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Gemeinderat, 15. Sitzung vom 21.11.2011, Wörtliches Protokoll  -  Seite 4 von 150

 

Stadträtin, sondern, ich denke, für uns alle. Was tun wir? Wir blicken in die Zukunft der Stadt, wir diskutieren über die Schwerpunkte in den einzelnen Bereichen, aber nicht auf theoretische, abstrakte Art und Weise, sondern sehr konkret und sehr handfest.

 

Die Kommunalpolitik beeinflusst das Leben der Menschen sehr direkt. Wir werden heute sehen, wie die gewählten Schwerpunkte für dieses schwierige Jahr 2012 den Menschen zugute kommen werden, ob bei den Leistungen im Bereich des Sozial- und Gesundheitswesens, der Bildung, am Wiener Arbeitsmarkt, im Bereich des öffentlichen Nahverkehrs oder als Verbesserungen und Services in den Bezirken.

 

Liebe Kollegen und Kolleginnen, geschätzte Gemeinderäte und Gemeinderätinnen! Abgesehen von unserem täglichen Leben und Arbeiten in dieser schönen Stadt sind wir natürlich als Politiker und Politikerinnen sehr oft mit den Meinungen, Anliegen, ja auch mit den Sorgen der Menschen in dieser Stadt konfrontiert. Manchmal sind es die sogenannten Kleinigkeiten: ein Schlagloch, ein kaputtes Klettergerüst auf einem Kinderspielplatz, ein komplizierter Amtsweg. Bei diesen sogenannten Kleinigkeiten können wir oft rasche, sehr pragmatische Lösungen finden.

 

Aber in den vergangenen Jahren, insbesondere wieder in den vergangenen Monaten, sind die Menschen auf Grund der globalen sozialen Lage sehr verunsichert. Es ist dies die schwerste Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg, die, das muss man immer wieder sehr deutlich sagen, verursacht wurde von Spekulanten, die innerhalb eines maßlosen, ungeregelten Finanzsystems agiert haben, und leider auch von Rating-Agenturen, die keine Verantwortung für die Folgen ihres Tuns tragen müssen und schon gar nicht demokratisch legitimiert agieren.

 

Wir befinden uns also, sehr geehrte Damen und Herren, in einer schwierigen Situation. Es liegen schwierige Zeiten vor uns. Wien hat sich stets bemüht, die Auswirkungen der Krise zu bekämpfen. Aber, sehr geehrte Damen und Herren, es ist höchst an der Zeit, nicht allein die Symptome, sondern die Ursache der Krise zu bekämpfen.

 

Die Ursachen der Krise sind nicht die Menschen, die angeblich über ihre Verhältnisse gelebt haben, wie es uns so gerne suggeriert wird. Es ist auch nicht die öffentliche Hand, die angeblich generell und überall Schulden macht. Wir in Wien beispielsweise haben in wirtschaftlich guten Zeiten bis zum Ausbruch der Krise im Jahr 2008 Schulden zurückbezahlt.

 

Die Ursache der Krise, sehr geehrte Damen und Herren, ist ein völlig außer Rand und Band geratenes Finanzsystem, mit verantwortungslosen Akteuren, eines, das mit und von Spekulation gelebt hat. Ja, ich verstehe die Verunsicherung der Menschen, wenn sie in der Zeitung lesen und sich wundern, dass eine Rating-Agentur aus Versehen – ja, Sie haben richtig gehört: aus Versehen! – eine Wirtschaftsmacht wie Frankreich für kurze Zeit „downgradet“, wie es dann so schön heißt, also abwertet, und das ohne jede Konsequenz für die Agenturen!

 

Ich bin da ganz der Meinung von Arbeiterkammerpräsident Tumpel, der sich erst letzte Woche dazu geäußert hat und gesagt hat, es kann nicht sein, dass Rating-Agenturen eine quasi-amtliche Stellung zugebilligt wird und dass sich verschiedene Institutionen auf das Gütesiegel einer völlig privaten Firma verlassen.

 

Es ist an der Zeit, dass diesen Vorgängen ein Riegel vorgeschoben wird; und der Vorstoß auf europäischer Ebene, da strengere Vorgaben zu machen, ist sehr notwendig. Die Vorschläge, die Binnenmarktkommissar Barnier dazu gemacht hat, sind gut, werden allerdings im Moment schon wieder verwässert.

 

Eine absolute Notwendigkeit in der Bekämpfung des Spekulantentums in Europa ist die Finanztransaktionssteuer, sehr geehrte Damen und Herren. Dabei geht es darum, vor allem bei häufigen, schnellen Transaktionen, bei großen Summen, die verschoben werden, einerseits über den Steuerertrag einen Beitrag zur Bekämpfung der Krisenfolgen zu erzielen, und zwar von denen, die auch für die Krise verantwortlich sind. Es geht aber auch darum, Spekulation uninteressant zu machen, also einzudämmen und damit Krisenursachen zu bekämpfen.

 

Weiters brauchen wir ein gerechtes Steuersystem. Es kann nicht sein, dass die Reichen in der Krise immer reicher werden und die Vermögensverteilung immer ungerechter. Ende 2010 hat die Anzahl der Personen, die ein frei verfügbares Vermögen von über einer Million Dollar besitzen, bereits das Vorkrisenniveau überschritten.

 

Die Superreichen sind reicher geworden, und die Zeche zahlt die große Masse der Menschen. Das ist nicht nur ungerecht, unfair und sozial verantwortungslos, es ist auch eine wirtschaftliche Sackgasse. Wir sehen tagtäglich, wie die Realwirtschaft unter dieser Krise leidet. Darum bekämpfen wir nicht nur die Symptome der Krise, sondern auch deren Ursache. Das kann nur gemeinsam und europaweit gelingen, denn jawohl, wir sind alle gefordert bei der Bekämpfung der Krise und bei der Bewältigung der Krisenfolgen mitzumachen.

 

Wir bekennen uns daher zu den Zielen einer Schuldenbremse, und wir haben uns mit dem Stabilitätspakt auch bisher schon bereit erklärt, unseren Beitrag zu leisten. Aber eines gebe ich zu bedenken: Mit der Schuldenbremse bekämpfen wir nicht die Krise und auch nicht die Ursachen der Krise. Um deren Ursachen zu bekämpfen, brauchen wir strengere Regeln für das Finanzsystem und müssen die Möglichkeit zur Spekulation einschränken. (Beifall bei SPÖ und GRÜNEN.) Die internationale spekulative Finanzwirtschaft, die völlig außer Kontrolle geraten war, soll Unterstützerin der Realwirtschaft sein – und nicht deren Totengräber.

 

Es gilt, da sehr sorgsam hinzuschauen und nicht alle über einen Kamm zu scheren. Man muss in der Diskussion um die Banken unterscheiden: Es gibt einerseits jene, die der Realwirtschaft dienen, die Kleinkredite vergeben, den einfachen Häuselbauer unterstützen, die KMUs, also die Klein- und

 

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