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Gemeinderat, 44. Sitzung vom 23.02.2009, Wörtliches Protokoll  -  Seite 71 von 96

 

haben von 43 Fachärzten 20 Ärzte die Psychiatrie verlassen. Es ist ein Wahnsinn, dass man damals nicht schon gehandelt hat! Aber Sie haben wieder nichts darüber gesagt, kein Wort!

 

Erst durch das Einsetzen der Untersuchungskommission hat es 18 zusätzliche Dienstposten gegeben. Weil man aber so rasch gehandelt hat, konnte man keine Fachärzte lukrieren. Man hat dort dann Turnusärzte eingesetzt, die mit der Situation völlig überfordert waren. Es gab nicht einmal eine Einarbeitungszeit.

 

Dieser Facharztmangel, der heute in der Kinder- und Jugendpsychiatrie und auch in anderen Bereichen sehr stark ist, führt natürlich auch zu Ausbildungsmängeln in anderer Hinsicht. Eine offene Psychiatrie, meine Damen und Herren, bedeutet natürlich auch, dass es mehr Personalressourcen und eine entsprechende bauliche und räumliche Ausstattung geben muss, damit sich die Patienten frei bewegen können.

 

Es gibt auch große Probleme mit sedierten und fixierten Patienten. Ich möchte jetzt auf die Art der Fixierung gar nicht genau eingehen. Hinsichtlich Netzbetten sind heute nicht einmal die Experten in Europa darüber einig, was besser und was schlechter ist. Wenn aber jemand schon fixiert und sediert wird, dann sind eine Eins-zu-eins-Überwachung, ein Monitoring, eine Notrufanlage in allen Zimmern und Pager für das Personal unabdingbar, damit schnell Hilfe herbeigerufen werden kann.

 

Es gibt aber auch grobe Mängel bei der Bausubstanz. Zum Beispiel gibt es keine getrennten Sanitärräume für Männer und Frauen. Diesen Mangel hätte man schon längst beheben können, das weiß man schon seit Jahrzehnten! Es ist jedoch nichts geschehen. Erst in Folge der Untersuchungskommission und der Berichte in den Medien wurde auf den psychiatrischen Stationen Security-Personal eingestellt. Das ist natürlich ein riesiger Fortschritt. Heute fühlen sich die Ärzte und Schwestern viel sicherer als noch vor einem Jahr. Diese Verfehlungen hätten Sie schon längst erkennen können! Aber nein! Sie schauen stur weg und tun nichts. So kann und darf man mit schwerst kranken Menschen nicht umgehen! Das geht einfach nicht!

 

Was bedeutet das? – Wir brauchen für die Zukunft eine Evaluierung des Psychiatrieberichtes aus dem Jahr 2004. Es darf kein Festhalten seitens der Verantwortlichen an der ÖBIG-Studie geben, gemäß welcher der Personalbedarf gedeckt ist. Um den Mangel zu erkennen, brauche ich keine ÖBIG-Studie! In der Psychiatrie brauchen Mensch manchmal eine halbe Stunde, eine Stunde oder vielleicht drei Stunden Betreuung. Viele Ärzte haben uns gesagt, dass es sich da ja nicht um Patienten handelt, die nach einer Blinddarmoperation ins Zimmer geschoben werden und am nächsten Tag nach Hause gehen. Die Patienten in der Psychiatrie brauchen intensive Betreuung. Daher können Sie nicht einfach diese Menschen sozusagen in eine Studie pferchen und sagen, dass eh genug Personal vorhanden ist. Das kann natürlich nicht funktionieren!

 

Meine Damen und Herren! Der Ausbildungsschlüssel in der Kinder- und Jugendpsychiatrie gehört schon längst geändert. Wie Sie selbst wissen, haben wir keine Kinder- und Jugendpsychiater. Es gibt einen Eins-zu-eins-Ausbildungsschlüssel. Was bedeutet das? Dass einem Facharzt ein auszubildender Facharzt zugeordnet wird. Das kann aber nie funktionieren!

 

Wir haben eine Handvoll Kinder- und Jugendpsychiater, und Sie halten an dieser Eins-zu-eins-Ausbildung fest. (Zwischenruf von GR Kurt Wagner) Ihr habt den Antrag, den ich gestellt habe, abgelehnt. (GR Kurt Wagner: Das liegt nicht in unserer Kompetenz, das wissen Sie ganz genau!). Das war auch so formuliert, dass sich der Nationalrat damit befassen sollte! Sie haben den Antrag jedoch abgelehnt. Sie haben diesen Antrag im Gesundheitsbereich abgelehnt, anstatt ihn an den Nationalrat weiterzugeben!

 

Meine Damen und Herren! Diese Probleme, die ich Ihnen jetzt aufgezählt habe – und das waren bei Weitem nicht alle, ich glaube, wir werden heute noch viel mehr hören –, waren bekannt, wurden aber von Ihnen in keiner Weise als wichtig empfunden.

 

Es waren auch die Stadträtinnen geladen. Aber was hat zum Beispiel Frau StRin Brauner gesagt? – Sie hätte sich in ihrer Amtszeit um strukturelle Probleme im Geriatriebereich gekümmert. – Na super! StRin Pittermann konnte sich nicht mehr genau erinnern, ob ihr Mängel gemeldet oder zugetragen wurden. Und Frau StRin Wehsely hat gesagt, dass nichts an sie herangetragen wurde.

 

Meine Damen und Herren! Ich möchte Ihnen abschließend sagen: Heute sind Ihnen alle Mängel bekannt. Nehmen Sie diese Mängel ernst, und tun Sie etwas auch zum Wohle der Patienten in Wien! – Danke. (Beifall bei der FPÖ.)

 

Vorsitzender GR Dr Wolfgang Ulm: Zu Wort gemeldet ist Frau GRin Dr Pilz. – Bitte schön.

 

GRin Dr Sigrid Pilz (Grüner Klub im Rathaus): Sehr geehrter Herr Vorsitzender! Sehr geehrte Frau Stadträtin! Sehr geehrter Herr Vorsitzender der Untersuchungskommission! Sehr geehrte Frau stellvertretende Vorsitzende der Untersuchungskommission! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Herr Kollege Lasar!

 

Es wundert mich, dass Sie sich wundern! Wir haben nämlich in der Untersuchungskommission erlebt, dass das, was Kollege Deutsch hier vorgetragen hat, eins zu eins durchexerziert wurde: Wer nichts sehen will, der sieht nichts! Und wer nichts feststellen will, dessen Bericht schaut so aus. Dünn an Umfang und inhaltsleer an Substanz. Wer nicht hinschauen will, der kann nichts sehen, kann nichts verstehen und hat daher auch nichts zu sagen. So schaut der Bericht der Mehrheitsfraktion aus!

 

Es ist natürlich nur ein zynisches Detail, dass man jetzt auch den Titel der Untersuchungskommission geändert hat und das Wörtchen „behauptete“ eingeschoben hat. Ihnen von der SPÖ war offensichtlich vom ersten Tag an klar, dass Sie rein gar nichts zugeben und die politische Verantwortung von sich weisen werden. Das schaut dann konkret so aus, dass schreckliche Unfälle zu „Vorfällen“ werden. So hat es die politisch verantwortliche

 

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