Gemeinderat, 3. Sitzung vom 15.12.2010, Wörtliches Protokoll - Seite 4 von 56
aber auch auf entsprechende Chancengerechtigkeit widerspricht.
Gerade diese mangelnde Durchlässigkeit ist mein Hauptkritikpunkt. Es gibt diese Durchlässigkeit nur in eine Richtung, sowohl vom Grundgedankenmodell her als auch in der Praxis. Ein Einstieg für außenstehende Schüler zum Beispiel aus der Hauptschule oder zum Beispiel auch vom Realgymnasium ist, wie bereits angesprochen, formal ab dem dritten Schuljahr nicht mehr möglich, in der Realität aber nicht einmal in der ersten Klasse.
Ich denke, aus diesem Grund ist es hoch an der Zeit, eine sehr grundsätzliche Diskussion darüber zu führen, dass die bestehende Schulformen und letztlich die Möglichkeiten zur Selektion – in welche Richtung auch immer – nicht einzementiert werden, sondern dass tatsächlich jener Schritt gewagt wird, der international sowohl im Bereich von Verbesserungen im PISA-Ranking, aber auch in den entsprechenden Spitzenleistungen ein erfolgversprechendes Modell ist: Es ist dies ein stärkerer gemeinsamer Unterricht im Bereich der 10- bis 14-Jährigen oder vielleicht sogar der 15-Jährigen.
Vorsitzender GR Godwin Schuster: Danke. Die 1. Zusatzfrage wird vom Fragesteller gestellt.
GR Dr Wolfgang Aigner (ÖVP-Klub der Bundeshauptstadt Wien): Guten Morgen, Herr Stadtrat!
Ich darf Sie beruhigen! Wir haben die Frage wirklich ernst genommen. Umso bestürzter sind wir über Ihre Antwort, auch wenn ich gestehe, dass sie nicht ganz überraschend kommt.
Die PISA-Ergebnisse kann man so oder so deuten. Ich denke, Deutschland hat sich auch verbessert, und zwar vor allem in jenen Bundesländern, in denen es ein differenziertes Schulsystem gibt. Die Gesamtschulbundesländer in Deutschland sind nachweislich diejenigen mit den schlechtesten Ergebnissen.
Meine Zusatzfrage lautet daher: Wird sich diese von Ihnen intendierte und von uns hoffentlich verhinderte Schulreform auch auf die Privatschulen erstrecken? Das heißt: Gibt es dann kein Schottengymnasium mehr? Gibt es dann keine Dominikanerinnen und keine Ursulinen mehr? Müssen diese dann sozusagen auch gemäß dem sozialistischen Einheitsmodell bis zum Alter von 14 Jahren eine Neue Mittelschule aus ihren bewährten, traditionsreichen Gymnasien machen?
Vorsitzender GR Godwin Schuster: Bitte, Herr Stadtrat.
Amtsf StR Christian Oxonitsch: Ich meine, man muss sich auch vor Augen führen, dass viele der Schulmodelle, die von konservativen Bildungspolitikern in der Vergangenheit immer wieder abgelehnt wurden – ich erinnere zum Beispiel an gewisse ganztägige Schulformen, aber auch am viele Unterrichtsmodelle –, sich oftmals gerade in Privatschulen in Vorreiterrollen wiedergefunden haben. Das war zu einer Zeit, als von verschiedensten politischen Parteien Ganztagsschulmodelle noch abgelehnt und mit Begriffen wie Zwangstagsschule belegt wurden. Mittlerweile sind die Positionen ja durchaus etwas aufgeweicht, das wird aber immer wieder hervorgekehrt. Letztlich bringt der Zugang zu entsprechenden Privatschulen natürlich auch klare ökonomische Barrieren. Vielfach findet dort aber eine viel geringere Differenzierung statt als in anderen Bereichen. Ich erlebe solche Schulen auch in Wien mit sehr engagierten entsprechenden Beihilfenmodellen, bei denen junge Schülerinnen und Schüler, die noch nicht den – wie ich es jetzt einmal ausdrücken möchte – allgemein postulierten Leistungserfolg erzielt haben, gerade einen Platz finden.
Ich meine also, dass viele der Privatschulen immer wieder auch durchaus fortschrittlichere Ansätze zeigen, als man allgemein annehmen würde. Daher bin ich überzeugt davon, dass auch in diesem Bereich sehr intensiv und angestrengt darüber nachgedacht werden wird. Es ist aber natürlich überhaupt nicht daran gedacht, die Möglichkeit zur Gründung von Privatschulen oder das österreichische Privatschulgesetz aufzuheben. Es wird diese Schulmodelle weiterhin geben, denn erfreulicherweise gibt es in diesem Bereich durchaus auch schon bildungspolitisch fortschrittlichere Ansätze, als man manchmal von konservativen Bildungspolitikern hört.
Vorsitzender GR Godwin Schuster: Die 2. Zusatzfrage wird von GR Mag Kasal gestellt.
GR Günter Kasal (Klub der Wiener Freiheitlichen): Sehr geehrter Herr Stadtrat! Heißt das zusammengefasst, dass Sie sich für die Abschaffung der Langform des Gymnasiums einsetzen?
Amtsf StR Christian Oxonitsch: Wir haben ganz klar gesagt: Wir wollen, dass es in Österreich eine grundlegende Bildungsreform gibt, und wir wollen eine gemeinsame Schule der 10- bis 14-Jährigen im Rahmen der Wiener Mittelschule einsetzen. Sie wissen ganz genau, dass dies eine bildungspolitische Diskussion ist, die auf Bundesebene zu führen ist. Ich glaube aber jedenfalls, dass, insgesamt gesehen, die frühe Selektion von Kindern im Alter von zehn Jahren in verschiedene Schulmodelle – Langform et cetera – keine zeitgemäße Antwort ist, um jenen bildungspolitischen Herausforderungen zu begegnen, denen wir in Zukunft ausgesetzt sein werden.
Vorsitzender GR Godwin Schuster: Die 3. Zusatzfrage wird von GR Dr Aigner gestellt.
GR Dr Wolfgang Aigner (ÖVP-Klub der Bundeshauptstadt Wien): Ich darf gleich fortsetzen. Sollte dieses Modell verwirklicht werden: Wie stellen Sie sich den Übertritt in die Sekundarstufe II vor? Es gibt dann quasi eine Einheitsschule mit entsprechenden Zeugnissen. Muss jemand, der in die Oberstufe einer BHS gehen will, dann ein Aufnahmeverfahren absolvieren? Wie stellt man fest, wer sozusagen in die Oberstufe kommen kann? Oder ist einfach das Zeugnis, das eine Neue Mittelschule ausstellt, letztlich ausschlaggebend?
Vorsitzender GR Godwin Schuster: Bitte, Herr Stadtrat.
Amtsf StR Christian Oxonitsch: Noch einmal: Ich glaube, grundsätzlich ist es die bildungspolitische Herausforderung für uns alle, sich zu überlegen, wie man möglichst vielen Kindern, ungeachtet ihrer sozialen Herkunft und des Einkommens ihrer Eltern, beste Bildungsvoraussetzungen ermöglichen kann. Und das bedeutet für mich jedenfalls, dass eine Differenzierung und Selektion bereits im Alter von zehn Jahren zu früh ansetzt.
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