Gemeinderat,
42. Sitzung vom 19.12.2008, Wörtliches Protokoll - Seite 31 von 115
Philosophie ist doch krank! Das Leben ist kein Wettbewerb!
Das Leben besteht aus Solidarität miteinander, aus einem aufeinander Zugehen.
Das Leben besteht darin, sich gegenseitig zu unterstützen und zu helfen.
Selbstverständlich ist Wettbewerb im eingeschränkten
Rahmen auch etwas durchaus Produktives. Das bestreite ich nicht. Aber er darf
nicht die einzige Prämisse sein, an der sich sämtliches Handeln misst.
Ich sage das jetzt ganz bewusst, um einen Bogen zu
Wien und zur Wirtschaft in Wien zu spannen: Das Leben ist kein Wettbewerb. Das
trifft auf Bildung, auf Gesundheit und auf die öffentliche Infrastruktur zu,
kurz gesagt also auf viele Dienstleistungen von öffentlichem Interesse, bei
deren Bereitstellung darauf Bedacht zu nehmen ist, dass es nicht nur um das
Allerkostengünstigste geht, sondern dass eben Bildung oder
Gesundheitsdienstleistung so sichergestellt werden soll, dass die Menschen
tatsächlich davon profitieren.
Ein weiterer wesentlicher Punkt, der sich durch die
jetzige Krise gezeigt hat, ist, dass öffentliche Beteiligungen an
Finanzinstitutionen, an Schlüsselindustrie und an Schlüsselunternehmungen
durchaus sinnvoll sind, allerdings nur dann – und das sage ich ganz
bewusst –, wenn der Staat tatsächlich volkswirtschaftliche Ziele absteckt,
die er erreichen will, und nicht genau dasselbe tut, was der private
Unternehmer und die private Bank tun. Für den Fall, dass der Staat auch nur die
betriebswirtschaftliche Effizienz in den Vordergrund stellt, ist der Staat kein
besserer Unternehmer. Da gebe ich allen recht, die sagen, dass es sich so
verhält. Und das hat der Staat überall dort, wo er verabsäumt hat,
gesamtgesellschaftliche Ziele zu definieren, leider auch bewiesen.
Dritter Punkt: Bevor man überhaupt über eine
Bewältigung der Wirtschaftskrise und über Armutsbekämpfung reden kann, muss es,
wie ich vorher schon gesagt habe, eine Bekämpfung der Verteilungsschieflage
geben, und zwar in zwei zentralen Punkten.
Der primäre Punkt dabei ist eine Bekämpfung der
Verteilungsschieflage in der Arbeitswelt. Ich sage es Ihnen ganz ehrlich: Mir
ist es lieber, dass alle Menschen ausreichend viel Geld zur Bedeckung ihres
Lebensunterhaltes verdienen, als dass durch Steuer umverteilt werden muss. Das
wäre mir lieber! Versuchen wir daher zunächst einmal, Arbeitsplätze zu
schaffen, die wirklich ausreichend und anständig bezahlt sind, damit man, wenn
man einen Vollzeitarbeitsplatz hat, davon auch wirklich leben und seine
Lebensbedürfnisse befriedigen kann, Mieten bezahlen kann et cetera. Bis wir zu diesem
Punkt kommen, bedarf es auch einer sekundären Umverteilung, und da erhebt sich
halt die Frage der Vermögensumverteilung, die notwendig ist, um eine Krise
tatsächlich erfolgreich bekämpfen und Menschen aus der Armut helfen zu können. (Beifall
bei den GRÜNEN.)
