Gemeinderat,
49. Sitzung vom 24.06.2009, Wörtliches Protokoll - Seite 85 von 89
behandelt werden.
Also grundsätzlich zu diesem Thema der Desertionen,
das ja hauptsächlich, soviel man erfahren kann, das zentrale Thema der
Ausstellung darstellt - und das sage ich auch ganz frei vorweg: als Soldat
berührt mich dieses Thema -: Desertion ist in allen Staaten, die über
Streitkräfte verfügen, strafbar, in manchen steht darauf sogar heute noch im
Krieg die Todesstrafe. Nicht zuletzt lässt auch sogar der Vertrag von Lissabon
diese Möglichkeit offen, weil das von einigen Staaten gefordert wurde.
Desertion kann aber durchaus ethisch vertretbare und
sogar hochstehende Begründungen haben. Das muss aber jedes Mal im Einzelfall
überprüft werden, um auszuschließen, dass Desertion aus Feigheit oder anderen
egoistischen Motiven geschehen ist und dass diese Desertion nicht das Leben
anderer Kameraden gefährdet hat.
Desertion muss, im Gegensatz zur Gesetzestreue,
begründbar sein. Wie es zum Beispiel auch diesen Unterschied gibt: Es gibt
Tötungen durch Mord, und es gibt eine Tötung als Nothilfe, um jemand zu helfen.
Wenn ich Nothilfe leiste, muss ich das begründen und beweisen können. Der
Nachweis bleibt natürlich in allen Fällen problematisch.
Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Ich war 1968 während der
Tschechenkrise ein ganz junger Soldat. Es bestand damals die Gefahr, dass
russische Truppen auch bei uns einmarschieren. Die Russen hatten Vorbereitungen
getroffen, es gab sogar - wie die Historiker jetzt wissen - auf
österreichischem Gebiet, jedoch in einer gesperrten Zone, in einer
Zollfreizone, Ersatzteile, Munition und so weiter für russische Einheiten.
Teile des Heeres wurden damals in Alarmbereitschaft versetzt, und es wurde
scharfe Munition ausgegeben. Wer im Kriegsfall desertiert oder übergelaufen
wäre, wären die Russen einmarschiert, hätte sicher größere Überlebenschancen
gehabt als die Verteidiger Österreichs.
Nach Kriegsende hätte es dann zwei Möglichkeiten
gegeben: Entweder - der unwahrscheinliche Fall - die Russen hätten verloren,
dann wäre man als Deserteur auf einige Wochen oder Monate eingesperrt worden,
hätte aber jedenfalls größere Überlebenschancen als die Kameraden gehabt. Der
andere Fall wäre der gewesen: Wir wären besetzt worden, und diese Deserteure
wären dann womöglich die Helden der Sowjetunion gewesen, weil sie ja - es wäre
dann natürlich verdreht worden - Österreich befreit hätten.
Ein anderer Fall: Wie schwierig eine nachträgliche
Bewertung ist, möchte ich Ihnen auch an einem anderen Beispiel anführen. 1999
gab es österreichische Soldaten in Afghanistan. Dieser Einsatz war sehr
umstritten und völkerrechtlich nicht eindeutig gedeckt. Ich war selbst, auch
aus neutralitätsrechtlichen Gründen, damals als Ausschussvorsitzender im
Verteidigungsausschuss dagegen. Wir haben die Soldaten damals zurückgeholt. Das
war auch - das rechne ich mir an - maßgeblich mein Betreiben.
Wie wäre es zu beurteilen, wenn damals ein
Angehöriger dieses Kontingents nach reichlicher Überlegung und unter dem
Eindruck der Vorfälle vor Ort - und das waren keine schönen Plätze - plötzlich
für sich erkannt hätte, an einem völkerrechtswidrigen Krieg teilzunehmen, und
deshalb desertiert wäre? In Österreich hätten ihn einige mit dem roten Teppich
empfangen, aber die Vertreter der Staatsmacht sicherlich mit der
Militärpolizei.
Ich wollte Ihnen an diesen beiden Beispielen nur
vorführen, wie schwierig es ist, diese Geschichten zu beurteilen.
Zum Abschluss noch eine andere Geschichte, die
vielleicht wirklich etwas dramatischer ist: Es gibt zum Beispiel einen Fall von
Desertion, der in den letzten Kriegstagen in Norwegen geschehen ist. Dort ist
ein Soldat desertiert, hat in der Nacht zwei oder drei seiner Kameraden und
seinen Kommandanten erschossen und ist über die schwedische Grenze gegangen.
Das war keine besondere Heldentat, aber er wurde nachher enorm gefeiert. Ich
sage Ihnen ehrlich, ich halte das nicht für eine Heldentat, und ich halte es
nicht für vertretbar, so etwas zu tun.
Zum Abschluss vielleicht noch den GRÜNEN und auch
Ihnen von der SPÖ zum Nachdenken, weil diese Themen immer wieder aufgerollt
werden: Sie erinnern sich sicher alle an die Wehrmachtsausstellung. Sie musste
damals nach einiger Zeit zurückgenommen werden, weil man festgestellt hat, dass
darin Bilder und Dokumente falsch/irreführend beschriftet und zum Teil sogar
gefälscht waren. Ich weiß nicht - und ich will das der Ausstellung nicht in die
Schuhe schieben, sie wurde ja darauf noch nicht geprüft -, ob hier wieder so
etwas erfolgen wird. Aber es hat sehr viel Unruhe in unser Land gebracht.
Ich lese Ihnen da aus einer Buchbesprechung aus dem
„Standard" vor, aus der Besprechung des Buches „Das Ende der
Geschichte" von Prof Burger. Da steht ausdrücklich drin:
„Die ins Kraut schießende Erinnerungskultur verstellt
jede Aussicht auf Handlungsoptionen. Noch schwerer wiegt aber, dass der
unaufhörliche Appell an das ohnehin bloß selektiv beanspruchbare Gedächtnis mit
dem Begriff einer Moralität bemüht wird, der alle Ansprüche auf die
Vertrauenswürdigkeit einer ‚Vergangenheitserzählung' über den Haufen
wirft."
„Burger, Philosophieprofessor an der Hochschule für
angewandte Kunst", schreibt dann der Besprecher, „ist mit keinem Zoll
Revisionist." - Steht im „Standard".
„Der ‚Holocaust-Erziehung' geht es aber", sagt
er, „gerade nicht um Prävention" - und ich spreche jetzt hier nicht von
Holocaust-, sondern allgemeiner Geschichts-Erziehung -, es geht also „gerade
nicht um Prävention, das heißt, um die Vermeidung künftiger Großverbrechen. Die
dauerhafte Memorierung schafft bei solchen Fällen im Gegenteil geradezu die
Voraussetzung für Wiederholungen, und sei es im Wechsel der
Täter-Opfer-Relation, wodurch aus Gedenkenden unfehlbar Rächende würden."
Ich glaube, es ist schon an der
Zeit, darüber nachzudenken, ob diese vielen derartigen Veranstaltungen wirklich
den Zweck haben, nur unser
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