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Gemeinderat, 10. Sitzung vom 27.06.2011, Wörtliches Protokoll  -  Seite 106 von 164

 

Kollege Aichinger! Ich frage mich, wie jemand drei Jahre in einem Betrieb sein kann, ohne dass im Betrieb auffällt, dass er nicht fähig ist, diesen Beruf auszuüben? Sie wissen nämlich genauso wie ich, dass bei der Lehrabschlussprüfung nicht allgemeinbildende Fragen, sondern fachliche Fragen zum Beruf beantwortet werden müssen. Daher werden wir auch die Betriebe in die Verantwortung nehmen. (Zwischenruf von GRin Ing Isabella Leeb.)

 

Kollegin Leeb! Sie müssten es eigentlich auch besser wissen! Zwei Drittel der Ausbildungszeit werden nämlich im Betrieb und nicht in der Berufsschule absolviert. (Zwischenrufe bei der ÖVP.) Daher ist mehr Qualität in den Betrieben das Gebot der Stunde, meine sehr geehrten Damen und Herren! (Beifall bei der SPÖ.)

 

Ich kann Ihnen noch etwas über die Qualität der Lehrausbildung sagen. Dass Sie einen etwas seltsamen Zugang zum Lobbyismus haben, hat Kollege Aigner in seiner atemberaubenden Art und Weise schon zu skizzieren versucht. Aber wenn Sie sich schon als Vertreterin und Vertreter des Großkapitals der Unternehmen verstehen, dann möchte ich Ihnen noch etwas ans Herz legen – und jetzt müssen vor allem Sie zuhören, Herr Kollege Aichinger!: 65 Prozent der Wiener Lehrlinge im Handel leisten regelmäßig Überstunden, obwohl es um Ausbildung gehen sollte. 30 Prozent waren schon ganz allein in der Filiale. Wo ist hier die Ausbildungsverantwortung? Wo ist hier die Fürsorgepflicht?

 

Wir wollen mehr Qualität in der Lehrausbildung. Ich will nicht, dass das duale Berufsausbildungssystem madig gemacht wird! Das ist ein tolles System. Gleichzeitig müssen wir aber endlich auch zu Taten schreiten, damit auch die Betriebe Verantwortung tragen. Und da werden wir nicht mit Geldgeschenken weiterkommen, sondern nur mit mehr Qualität, meine sehr geehrten Damen und Herren!

 

Es schaffen auch – und das ist leider wirklich ein Alarmsignal – 60 Prozent der Maler und Anstreicher die Lehrabschlussprüfung nicht. Daher gibt es auch diese vehemente Kritik in der Öffentlichkeit. Und dazu stehe ich. Es geht um Ausbildung, und ich kann mich des Verdachtes nicht erwehren, dass in manchen Betrieben nicht ausgebildet, sondern ausgebeutet wird. Das ist eine harte Kritik, dessen bin ich mir bewusst! Das ändert aber nichts daran, dass wir gemeinsam für mehr Qualität kämpfen müssen, und dazu lade ich vor allem auch die Wirtschaftskammer ein!

 

Dass wir von Seiten der Stadt Wien versuchen, dort, wo wir können, alles in unserer Kraft Stehende zu tun, zeigt auch die Investition in den Berufsschulbereich 2010. Ohne Berücksichtigung der Lehrer sind Investitionen rein in Material in der Höhe von 5,3 Millionen EUR erfolgt, die den Lehrlingen zugute kommen. Das ist gut investiertes Geld, denn wir brauchen Fachkräfte, die qualitativ hochwertig ausgebildet sind, damit sie auch entsprechende Zukunftschancen haben und auf dem Arbeitsmarkt nicht zu kurz kommen.