Kollege Madejski! Du schüttelst den Kopf. (Zwischenruf
von GR Dr Herbert Madejski.) Aber irgendjemand bezahlt doch diese
Krise! Auch die GRÜNEN sagen nicht, dass man eine Krise dadurch lösen kann,
dass der Staat sich unendlich hoch verschuldet und niemand die Schulden
zurückzahlt. Aber es gibt zwei Möglichkeiten, eine Staatsverschuldung zu
bekämpfen: Entweder man spart an unterschiedlichsten Leistungen oder man erhöht
die Steuern zielgerichtet und lässt diejenigen zahlen, die genug haben. Ich habe
das heute schon einmal gesagt, und ich denke, dass das ein notwendiger Weg aus
der Krise ist, und zwar ebenso notwendig wie die Schaffung von Arbeitsplätzen.
Ich denke, wir werden um eine Umverteilung von
Arbeitszeit nicht herum kommen. Wir sehen es ja jetzt. Wenn immer gesagt wird,
dass Arbeitszeitverkürzung nicht funktioniert, frage ich: Was ist denn
Kurzarbeit anderes als Arbeitsverkürzung ohne Lohnausgleich? Und genau das will
die Industrie. Das ist das, was ein Veit Sorger will. In einer Zeit, in der die
Menschen eh kein Geld haben, schlägt er vor, dass sie auf ein Viertel ihres
Geldes verzichten sollen. Wir werden die Krise aber nicht überwinden, wenn wir
nur der Wirtschaft Geld geben, sondern wir werden die Krise dann überwinden,
wenn wir die Menschen unterstützen, denn nur Menschen, die genug Kaufkraft
haben, können die Inlandsnachfrage befriedigen und so den Konsum ankurbeln.
Ein weiterer Punkt ist der generelle Umgang mit
Finanztransaktionen: Auch hier hat sich gezeigt, dass der Markt nicht alles regelt
und selbst Kontrolle nicht alles regelt, wie das Beispiel Madoff jetzt aktuell
zeigt. Das muss man sich einmal vorstellen: Dagegen ist Elsner ein armer
Schlucker! Es werden 50 Milliarden Dollar veruntreut, und niemand
kommt im angeblich besten Finanzsystem drauf! Daher sind
Finanztransaktionssteuern und ganz starke Finanzkontrollen notwendig. Man
sollte sich überhaupt einmal überlegen, ob es nicht sinnvoller wäre, die Börse
dafür zu benutzen, was der ursprüngliche Auftrag der Börse war. Der ursprüngliche
Auftrag der Börse war nämlich – und ich hoffe, da geben Sie mir
recht – nicht die Spekulation, sondern der ursprüngliche Auftrag der Börse
war, dass man über die Börse Investitionskapital für die Realwirtschaft
lukrieren kann. Und dabei sollten wir bleiben. Wir sollten die Funktion der
Börse als Casino bestmöglich reduzieren beziehungsweise, wenn es geht, die
Börse gänzlich abschaffen.
Jetzt kommen wir zu Wien. Was leitet sich, beginnend
bei diesen Prämissen, für Wien ab? – Selbstverständlich ein anderer Umgang
mit der eigenen Bereitstellung von Dienstleistungen im Gesundheitsbereich, im
Sozialbereich und bei öffentlichen Verkehrsmitteln. Die Stadt Wien könnte
gerade jetzt in der Krise, obwohl das wahrscheinlich ein Weg wäre, den viele
Menschen zunächst überhaupt nicht verstehen würden, mit einer
Arbeitszeitverkürzung vorangehen. Die Stadt Wien könnte insofern vorangehen,
als sie Planposten im Pflege- und Gesundheitsbereich und in der Jugendfürsorge,
die schon lange zu besetzen wären, endlich nachbesetzt. Das würde die Stadt
Wien tatsächlich etwas mehr Geld kosten. Aber ich habe bereits vor knapp einem
Monat gesagt: Investieren wir lieber 1 Milliarde EUR, bevor wir
40 000 arbeitslose und 100 000 armutsgefährdete Menschen mehr in Wien
einfach nur so zur Kenntnis nehmen.
Wir stehen jetzt an diesem Punkt,
und das IHS, das
Stadt Wien | Geschäftsstelle Landtag, Gemeinderat, Landesregierung und Stadtsenat (Magistratsdirektion)
Kontaktformular