Gemeinderat, 3. Sitzung vom 15.12.2010, Wörtliches Protokoll - Seite 3 von 56
(Beginn um 9.01 Uhr.)
Vorsitzender GR Godwin Schuster: Geschätzte Kolleginnen und Kollegen!
Wir haben ein bisschen Zeitverzug, es ist schon 9.01 und 20 Sekunden.
Ich eröffne die Sitzung dieses Gemeinderates.
09.01.57Entschuldigt, ich sage jetzt dazu, während des gesamten Tages sind GRin Schubert, GR Stark, GR Mag Werner-Lobo, GRin Dr Vitouch und GRin Mag (FH) Tanja Wehsely. Außerdem gibt es eine sehr lange Liste von teilweise Entschuldigten.
09.01.58Wir kommen zur Fragestunde.
Die 1. Frage (FSP – 04573-010/0001 – KVP/GM) wurde von Herrn GR Dr Wolfgang Aigner gestellt und ist an den Herrn amtsführenden Stadtrat der Geschäftsgruppe Bildung, Jungend, Information und Sport gerichtet. (Werden Sie sich im Rahmen der aktuellen Bildungsdiskussion bei den zuständigen Stellen des Bundes für den Erhalt und die Stärkung der Langform des Gymnasiums einsetzen?)
Bitte, Herr Stadtrat.
†Amtsf StR Christian Oxonitsch - Frage
Amtsf StR Christian Oxonitsch: Einen wunderschönen guten Morgen allseits!
Die 1. Frage der Fragestunde dreht sich darum, ob ich mich für den Erhalt und die Stärkung der Langform des Gymnasiums einsetzen werde. – Diese Fragestellung muss ich – und ich erlaube mir, ein bisschen zu interpretieren – angesichts der aktuellen bildungspolitischen Diskussionen, aber auch der unmittelbaren Erfahrungen mit diesem Schulsystem – als durchaus nicht wirklich ernst zu nehmend bezeichnen!
Ich denke, ein Bildungssystem hat die Aufgabe, dass jedes Kind, unabhängig vom Einkommen seiner Eltern, seiner Herkunft, seiner Sprachkompetenz oder auch der Bildung der Eltern die Chance auf beste Bildung bekommen soll. Daher haben wir in Wien uns entschlossen, ganz bewusst vor diesem Hintergrund und vor dieser Zielsetzung einer fortschrittlichen und zeitgemäßen Bildungspolitik auf die Einführung der Neuen Mittelschule zu setzen und dort die entsprechenden vorhandenen Qualitäten von modernen Unterrichtsformen zu nutzen.
Ich denke gerade auch angesichts der jetzt vorliegenden Ergebnisse, dass das Bildungssystem mit einer Segregation im Alter von zehn Jahren in verschiedene Unterrichtsformen und einen der Bereiche der AHS in der entsprechenden Langform, das wir in Österreich vorfinden, sowie der Erhalt und die Stärkung dieser Unterrichtsform, aber nicht nur dieser Unterrichtsform, sondern der gesamten Gliederung des österreichischen Bildungssystems, keine entsprechend adäquate Antwort auf die Probleme gibt. Ich meine, dass gerade mit diesem Schultyp die Selektion an der Nahtstelle zwischen Volksschule und Sekundarstufe eindeutig verschärft wird.
Das zeigen ja auch internationale Beispiele. Gerade das PISA-Ranking zeigt auf, dass diese frühe Differenzierung im Schulsystem keine adäquate Antwort auf die Herausforderung eines zeitgemäßen Unterrichts ist. Man braucht sich aber nicht nur am Platz 1 zu orientieren. Ich denke, es ist durchaus auch der Mühe wert, sich zum Beispiel einmal anzusehen, welche Länder sich in diesem Bereich stark verbessert haben.
Ich nenne als Beispiel jetzt nur Polen: Polen hat im Jahr 1999 eine sehr umfassende Bildungsreform umgesetzt, die genau darauf abzielt, Kinder einen längeren Zeitraum hindurch gemeinsam zu unterrichten, und zwar einerseits durch eine Verlängerung des so genannten Volksschulbereiches, andererseits aber auch durch die Maßnahme, dass alle Kinder dann gemeinsam ein dreijähriges Gymnasium besuchen. Das wurde im Jahr 1999 eingeführt, und wir sehen an den Ergebnissen der letzten PISA-Studie, dass es durch eine wirkliche Reform des Bildungssystems gelungen ist, sich in nicht einmal 10 Jahren von Platz 23 auf Platz 12 zu verbessern. Das war ein sehr mutiger Schritt, der – das kann man auch durchaus sagen und zugestehen – damals von einer konservativen Regierung eingeführt wurde und der tatsächlich dazu geführt hat, dass sich dieses Land in den entsprechenden internationalen Rankings massiv verbessert hat.
Ich denke, ein Übertritt im Laufe späterer Schuljahre in die AHS-Langform ist in der Praxis sehr schwierig beziehungsweise gar nicht möglich. Das ist das tatsächliche Problem. Ich meine, dass die Langform in der derzeitigen Struktur überhaupt kein entsprechend durchlässiges Angebot an verschiedenen Schulformen ermöglicht, da praktisch nach dem Schuleintritt im zehnten Lebensjahr, egal, für welche Schulform man sich entschieden hat, ein späterer Einstieg oder Wechsel in diese Schulform de facto nicht möglich ist und jedenfalls, wie wir in der Praxis sehen, in kaum messbarer Zahl von Jugendlichen genutzt wird.
In den neuesten diesbezüglichen Untersuchungen wird eindeutig festgestellt, dass die erzielten Schülerleistungen im Rahmen der PISA-Studie eine sehr hohe Abhängigkeit von Faktoren haben, die mit dem eigentlichen Potenzial eines Schülers oder einer Schülerin und seinen beziehungsweise ihren Anstrengungen nur sehr wenig zu tun hat. Der familiäre Hintergrund ist im heutigen selektiven Schulsystem prägend für die zu erwartenden Schülerleistungen.
Es ist auch im nationalen Bildungsplan sehr klar festgehalten, dass der vom Kind besuchte Schultyp in allererster Linie vom familiären Hintergrund abhängt. Wörtlich heißt es dazu in diesem nationalen Bildungsbericht auf Seite 151 – ich erlaube mir, zu zitieren: „Als starke Prädiktoren für die AHS-Übertrittsquote von Volksschulen zeigen sich damit nicht die laut Schulunterrichtsgesetz vorgesehenen Schulleistungsindikatoren, sondern vor allem familiäre Merkmale der SchülerInnenschaft sowie die Lage der Schule.“
Ich glaube, es zeigt sich auch in den diversen OECD-Empfehlungen, aber auch in den Empfehlungen der Zukunftskommission, dass es hier tatsächlich an der Grundstruktur des Bildungssystems klare Defizite gibt.
Somit ist aus meiner Sicht in mehrfacher Hinsicht wissenschaftlich klar und deutlich belegt, dass eine Schulform, für die man sich bereits im zehnten Lebensjahr anmelden muss, jedem modernen Bildungssystem des 21. Jahrhunderts im Hinblick auf Durchlässigkeit
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