Gemeinderat, 10. Sitzung vom 27.06.2011, Wörtliches Protokoll - Seite 100 von 164
An dieser Stelle möchte ich kritisch anmerken, dass die Berufstätigkeit als Voraussetzung für einen Kindergartenplatz in Wien noch einiges an Arbeit zu wünschen übrig lässt. Gerade wenn man den Kindergarten als erste, elementare Bildungseinrichtung sieht, kann nicht die Berufstätigkeit allein darüber entscheiden, einen Kindergartenplatz zu bekommen oder nicht.
Zugang zu Bildung ist eine Frage gesellschaftlicher Gerechtigkeit, und alle sollen unabhängig von sozialem Status, von Geschlecht oder ethnischer Herkunft an Bildung teilhaben können. Schule ist Lernort und Lebensort, Schule ist für viele Kinder zum wesentlichsten Aufenthaltsort geworden, hier muss sich also der ganze Mensch entfalten können. Ganzheitliche Bildung fördert gleichwertig kognitive, soziale und emotionale Bildung. Schule muss daher selbstverständlich ein Ort sein, an dem sich SchülerInnen und LehrerInnen wohlfühlen. (GR Mag Wolfgang Jung: Jetzt hat sie bald die SPÖ auch noch vertrieben!)
Die Schule muss auf alle Lebensprobleme der Kinder eingehen können und sich einlassen. LehrerInnen, die das ignorieren oder die das weniger beherzigen, haben schon verloren. LehrerInnen können das allerdings nicht allein machen. Sie können es nicht allein hinkriegen, deshalb müssen wir ihnen SozialarbeiterInnen, PsychologInnen und andere Personen an die Seite stellen.
Alle Begabungen sollen gefördert werden. Es geht um das Stärken Stärken, denn der Zuwachs von Wissen und Kompetenz erfüllt Kinder und Jugendliche mit Stolz und mit Freude und motiviert zu Anstrengung und Leistung. Wo Lernschwächen - die gibt es natürlich auch -, Defizite und Desinteresse bestehen, soll es eine Mindestanforderung als Lernziel geben, und die soll dann auch erreicht werden können.
Der Frontalunterricht - das ist mir wichtig - hat in dieser Form ausgedient. Das ist eine jahrhundertealte, veraltete Form. Ein großer Teil des Lernens geht einzeln vor sich, jedes Kind hat besondere Interessen und Begabungen, aber auch Schwierigkeiten und Lernblockaden. Wenn ich mich an meinen eigenen Geschichteunterricht erinnere: Da hat der Geschichtelehrer eine Stunde lang ins Heft diktiert, wortwörtlich ins Heft diktiert, über Jahre hinweg immer denselben, wortwörtlich denselben Text ins Heft diktiert. Ich habe mir nichts davon gemerkt - nichts gemerkt, ich kann es mir nicht vorstellen! (Heiterkeit der Rednerin.) Alles, was ich über Geschichte weiß, habe ich mir selbst angeeignet, in Büchern gelesen und im Studium vertieft - zu Ihrer Beruhigung. (Neuerliche Heiterkeit der Rednerin. - GR Mag Wolfgang Jung: Das waren die falschen Bücher! - Weitere Zwischenrufe bei FPÖ und ÖVP.)
Die Welt verändert sich schnell, das Wissen nimmt rasant zu. Man sagt, etwa alle sieben Jahre verdoppelt sich das Wissen. Es wird dichter, es wird komplexer, es wird scheinbar auch schneller. Wir stellen uns also vor, dass es ein schlankes Kern-Curriculum gibt und daneben Lernen exemplarisch und selbstbestimmt erfolgen muss. Die Rolle der LehrerInnen ist im Besonderen die Anleitung zum lernen Lernen. Ansatzpunkte müssen die Interessen der SchülerInnen sein, das Lernziel lautet Eigenständigkeit. Das Zerstückeln von Wirklichkeit in Fächern muss systematisch ersetzt werden durch fächerübergreifendes Arbeiten und Projektunterricht. (GR Mag Wolfgang Jung: Das Problem ist halt, dass es im Beruf dann auch Leistungsdruck gibt!)
Wie ihr hört, bin ich bei der modularen Oberstufe! Dabei geht es darum, dass der Stoff der einzelnen Lernfächer in Module aufgeteilt wird, und wenn ein Schüler oder eine Schülerin in einem der Module negativ ist, dann muss dieses Modul wiederholt werden. Die Oberstufe ist erst dann abgeschlossen, wenn alle Module positiv abgeschlossen wurden. Erst dann können SchülerInnen auch zur Matura zugelassen werden und antreten. – So viel dazu und zu den Verwirrungen, die in den letzten Wochen entstanden sind.
Wir gehen weiter: Es ist eine ewige Forderung der GRÜNEN, das Sitzenbleiben abzuschaffen. Pädagogisch macht das überhaupt keinen Sinn. Im Gegenteil: Es verschärft die Demotivation nur noch mehr.
Wirksamer wäre es, den SchülerInnen Mut zu machen und schrittweise Erfolgserlebnisse aufzubauen. SchülerInnen lieben und schätzen es, Erfolg zu haben, auf ihre Leistungen stolz sein zu können und anerkannt zu werden.
Schulen, die auf Methodenvielfalt und Individualisierung aufbauen, kommen ohne Sitzenbleiben aus. Das Sitzenbleiben wird durch individuelle Förderung ersetzt. Sobald jemand in einem Schuljahr Defizite aufzeigt oder beim Lernen nicht entsprechend mitkommt, soll es, wenn es nach uns geht, sofort Förderunterricht geben und sollen Maßnahmen im selben Schuljahr, in dem Defizite festgestellt werden, ergriffen werden.
Wir gehen noch einen Schritt weiter: Wie Ihnen bekannt ist, sind auch die GRÜNEN für das Abschaffen der Noten. (Zwischenruf von GR Dr Wolfgang Aigner.) Ja, das ist super! Ich weiß schon, Sie sperren sich gegen jede kleinste Neuerung im Bildungssystem! Das weiß ich ohnedies! (GRin Mag Ines Anger-Koch: Die Kinder fordern selbst Noten!)
Die GRÜNEN gehen weiter: Wir fordern auch, dass die Noten abgeschafft werden. Warum fordern wir das? (Zwischenrufe bei der ÖVP.) Ich erkläre es Ihnen schnell. Ich erkläre es gerne: Warum wollen wir die Noten abschaffen? Ich darf es jetzt hier erklären.
Warum wollen wir Noten abschaffen? – Ein und dieselbe Leistung wird von verschiedenen LehrerInnen und Schulen unterschiedlich beurteilt. Das wissen wir alle, das kennen wir, all das haben wir selbst erlebt und erleben es wahrscheinlich mit den Kindern auch weiterhin. Trotzdem haben Noten die Macht, Lebenschancen zu vereiteln. Daher arbeiten SchülerInnen also für die Noten. Auch das kennen wir alle von uns selbst: Es macht keinen Unterschied, ob man zwei Wochen nach der Prüfung den Stoff wieder vergessen hat. Nach diesem Bewertungssystem macht es auch keinen Sinn, sich für irgendetwas Besonders zu interessieren und eine besondere Leidenschaft dafür zu entwickeln. Was zählt, ist nur die Note. (Zwischenrufe bei der ÖVP.)
Ich habe es hier schon gesagt: Wir meinen, die Rolle der LehrerInnen soll die von FörderInnen, HelferInnen,
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