwarnmechanismus. Dazu kommen ein neues Vetorecht, neue Kontrollrechte und die „Gelbe Karte“, um die Einhaltung der Subsidiarität zu überwachen.

 

Der EU-Reformvertrag beinhaltet ausschließlich eine Anpassung institutioneller Entscheidungsstrukturen an die nunmehr auf 27 Mitglieder angewachsene EU. Es gibt keine einzige zusätzliche Kompetenzverschiebung von den Mitgliedsstaaten zur EU. Die seit dem Nizza-Vertrag geltende Kompetenzverteilung bleibt gleich, sie wird nur in vielen Bereichen klarer formuliert.

 

Kommen wir zu Wien und unserer Region: Die Auswirkungen auf die Regionen sind ebenfalls vor allem institutioneller Natur. Der AdR, das offizielle Vertretungsorgan der Regionen in der EU, in dem ich auch Stellvertreterin des Herrn Bürgermeisters bin, wird eindeutig aufgewertet. Die EU wird insgesamt schlagkräftiger. Sie kann angesichts globaler Probleme jetzt wirksamer im Interesse der europäischen Bürger und Bürgerinnen handeln. Erstmals sind nämlich die Regionen und Gemeinden in diesem Vertrag explizit genannt, und ihre Mitwirkung zum Beispiel bei der Regionalpolitik, für das Wirtschaftswachstum oder für die Arbeitsplätze wird anerkannt. Sie bekommen neue Rechte, um über die ordnungsgemäße Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen EU und Mitgliedsstaaten zu wachen.

 

Dieses Subsidiaritätsprinzip ist sogar der Gerichtsbarkeit des Europäischen Gerichtshofs entzogen, und in die gemäß jeweiliger Verfassung vorgesehene nationale Struktur der Behörden darf die EU ohnehin nicht eingreifen.

 

Bei den Vorarbeiten zum Verfassungs- und Reformvertrag haben die Länder unter der Leitung der Landeshauptleutekonferenz eine grundlegende Position für unsere österreichischen Verhandlungen eingenommen. Zentrale Forderungen wurden konsequent verfolgt und erfolgreich durchgesetzt. Darunter befanden sich zum Beispiel die Klarstellung der Kompetenzverteilung und deren klare Fassung, was ermöglicht, dass man das Subsidiaritätsprinzip und das Verhältnismäßigkeitsprinzip besser überprüfen kann.

 

Eine weitere Forderung betraf die Anhebung der Bedeutung der Regionen, insbesondere ein Klagerecht für die Regionen mit Gesetzgebungskompetenzen: REGLEG.

 

Der AdR und seine Mitwirkungsrechte im Entscheidungsprozess der EU werden gestärkt, er wird als Organ und nicht bloß als Institution anerkannt, und er erhält ein eigenes Klagerecht. Die Regionen werden im Vorfeld von Gesetzesakten einbezogen. Inhaltlich haben sich die Länder vor allem für die Selbstbestimmung der Gemeinden, Länder und Staaten betreffend Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, die so genannte Daseinsvorsorge, eingesetzt.

 

Diesen Forderungen wurde zwar nicht zur Gänze – wie immer bei europäischen Kompromissen –, aber weitestgehend Rechnung getragen. Im neuen letzten Satz des Art 14 gibt es eine eindeutige Klarstellung und Limitierung der Eingriffe in nationale Kompetenzen bei Dienstleistungen der Daseinsvorsorge. Die einzelnen Gebietskörperschaften dürfen bei der Organisation, Finanzierung und Durchführung von Dienstleistungen in ihrer Wahl nicht beschnitten werden. Damit wurde eine Grenze zur Liberalisierung der Daseinsvorsorge im EU-Primärrecht geschaffen.

 

Primärrechtlich abgesichert ist nunmehr – wie schon erwähnt wurde – auch die Neutralität. Ebenso halten unsere Quoten: An den Amsterdamer Verträgen von 1999 ändert sich betreffend Asyl und Einwanderung nichts. Europa muss die illegalen Einwanderungen in den Griff bekommen und eine qualitative Migrationspolitik fördern, und das geht nur gemeinsam auf europäischer Ebene. Die EU hat hier, wie auch im Bereich des Katastrophenschutzes, lediglich unterstützende Kompetenz. Eine Ausnahme ist die Vorsorge im Bereich des Umweltrechts mit der Organisation von Hilfseinsätzen, wie bei den Bränden in Griechenland, und die Bereitstellung von Förderprogrammen für grenzüberschreitende Vorbeugungs- und Koordinationsmaßnahmen. Gäbe es den EU-Reformvertrag schon, könnten wir zum Beispiel

 

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