 

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist ja nicht nur bezeichnend, dass Kollege Aigner offenbar nicht will, dass Lehrlinge über ihre Rechte, aber natürlich auch über ihre Pflichten informiert werden sollen, sondern es ist einmal mehr auch bezeichnend, dass die ÖVP – auch das darf ich in Erinnerung rufen – gegen die neue Berufsschule für Verwaltungsberufe im 5. Bezirk in der Embelgasse ist. Das ärgert mich deshalb, weil ich mich – jawohl, ich sage das offen! – als Sprachrohr der Wiener Lehrlinge sehe. Und wenn Herr Aigner das mit Lobbyismus verwechselt, dann schiebe ich die Karten zurück und sage: Das ist Strasser! Ich bin Lehrlingsvertreter. Da besteht sehr wohl ein Unterschied! Das können Sie sich merken! (Beifall bei SPÖ und GRÜNEN.)

 

Abschließend möchte ich noch erwähnen, dass für uns diese neue Berufsschule ein Symbolbild für den Aufbruch in der Lehrlingspolitik ist. Wir wollen mit aller Kraft dafür kämpfen, dass Lehrlinge das schlechte Image, das sie leider manchmal haben, abwerfen. Dazu brauchen wir aber auch die Qualität und die Beiträge der Betriebe, damit die Lehre tatsächlich ein Karrieresprungbrett ist. Und dafür werden wir noch sehr viel tun.

 

Dazu haben wir auch die Ausbildungsgarantie. Und wenn jetzt die Kritik kommt: Ausbildungsgarantie? Wer braucht denn das? So ein Blödsinn!, dann möchte ich schon darauf hinweisen, dass die Fakten sowieso für sich sprechen. Die Statistik der Wirtschaftskammer besagt, dass 1980 31 000 Lehrstellenplätze in Wien vorhanden waren und dass es heute nur mehr 19 000 sind. Und wenn ich die überbetrieblichen Ausbildungseinrichtungen und die Stadt wegrechne, die 1 300 Lehrlinge ausbildet, dann haben wir in der gewerblichen Wirtschaft, für die Sie sich ja so zuständig fühlen, nur mehr 14 000 Lehrlinge. Wenn man dann den Jugendlichen sagt, die keinen Lehrstellenplatz finden: Da hast du halt Pech!, dann ist das eine Antwort, die vielleicht Sie geben! Dafür haben Sie von den Wiener Jugendlichen auch die Rechnung präsentiert bekommen. Das ist aber sicherlich nicht unsere Antwort! Das sage ich Ihnen in aller Offenheit! (Beifall von GR Heinz Vettermann.)

 

Wir haben ja nicht nur Kindergärten, Volksschulen, gemeinsame Schule, Berufsschulen und Universitäten – aber da könnten ja Sie einmal beim Wissenschaftsminister vorsprechen! –, sondern auch die Erwachsenenbildung, die in Wien sehr ernst genommen wird. Die Volkshochschulen bekommen mit 20,3 Millionen EUR viel Geld, denn das ist notwendig. Bildung hört nämlich nicht auf, wenn man aus der Schule hinausgeht, sondern wir sehen in jeder Arbeitsmarktstatistik – und auch über diese können wir nachher noch diskutieren –: Je besser die Qualifikation, umso mehr Chancen haben die Jugendlichen und die Menschen in unserer Stadt.

 

Apropos Jugendliche: Auch zu diesem Bereich möchte ich die Zahlen für sich sprechen lassen. Wir haben in Wien für die gesamte Jugendarbeit, die Großartiges leistet, 39 Millionen EUR 2010 investiert. Und ich bin der Auffassung, dass jeder Cent, der hier investiert wird, ein wichtiger Beitrag ist, damit die Jugendlichen Perspektiven erhalten, damit sie aber auch Demokratie, Partizipation und Mitbestimmung lernen. Das sind nicht nur irgendwelche Phrasen, sondern das wird in der Wiener Jugendarbeit mit Leben erfüllt.

 

An dieser Stelle kann ich der FPÖ auch den Vorwurf

 

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