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Gemeinderat, 11. Sitzung vom 29.06.2011, Wörtliches Protokoll  -  Seite 34 von 65

 

den nachhaltigen Aufbau einer Wirtschafts- und Industriestruktur. Wir finden es aber eigentlich inakzeptabel, wie dieser Europäische Stabilitätsmechanismus künftig ausgestaltet werden soll, die Form der Hilfe, wie sie vergeben wird, die Bedingungen, die an die Hilfe geknüpft werden, Privatisierungen, Sozialabbau, Abbau öffentlicher Dienstleistungen, eigentlich ein sozialpolitischer Kahlschlag.

 

Wir sehen das Ergebnis. Europa ist nicht mehr nur in der Finanzkrise. Ich denke, Europa ist im Moment im Ausnahmezustand. Schauen Sie sich die Fernsehbilder an, die wir tagtäglich aus ganz Europa sehen, oder nicht tagtäglich, aber im Wochenabstand. Es ist nicht nur Griechenland, wo wir Massendemonstrationen sehen. Es ist Spanien. Es ist Portugal, das übrigens auch ein massives Sparpaket bis 2013 durchdrücken muss, Flexibilisierung der Arbeitsmärkte, Senkung des Arbeitslosengeldes, Steuererhöhungen, weil es auf Druck der EU und des Internationalen Währungsfonds 78 Milliarden EUR einsparen muss, um seine sogenannte Pleite abzuwenden. Es ist Großbritannien. Es ist Tschechien. (GR Mag Wolfgang Jung: Rumänien!) Es ist Spanien, wo Massen – ich nenne es bewusst Massen, weil es diese Dimension erreicht hat –, auf die Straße gehen, gegen Lohn- und Pensionskürzungen, gegen den Raubbau an ihrem Sozialsystem, gegen den Ausverkauf öffentlicher Dienstleistungen und auch dagegen, dass die Bevölkerung wieder einmal für die Krise zahlen muss, die sie nicht verursacht hat, meine Damen und Herren, demonstrieren.

 

Das ist einfach die falsche Politik. Das ist der falsche Weg. Das kann so nicht funktionieren. Das sind die Fehler der Vergangenheit, die uns in die Krise geführt haben. Es ist fast kein Licht am Horizont, um aus dieser Krise herauszuführen, weil diejenigen, die früher am Hebel gesessen sind, sitzen jetzt weiter am Hebel und machen dieselbe falsche Politik zu Lasten der Bevölkerung, zur Absicherung der Finanzmärkte, zur weiteren Absicherung des neoliberalen Wirtschaftssystems. Denn nichts anderes sind dieser Europäische Stabilitätsmechanismus und diese europäische Wirtschaftsregierung, die strukturelle Absicherung des Neoliberalismus in Europa. Dafür stehen wir GRÜNE sicher nicht.

 

Wir GRÜNE wollen einen Richtungswechsel in Europa. Es braucht diesen Richtungswechsel in Europa. Wir stehen für ein anderes Europa. Wir sagen immer, wir brauchen mehr Europa, aber wir brauchen ein anderes Europa. Wir brauchen einen nachhaltigen ökonomischen, ökologischen, sozialen und demokratiepolitischen Richtungswechsel in Europa.

 

Was wir nicht brauchen, meine Damen und Herren, ist eine Kampagne der Bundesregierung für den Euro, wie sie für Herbst angekündigt ist. Das brauchen wir nicht. Ich weiß nicht, ob ich über den Vorschlag von Finanzministerin Fekter – ich habe es vor zwei Tagen in der Zeitung gelesen, dass eine solche Initiative geplant ist – entsetzt oder belustigt sein soll. Also es ist nicht lustig, es ist eigentlich entsetzlich, wie man so an den Sorgen und Nöten und Problemen vorbeiagieren kann! Nein, wir brauchen keine Kampagne für den Euro! Wir brauchen einen ernsthaften und nachhaltigen Kurswechsel und politischen Richtungswechsel in Europa, das heißt, auch eine andere Politik der Bundesregierung in dieser Frage. Das muss hier gesagt sein.

 

StRin Brauner hat richtigerweise in der Rechnungsabschlussdebatte, und ich war ihr sehr dankbar dafür, angesprochen, was es alles an Maßnahmen für einen europapolitischen Kurswechsel braucht. Allen voran hat sie die Finanztransaktionssteuer angeführt. Das ist richtig. Die GRÜNEN kämpfen seit Jahren dafür. Es gibt dafür auch entsprechende rot-grüne Initiativen im Europaparlament. Wir wollen gemeinsam eine der ersten europäischen Bürgerinitiativen, sobald sie in Kraft tritt, für die Frage dieser Finanztransaktionssteuer verwenden. (GR Dr Matthias Tschirf: Das ist falsch!) Allerdings bin ich ein bisschen skeptisch, wenn ich mir die neuesten Nachrichten von Kommissionspräsident Barroso anhöre, der zwar sagt, im Herbst wird er einen neuen Vorschlag vorlegen, aber Großbritannien blockiert nach wie vor. Das ist für einige Staaten, die zwar behaupten, sie wollen die Finanztransaktionssteuer, aber sie eigentlich nicht wirklich wollen, sehr bequem, Großbritannien, Politik des leeren Stuhles. Wir kennen das alle noch von vor vielen Jahren.

 

Da bin ich skeptisch, ob das etwas wird. Ich glaube also, es wird wirklich der Bürger und Bürgerinnen und einer solchen europäischen Bürgerinitiative bedürfen, eine solche Finanztransaktionssteuer einzuführen.

 

StRin Brauner hat weiters richtigerweise erwähnt: Regulierung der Finanzmärkte, Vorgehen gegen Spekulationen, Brechen der Dominanz der Rating-Agenturen. Was wir jetzt in Europa erleben, ist eigentlich eine beispiellose Entdemokratisierung der Wirtschaftspolitik. Rating-Agenturen machen Politik. Es wird ihnen aber auch von den Politikerinnen und Politikern diese Macht eingeräumt. Diese gilt es längst zu brechen. Ich bin sehr froh, dass es jetzt eine Initiative im Europäischen Parlament zur Schaffung einer europaweiten Rating-Agentur und auch zu einer Schwächung der Macht und des Einflusses solcher Rating-Agenturen auf die Bonität von Staaten, die man einfach nicht vergleichen kann mit der Bonität von Unternehmen, gibt. Wer auf eine solche Idee kommt, dass ein Staat genau so zu bewerten ist wie ein privates Unternehmen, ist einfach am falschen Dampfer. Es tut mir leid. Das gehört endlich einmal abgestellt. (Beifall bei GRÜNEN und SPÖ.)

 

Richtungswechsel in Europa haben wir angesprochen. Ich ergänze die Punkte, die StRin Brauner angesprochen hat, noch um einige, für die die GRÜNEN seit Langem kämpfen: Schließung von Steueroasen, Mindestunternehmensbesteuerung, qualifizierte Mehrheit bei Steuerharmonisierung im Ministerrat statt Einstimmigkeitsprinzip, wirksame europäische Finanzmarktaufsicht, sprich, ein proeuropäischer Gegenentwurf zum Antieuropäismus der Rechten, zu ihrem gnadenlosen Populismus und zum kleinkarierten Nationalismus, der sehr oft sehr schnell in unverhohlenen Rassismus kippt. Wir stehen für eine Alternative für Europa, für das Mehr an Europa und das andere Europa, für das soziale, das demokratische, das ökologische, das nachhaltige Europa und das Europa der Chancengleichheit. Wir kämpfen auch dafür.

 

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