Gemeinderat, 7. Sitzung vom 29.04.2011, Wörtliches Protokoll - Seite 52 von 69
vor ungefähr 30 Jahren eine Situation persönlich erlebt, dass man mir sagte, meine Lunge sei kaputt. Ich lag im Spital und habe mir ständig die Frage gestellt, eine Woche lang, bis diese Ungewissheit weg war, welchen Sinn mein Leben überhaupt in diesen 30 Jahren zuvor hatte. Und ich sage hier aus diesem tiefen Inneren heraus, der wirklich einzige Sinn, der mir damals eingefallen ist, war, dass ich in der Zeit vorher das Glück hatte, innerhalb einer sozialistischen Jugendorganisation mich mit dem Thema der Immigranten zu beschäftigen und das Glück hatte, insbesondere Menschen aus der türkischen Region helfen zu können, ihnen wirklich helfen zu können.
Wir hatten damals auch verwundete Studenten aus dem Irak und aus dem Iran geholt und sie hier in Wien versorgt. Die einzige Antwort, die ich mir damals auf die Frage gegeben habe, warum hat das Leben überhaupt einen Sinn gehabt, war nicht, dass wir damals auch irgendwelche Verkehrsstraßen, irgendwelche Häuser, irgendwelche bewohnten Gebiete planen, sondern meine Antwort war, du hast einer gewissen Anzahl von Menschen ihre Existenz und damit das Leben gerettet. Das war das, wo ich mir jetzt in der Bankreihe gedacht habe, wenn uns jemand zuhört - und die Möglichkeit ist ja gegeben -, wie fühlt sich da jemand draußen, wenn er im Hohen Gemeinderat so sprechen hört. Und ich sage euch, es tut weh, es tut wirklich weh, dass man mit so einem Thema, das existenzschaffend sein sollte, das eigentlich dazu dienen sollte, Menschen ein Leben in Würde zu ermöglichen, dass diese auch am Lebensende sagen können, das Leben hat Sinn gemacht, dass wir uns da herstellen und reden über einzelne Aussprüche, die auf der Donauinsel passiert sind und über sonstige solche Dinge. Die interessieren den Menschen, der in seiner Existenz bedroht ist, überhaupt nicht, der will in Frieden anständig leben. (Beifall bei SPÖ, GRÜNEN und ÖVP.)
Daher sage ich euch, vielleicht schaffen wir es einmal, vielleicht schaffen wir einmal, die Polemik rauszuholen aus dieser unserer Diskussion, vielleicht schaffen wir es einmal zu sagen, ja, es gibt Probleme in dieser Stadt, die wir gemeinsam lösen wollen. Warum schaffen wir das denn nicht in diesem Hause hier, warum schaffen wir es nicht, dass wir sagen, ja, es gibt einzelne Menschen, aber nicht ganze Gruppen, wir reden über die Türken, als wären die Türken das Problem in dieser Stadt. Es gibt wahrscheinlich 97 Prozent oder noch mehr Menschen aus der Türkei, die hier leben wie wir, aber wir werfen sie alle in einen Topf und reden hier über die Türken, wie wenn die das Letzte dieser Welt wären. Ich sage euch, mit dieser Diskussion kommen wir beim Integrationsthema keinen Millimeter weiter, ganz im Gegenteil.
Und da passiert dasjenige, was wir soeben erlebt haben, nämlich hier wird gespalten in der Gesellschaft. Und das sage ich oftmals vielleicht nicht einmal bewusst, vielleicht aber doch, aber ich hoffe, doch nicht bewusst. Und daher bitte ich inständigst zu bedenken, diese Diskussion mit diesem Niveau bringt uns keinen Millimeter weiter. Ich bitte euch auch darum deshalb, weil hier über eine Rede des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan gesprochen wurde. Ja, was er in Deutschland gesagt, war nicht okay. Nicht okay, wahrlich nicht okay. Aber ich habe im Ohr hier auch die Worte des Vizekanzlers der Türkei Cemil Cicek bei einer irrsinnig großen Veranstaltung in Liesing, wo Bewohner aus Yozgat anwesend waren. Der Vizekanzler kommt aus Yozgat. Ich habe mich vorher mit ihm getroffen und ihm von den Problemen mit einzelnen oder mehreren türkischen Staatsbürgern erzählt. Und ich sage euch, er hat sich vor die versammelten Menschen gestellt, nachdem ich gesprochen habe und er hat auf meinen Beitrag Bezug genommen. Es waren ja bei dieser Veranstaltung auch mehrere Vertreter ihrer Parteien anwesend, und er sagte dort folgende Sätze und die bleiben bei mir im Kopf und ich würde auch bitten, sie auch in euren Köpfen zu verankern, um sie genauso weiterzugeben. Er sagte zu diesen Menschen aus Yozgat: „Wir aus der Türkei haben großes Interesse, in die EU zu kommen, wir sind aber auch nicht unglücklich, wenn es nicht funktioniert. Aber ich sage euch hier, die ihr aus meiner Region kommt, wenn jemand nicht bereit ist, in dem Land, in dem er lebt, die Sprache zu sprechen und zu lernen, die man in diesem Land spricht, dann bitte kommt zurück, ihr schadet der Türkei.“ Und er sagte auch: „Wenn jemand nicht bereit ist, den Kindern die nötige Ausbildung zu geben, dass ihre Existenz begründbar und gesichert werden kann, kommt bitte zurück, ihr schadet unserem Land.“ Und er sagte weiters, und das gehört ganz einfach dazu, er sagte hinzeigend auf mich: „Der Vorsitzende des Wiener Gemeinderates ist doch ein netter Mensch. Wir sind Muslime und haben eine tolle Religion. Ich weiß nicht, welcher Religion der Herr Vorsitzende angehört, aber ich sage, respektiert die Menschen so wie sie sind und nicht wegen ihrer Religion.“
Und das ist aus den Mund des Vizekanzlers der Türkei gekommen, und wenn man das weiß und hört, dann wird man nachdenklich werden und sagen, bitte sehen wir das doch nicht so unicolor, die Türken als Pauschales, die Polen als Pauschales, die Ex-Jugoslawen als Pauschales, ganz egal was. Versuchen wir doch, auf die individuellen Probleme einzugehen. Wenn wir hier sagen, die deutsche Sprache ist wichtig, dann wisst ihr alle miteinander, welche Bemühungen in dieser Stadt unternommen werden, dass die deutsche Sprache auch gelernt werden kann, ihr wisst das.
Ich war in Brasilien und habe die Auslandsösterreicher besucht. Die sprechen auch Deutsch in Brasilien, obwohl sie auch die Sprache der Brasilianer sprechen. Die haben auch ein großes Bedürfnis, zusammen zu sein, und keiner kritisiert sie als Personen, die eine Parallelgesellschaft bauen wollen. Kein Mensch kritisiert das dort. Wir sagen auch zu den Vertriebenen, wir wollen sie unterstützen, damit sie ihre Kultur nicht verlieren. Wir hören aber von manchen in Wien, Immigranten müssen sich assimilieren und ihre Vergangenheit ablegen. Ich halte das für verrückt. Jemand, der seine Vergangenheit ablegen muss, verliert auch die Zukunft, und daher wird das nicht funktionieren. (Beifall bei SPÖ, GRÜNEN und von GRin Christine Marek.)
Ich bitte inständig, wirklich inständig, alle, die hier sitzen, versuchen wir doch, wenn wir über diese so wichti
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