Gemeinderat,
35. Sitzung vom 24.06.2008, Wörtliches Protokoll - Seite 81 von 118
beträchtlich. 89,7 Prozent sind in
Privatordinationen oder anderswo tätig. Und mehr als 1 000 dieser Ärzte
und Ärztinnen haben nicht nur eine, sondern mehrere Nebenbeschäftigungen
gemeldet. – Wir meinen, es geht nicht an – und das hat auch das Kontrollamt klar kritisiert –, dass eine Flexibilisierung daran scheitert, dass
man nachmittags schlicht und einfach keine Lücke in den Privatordinationszeiten
findet, damit eine ausreichende Betreuung sichergestellt werden kann.
Wir beantragen daher, dass die Frau Stadträtin einen
optimalen Personal- und Ressourceneinsatz im Sinne eines zukunftsfähigen
Gesundheitswesens erreichen und die entsprechenden Konzepte ausarbeiten und dem
Ausschuss vorlegen soll.
Das waren jetzt meine Anträge zur Gesamtsituation des
Krankenanstaltenverbundes.
Jetzt möchte ich mich im Detail mit den
Fragestellungen, die sich aus der
Untersuchungskommission Psychiatrie ergeben, beschäftigen, und zwar im Hinblick
darauf, dass wir zum jetzigen Zeitpunkt schon einige gesicherte Ergebnisse
haben. Diese Ergebnisse zeigen, dass es Missstände, Zustände und Vorgangsweisen
gibt, die nicht State of the Art sind, und diese können wir jetzt, da sie uns
bereits bekannt sind, schon abstellen. Wir müssen nicht darauf warten, bis der
Bericht der Untersuchungskommission im Februar vorgelegt wird.
Ich fange bei etwas an, das traurige Aktualität hat:
Es gab, wie Sie wissen, aus Graz einen Bericht über einen Patienten, der
gestorben ist, weil er, während er fixiert war, von einem anderen Patienten
gefüttert wurde. Ihm wurden eine ganze Dose Leberpastete und Brot in den Rachen
geschoben. Er konnte sich nicht wehren, weil er fixiert war, und ist
verstorben. Das war das letzte Beispiel.
Es gibt aber leider auch Beispiele aus Wien, die wir
in der Untersuchungskommission behandeln werden. Es hat schwere Brandunfälle
gegeben, bei denen Menschen im Otto-Wagner-Spital ... (Zwischenruf von
GR Kurt Wagner) Zwei, Herr Kollege Wagner! Es sind eine Frau und ein Mann
zu Schaden gekommen. Sie wurden schwer verletzt, weil sie, während sie sediert und
im Netzbett beziehungsweise mit Gurten fixiert waren, lebenslängliche
Brandverletzungen erlitten haben. (GR Kurt Wagner: Haben Sie gehört, was
Prof Kasper gesagt hat?)
Wir brauchen jetzt nicht über Prof Kasper reden!
Reden wir über die Fakten! Und Faktum ist, dass der Krankenanstaltenverbund
zuerst nichts bezahlen wollte. Jetzt wurde der Dame ein Vergleich angeboten,
weil sie so schwer verletzt wurde. Man hat offensichtlich eingesehen, dass man
Schuld trägt und dass man Schadenersatz leisten muss.
Alle Experten und Expertinnen haben einhellig gesagt,
dass diese gefährlichen Situationen durch eine Eins-zu-eins-Überwachung zu
verhindern sind. Das heißt, dass eine Pflegeperson, vielleicht ein
Medizinstudent oder eine Medizinstudentin, neben dem Patienten sitzt, während
er fixiert ist. Sie müssen sich das vorstellen: Ein Mensch ist in der
wehrlosesten Situation, die man sich denken kann. Er steht unter schweren
Medikamenten und ist entweder im Netzbett oder durch Gurte an der Bewegung
gehindert, und jemand anderer tut ihm etwas an. Stellen Sie sich einmal vor,
jemand kommt mit einem Feuerzeug und sagt: Ich nehme dich mit in den Tod!, und
Sie können sich nicht wehren!
Für diese hoch verletzliche Patientengruppe brauchen
wir den höchsten Schutz, und wir beantragen daher das, was alle Experten und
Expertinnen empfohlen haben: Dass einerseits unverzüglich eine lückenlose
Eins-zu-eins-Überwachung aller fixierten PatientInnen in der stationären
Psychiatrie durch entsprechende Personalmaßnahmen vorzusehen ist und dass
andererseits die Entschädigungsansprüche der zu Schaden Gekommenen seitens des
UKAV zu identifizieren und abzugelten sind.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass die
Mehrheitsfraktion dazu ihre Zustimmung nicht gibt! Wenn Sie nicht
zustimmen – und das sage ich jetzt ganz ernst –, dann haben Sie wider
die Erkenntnis dessen, was State-of-the-Art-Medizin ist, zu verantworten, wenn
Menschen zu Schaden oder gar zu Tode kommen.
Mein nächster Antrag bezieht sich auch auf eine
Erkenntnis, die in der Untersuchungskommission Psychiatrie klar bestätigt
wurde, dass nämlich Netzbetten als Beschränkungsmaßnahme in der Psychiatrie ins
Museum gehören. Das ist die Aussage eines Experten und Mediziners aus
Deutschland. Dass diese Netzbetten die Schmuddelecken der Psychiatrie
darstellen, sagt ein anderer Experte. Und dass es keine medizinische Indikation
dafür gibt, die nachvollziehbar wäre, ist eine dritte Aussage. Die Netzbetten
sind ein Beispiel für eine überkommene, vormoderne und entwürdigende
Psychiatrie, für eine Psychiatrie, bei der die Menschen das Gefühl haben, dass
sie in ihrer Wehrlosigkeit zur Schau gestellt werden, dass sie in einem Käfig
gehalten werden und ihrer tiefsten menschlichen Rechte beraubt sind.
Ich habe in dieser Untersuchungskommission sehr viel
gelernt. Es war eindeutig und klar: Es gibt, wenn man beschränken muss –
und das will ich gar nicht in Frage stellen – Alternativen. Diese kosten
etwas, dafür brauchen wir mehr Personal, dafür müsste man speziell im
Otto-Wagner-Spital Umbaumaßnahmen setzen. Ich schlage vor: Tun wir das! Machen
wir den Schritt nach vorne, damit wir in Wien nicht nur auf die EURO stolz sein
können, sondern damit wir uns auch für unseren Alltag in der Psychiatrie nicht
schämen müssen!
Ich stelle daher den Antrag, dass uns hier ein Plan
zur Reform der Verwendung von Beschränkungsmaßnahmen vorgelegt wird, der die
vollständige Abschaffung der Netzbetten innerhalb Jahresfrist mit der
entsprechenden Aufstockung der Personalressourcen zum Ziel hat, was in einem
Jahr dann auch umzusetzen ist.
Eine weitere Erkenntnis aus der
Untersuchungskommission Psychiatrie betrifft den Umstand, dass es unerträglich
und unakzeptabel ist, dass weiterhin dauernd Kinder und Jugendliche in der
Erwachsenenpsychiatrie untergebracht werden, nämlich 180 jährlich. (Zwischenruf
von GR Kurt Wagner.)
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